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Auch Kleist nahm diese Tür. Die Grande École in der Friedrich-Ebert-Straße.

© A. Klaer

Kultur: Das Gegenwärtige genießen

Die Liebe zwischen Heinrich von Kleist und Louise von Linckersdorff hatte keine Chance. An der Grande École, die ihr 275-jähriges Bestehen feiert, fand er Trost in der Philosophie

Direkt an der Bornstedter Kirche, nordwestlich, befinden sich zwei Sandsteinplatten. Schmucklos liegen sie da. Ihre Inschriften sind kaum zu entziffern. Sie bedecken die Gräber von Carl Wilhelm von Niesemeuschel, einem hochrangigen Offizier der preußischen Armee zu Zeiten der Könige Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III., sowie seiner Ehefrau Louise Wilhelmine Charlotte, geborene von Linckersdorff. Ob die Niesemeuschels eine glückliche Ehe führten, ist nicht bekannt, jedoch über Louises erste Liebe. Sie führt im Jahre 1798 zu Heinrich von Kleist. Als 15-Jähriger trat der aus Frankfurt an der Oder Gebürtige in das 3. Bataillon des Garderegiments zu Potsdam ein. Die Familientradition sah eine Militärkarriere für den jungen Mann vor. Zügig wurde er befördert: 1795 zum Fähnrich, zwei Jahre später zum Leutnant.

Grande École – die Große Stadtschule – mit der wunderbaren Barockfassade in der Friedrich-Ebert-Straße trägt heute den Namen des Dichters Heinrich von Kleist. An das 275-jährige Bestehen dieser Bildungseinrichtung wird in diesem Jahr im Besonderen gedacht. Einer ihrer prominentesten Schüler war Heinrich von Kleist, obwohl er in ihr nur zum privaten Unterricht ein- und ausging, was aber zur damaligen Zeit gang und gäbe war. Gemeinsam mit dem Regimentskameraden Rühle von Lilienstern ließ sich Kleist vom Konrektor der Schule, Johann Heinrich Ludwig Bauer, in Deutsch und Mathematik unterrichten.

An den einstigen Hauslehrer in seinem Elternhaus in Frankfurt an der Oder, Christian Ernst Martini, schrieb Kleist, dass er in Potsdam mehr Student als Soldat sei. „Ich habe mich ausschließlich mit Mathematik und Philosophie, – als den Grundfesten alles Wissens beschäftigt und als Nebenstudien die griechische und lateinische Sprache betrieben ... Ich habe außer einer nicht sehr bedeutenden Hülfe eines übrigens gescheuten Mannes, des Konrektors Bauer, jene beiden Wissenschaften und besonders die Philosophie ganz allein studiert.“ Kleist hatte mit Bauer als Lehrenden in Sachen Mathematik seine Schwierigkeiten. „Ich begriff nicht, was der Lehrer demonstrierte.“ Auch sein Freund Rühle von Lilienstern beklagte sich über die komplizierte Unterrichtsmethodik des Mathematiklehrers. Neben dem Musizieren gemeinsam mit Regimentskameraden – Kleist soll vorzüglich Klarinette und Flöte gespielt haben – traf er sich mit der Potsdamer Generalstochter Louise von Linckersdorff. Es entwickelte sich ein kurzes, doch zartes Liebesintermezzo.

Eine Eintragung mit einem Text des Weimarer Dichters Christoph Martin Wieland im Albumbuch der 24-jährigen Louise sagt zwar nichts über die Beziehung aus, jedoch über Freundschafts-Empfindungen des 21-Jährigen: „Geschöpfe, die den Wert ihres Daseins empfinden, die ins Vergangene froh zurückblicken, das Gegenwärtige genießen, und in der Zukunft Himmel über Himmel in unbegrenzter Aussicht entdecken; Menschen, die sich mit allgemeiner Freundschaft lieben, deren Glück durch ihr Glück ihrer Nebengeschöpfe vervielfacht wird, die in der Vollkommenheit unaufhörlich wachsen – o wie selig sind sie.“ Das Verhältnis mit Louise wurde jedoch auf Anraten ihrer Familie gelöst. „Der Schmerz darüber führte ihn wohl zum ersten Mal tiefer in sein Inneres“, schrieb Karl Eduard von Bülow, Dichter und Herausgeber der Schriften Heinrich von Kleists. Der Enttäuschte soll daraufhin sein Äußeres vernachlässigt haben, zog sich von allen Menschen zurück und hat die Beschäftigung mit den philosophischen Wissenschaften an der Großen Stadtschule intensiviert. „Dieses Studium zog ihm den Unwillen seines Chefs, des Generals von Büchel zu“, so Bülow. Kleist entwickelte eine immer tiefere Abneigung gegen alles Militärische. An Christian Ernst Martini schrieb er: „Die Offiziere hielt ich für so viele Exerziermeister, die Soldaten für so viele Sklaven, und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es mir als ein lebendiges Monument der Tyrannei.“ Als Kleist im Jahr 1798 seinen Abschied forderte, suchte ihn General von Rüchel auf und bat ihn, am Soldatenstand festzuhalten, denn ihm schmeichelte es, „unter seinen Befehlen gebildete Offiziere zu haben.“

Heinrich von Kleist beschloss nach Frankfurt an der Oder zurückzukehren. An der Universität Viadrina ließ er sich für die Studienfächer Natur- und Kulturwissenschaften einschreiben. Zuvor teilte König Friedrich Wilhelm III. am 13. April 1799 Kleist in einer Kabinettsorder mit: „Ich habe gegen Euern Vorsatz, Euch dem Studium zu widmen, nichts einzuwenden, und wenn Ihr Euch eifrig bestrebet, Eure Kenntnisse zu erweitern, und Euch zu einem besonders brauchbaren Geschäftsmanne zu bilden, so werde ich dadurch auch in der Folge Gelegenheit erhalten, Mich zu bezeigen.“ Das Studium hielt nicht lange an, auch der Vorsatz, in eine Beamtenlaufbahn anzutreten, wurde aufgegeben. Kleist nahm die Stelle des Redakteurs einer Zeitschrift an und wurde vor allem Dichter. In seiner Heimatstadt lernte er die Offizierstochter Wilhelmine von Zenge kennen, mit der er sich 1800 verlobte. Doch schon 1803 trennen sie sich.

Sein selbst gewählter Wahlspruch sollte ihn bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1811 begleiten: „In mir ist nichts beständig als die Unbeständigkeit.“

Im Rahmen des 275. Jubiläumsprogrammes ist am heutigen Donnerstag und morgigen Freitag, 18 Uhr, in der Kleist-Schule in der Friedrich-Ebert-Straße 17 „Der Widerspenstigen Zähmung“ von William Shakespeare mit dem Ensemble Kleists Erben zu erleben. Der Eintritt ist frei.

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