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Daniel Barenboim

© dpa/Annette Riedl

Daniel Barenboim im Interview: „Musik kommt nicht von Können, sondern vom Wollen“

An der Barenboim-Said Akademie werden junge Talente aus Nahost und Nordafrika ausgebildet. Gründer Barenboim will ihnen vermitteln, den großen Bogen im Blick zu haben – im Leben wie in der Musik.

Vor sechs Jahren wurde die Barenboim-Said Akademie an der Französischen Straße in Berlin eröffnet. Aus diesem Anlass sprach Daniel Barenboim mit dem Tagesspiegel über die Bedeutung von Disziplin in der musikalischen Ausbildung, seine Kindheit in Israel und die Freundschaft mit Frank Gehry, der den Pierre Boulez Saal entworfen hat. Barenboim, 80, äußert sich nicht mehr oft. Gerade hat er eine gesundheitliche Krise überstanden, hat in Italien und Frankreich dirigiert. Im Januar war der Maestro als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden zurückgetreten. Im Roten Rathaus wurde ihm jetzt die Berliner Ehrenbürgerwürde verliehen. Das Gespräch fand Mitte April in der Barenboim-Said Akademie statt.

Herr Barenboim, Sie haben hier in einem Haus die Akademie, das West-Eastern-Divan Orchestra und den Pierre Boulez Saal. Gibt es irgendwo auf der Welt etwas Vergleichbares?
Wir müssen einfach dankbar für das alles sein. Es gibt viele wunderbare Konzertsäle und Akademien, überall, aber nicht von dieser besonderen Qualität und in diesem Zusammenhang von Akademie und Spitzenorchester.

Musik ist das Schönste im Leben und auch das Flüchtigste. Wollten Sie mit der Akademie etwas schaffen, das von Dauer ist, das bleibt?
Es ist wichtig, dass Menschen, die Musik ausüben, immer weiter an sich arbeiten. Das ist eine große und schwierige Sache, verstehen Sie, denn dafür gibt es keine Regeln wie in der Mathematik. Das meine ich mit Qualität.

Was sollen die jungen Menschen hier mitnehmen, wie vermitteln Sie diese Werte in der Ausbildung?
Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Musik kommt nicht von Können, sondern vom Wollen. Man muss es wirklich wollen. Und dabei müssen wir die jungen Menschen führen. Selbst wenn sie sehr begabt sind, können sie noch nicht das Ganze im Blick haben. Es geht im Grunde im Leben und in der Musik um den großen Bogen.

Und so ein Bogen spannte sich, als Sie dem palästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Edward Said in einem Hotel in London über den Weg gelaufen sind.
Es war ein Glücksfall. Wir sind uns vor dreißig Jahren zum ersten Mal persönlich begegnet. Wir wussten natürlich, wer der andere war, ich kannte seine Arbeit, er hat auch über Musik geschrieben. Es ist ja immer erstaunlich, wenn man einen berühmten Menschen trifft. Edward Said war so bescheiden, und da war er wirklich eine große Ausnahme. Viele Berühmtheiten verhalten sich wie eine Parodie ihrer selbst.

Said war ein politischer Denker. 1999 organisierten Sie mit ihm zusammen in Weimar einen ersten Workshop mit jungen Musikern aus Israel und den arabischen Ländern. Daraus ist das West-Eastern Divan Orchestra hervorgegangen und später die Barenboim-Said Akademie. Die politische Lage war nie einfach. Jetzt verschärft sich der Konflikt in der Region wieder. Wirkt sich das auf die Arbeit der Akademie aus?
Unsere Situation ist absolut einmalig. Diese Länder führen Krieg miteinander, und von dort kommen junge Leute zum West-Eastern Divan Orchestra und an die Akademie nach Berlin, um gemeinsam zu musizieren und zu lernen. Ich kenne keine andere Institution, die so etwas schafft.

Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Daniel Barenboim durch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (l.) im Roten Rathaus am 21. April.

© AFP/ODD ANDERSEN

Wie werden die Studierenden für die Akademie unter diesen Bedingungen ausgewählt?
Sie spielen bei uns vor, und wir schicken Dozenten in die Region, um Studierende für die Akademie anzuhören. Wir bekommen auch viele Anfragen. Ja, in der Tat, die politische Lage hat sich verschlechtert. Man braucht so viel Geduld. Und es zahlt sich aus. Wir hatten hier einen sehr jungen Palästinenser, hochbegabt, einen Geiger. Heute ist er Konzertmeister der Wiener Staatsoper.

Wann waren Sie zuletzt in Israel?
Das war 2011.

Das ist lange her.
Die Entwicklung in dem Land gefällt mir nicht, es macht mir große Sorgen.

Sie haben als Kind in lsrael gelebt und feierten damals schon Ihre ersten Erfolge. Was haben Ihre Lehrer Ihnen vermittelt?
Ich habe bei meiner Mutter mein Studium begonnen. Das war ein großes Glück! Meine Mutter war Schülerin bei meinem Vater gewesen. Und dann hat mich mein Vater unterrichtet. Ich möchte nicht sagen, dass er ein harter Mann war. Er hat das nicht so empfunden. Aber er war der Ansicht, dass Musik für junge Leute, die Musiker sein wollen, wirklich alles sein muss, alles! Und das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Ihr Vater hat strenge Disziplin erwartet?
Ohne Disziplin geht nichts im Leben. Man muss wissen, was man will, und ob man es will, und man braucht dafür einen Ort zum Lernen und Studieren, wie es die Akademie mit ihren Möglichkeiten bietet.

Disziplin ist nicht zu erzwingen, Autorität ist oft umstritten. Was sagen Sie ihren Studierenden?
(Denkt lange nach) Ich sage: Das Minimum ist nicht genug. Jeder ernsthafte Mensch weiß das. Disziplin allein reicht nicht aus, sondern ich kann nur immer wieder sagen, man braucht auch den Willen.

Wann haben Sie zum ersten Mal diesen Willen in sich gespürt?
Bei mir war das immer da (lacht).

Sie sind damit geboren! Diese Kraft scheint andere Geister anzuziehen, wie Michael Naumann, der viele Jahre Rektor der Akademie war. Auch Architekt Frank Gehry wollte, als er von der Barenboim-Said Akademie hörte, unbedingt Teil dieser Utopie sein. Und so entstand der Pierre Boulez Saal.
Es ist ein Wunder. Was ich ganz toll bei Gehry finde, ist seine Konsequenz. Natürlich hat er als Architekt klare Ideen, aber er geht damit bis ans Ende. Ach, wissen Sie, die meisten Menschen wollen es gut machen. Aber gut genug – das bedeutet ihm nichts. Denn das Genug reduziert das Gute. Gehry ist fanatisch ohne jede Härte. Wenn ich das sagen darf, ich glaube, wir sind da sehr ähnlich.

Sie unterrichten immer noch selbst an der Akademie?
Ja natürlich, jede Woche zwei- bis dreimal. Man darf sich aber nie die Frage stellen: Muss ich das tun? Dann ist es zu spät.

Wie sehen die Pläne für das West-Eastern Divan Orchestra aus?
Im August spielen wir wieder in der Berliner Waldbühne, mit Martha Argerich, Chopins Klavierkonzert No. 1 und die Sinfonie No. 2 von Brahms. Wir gehen zu den Festspielen nach Salzburg und Luzern und planen weitere Tourneen für nächstes Jahr zum 25. Geburtstag des West-Eastern Divan Orchestra.

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