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Familiär: Spiegelman auf einem Foto, das seine Tochter Nadja aufgenommen hat.

© dpa

Comic-Pionier Art Spiegelman: Eigentlich sollte er Zahnarzt werden

Er thematisierte den Holocaust mit den Mitteln des Comics und bekam für „Maus“ den Pulitzer-Preis - den Kritikern zum Trotz. Jetzt wird Art Spiegelman 65.

New York - Den Holocaust als Comic zu verpacken, darf man das? Tiere dabei als Metaphern zu wählen, ist das vertretbar? Mit diesen Fragen wurde Art Spiegelman nach der Veröffentlichung von „Maus“ in den 1980er Jahren immer wieder konfrontiert. Für die Kritiker war es ein Tabubruch, dass er Nazis als Katzen und Juden als Mäuse gezeichnet hatte. „Ich mache Comics, also war es für mich die einzig natürliche Sprache, in der ich sprechen konnte“, sagte Spiegelman, der an diesem Freitag 65 Jahre alt wird, einmal in einem Interview mit „New York Voices“.

Der Applaus übertönte die Kritik: „Maus“ machte Spiegelman weltbekannt. 1992 erhielt er dafür den Pulitzer-Preis. Neben zahlreichen Ehrungen wurde er 2012 in Berlin mit dem mit 50 000 Euro dotierten Siegfried Unseld Preis ausgezeichnet.

Der Erfolg seiner Comics verwundere ihn, sagte Spiegelman immer wieder. Mit seiner Frau, der Französin Françoise Mouly, lebt er seit mehr als 30 Jahren in einem Loft im Stadtteil Soho und ist der Inbegriff des New Yorker Intellektuellen: lange, leicht zerzauste Haare, Kettenraucher. Tochter Nadja und Sohn Dashiell sind bereits ausgezogen.

Comics seien seine Linse, durch die er die Welt sehe, erklärte Spiegelman oft. Schon als Kind versank er in ihnen. Später wurden sie zur Rettung - zur Ausdrucksform des Unaussprechlichen, zur Verarbeitung des Gefühlten. Mit 16 verdiente er sein Geld mit Zeichnen, die Eltern hätten ihn lieber als Zahnarzt gesehen.

Obwohl er den Holocaust nicht selbst erlebt hat, ist Art Spiegelmans Leben davon geprägt. Seine Eltern, Vladek und Anja, überstanden Auschwitz voneinander getrennt und kamen erst nach der Lagerbefreiung im Januar 1945 wieder zusammen. Der erste Sohn war im Konzentrationslager gestorben. Spiegelman wurde 1948 in Stockholm geboren, während die Familie auf die Überfahrt nach Amerika wartete.

Die Erinnerungen der Vergangenheit blieben bei den Eltern immer präsent, hingen über dem Familienleben. Spiegelman flüchtete sich in Comics und später in Drogen. 1968 folgte ein Zusammenbruch, er wurde in eine Klinik eingewiesen. Im gleichen Jahr - kurz nach dem Tod des einzigen Bruders - beging seine Mutter Anja Selbstmord.

In der Kunst fand Spiegelman einen Weg, die Geschehnisse zu artikulieren. Den Freitod seiner Mutter prangerte er in „Gefangener auf dem Höllenplaneten“ an. 1972 begann er die Erzählungen seines Vaters auf Tonband aufzunehmen. Erste „Maus“-Comics erschienen in dem von Spiegelman und Mouly gegründeten Magazin „Raw“, 1986 kamen sie in Buchform heraus. Er hatte den Leidensweg seiner Eltern nachgezeichnet, in drastischer Metaphernsprache. Und bewies: Comics sind auch ernsthaften Themen gewachsen.

Unter Rechtfertigungsdruck: Spiegelman in einem Selbstporträt aus dem Meta-Maus-Band.

© Promo

Anfang der 90er Jahre begann Spiegelman als Zeichner für die Zeitschrift „The New Yorker“, bei der auch Mouly als Artdirektorin Karriere machte. Sein Titelbild im September 2001 wurde zu einem der bekanntesten. Wenige Tage nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center druckte die Zeitschrift ein schwarzes Deckblatt, auf dem die Twin Towers nur schemenhaft zu sehen waren.

Bei Spiegelman selbst lösten die Anschläge eine Krise aus. Nadja ging um die Ecke der Twin Towers zur Schule, mit seiner Frau sei er an jenem Morgen zur Schule gerannt, um sie zu holen. Kurz danach stürzten die Türme ein. „Ich hatte Halluzinationen und konnte nicht arbeiten. Meine Nerven waren blank“, erinnerte sich Spiegelman 2010. Aus den Erlebnissen entstand der Bildband „In the Shadow of no Towers“ (Im Schatten keiner Türme), der 2004 erschien. Kurz nach der Verleihung des Siegfried Unseld Preises 2012 in Berlin veröffentlichte der S. Fischer Verlag das Buch „MetaMaus“, in dem Spiegelman Einblick in seine Arbeit gewährt - mehr über das Buch unter diesem Link. (dpa/lvt)

Manuela Imre

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