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Ein Katzenjammer-Kid-Panel.

© avant

Comic-Klassiker „The Katzenjammer Kids“: Zwei Rabauken erobern die Welt

Inspiriert von Wilhelm Busch schuf der Deutsch-Amerikaner Rudolph Dirks den langlebigsten Comic der Welt. Jetzt feiern eine Ausstellung und eine Monografie sein Werk.

Er schuf vor 125 Jahren einen der ersten und langlebigsten Comic-Strips der westlichen Welt. Seine Slapstick-Bildgeschichten begeisterten ein Massenpublikum und wurden in den USA zeitweise in hunderten von Zeitungen veröffentlicht. Seit einigen Jahren ist sogar ein deutscher Comic-Preis nach ihm benannt.

Dennoch wurden das Leben und Werk des deutsch-amerikanischen Comicpioniers Rudolph Dirks und seiner Dauerbrenner-Reihe „The Katzenjammer Kids“ in den vergangenen Jahrzehnten erst ansatzweise erforscht und dokumentiert.

Die Kunsthistoriker Alexander Braun und Tim Eckhorst arbeiten seit einigen Jahren daran, diese Lücke zu schließen. Jetzt haben ihre Bemühungen mit einer Ausstellung (bis 10.4. im Schauraum Dortmund) und einem opulenten Katalog mit dem Titel „Katzenjammer: The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt“ (avant, 472 S., 59 €) ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Hans und Fritz statt Max und Moritz

„Etwas mit Kindern“ sollte es sein, das sich die Redaktion der Zeitung „New York Journal“ des Medien-Tycoons William Randolph Hearst wünschte. Es war das Jahr 1897 und der mit diesem Wunsch konfrontierte junge Zeichner Rudolph Dirks, der gerade seine ersten Cartoons veröffentlicht hatte, dachte an etwas, das er aus seiner alten Heimat kannte: Die Bildgeschichten von Wilhelm Busch.

So erzählte es später der gebürtige Schleswig-Holsteiner, der als Siebenjähriger mit seinen Eltern und Geschwistern in die USA ausgewandert war.

Und das, was dann ab dem 12. Dezember 1897 im „New York Journal“ erschien, sah anfangs tatsächlich weitgehend aus wie eine Kopie der bekannten Lausbuben-Geschichten aus Deutschland. Nur dass die Rabauken, deren wilde Streiche hier Bild für Bild erzählt werden, nicht Max und Moritz heißen, sondern Katzenjammer Kids, wie in der Überschrift der ansonsten anfangs wortlosen Sequenzen zu lesen ist.

Eine Zeitungsseite aus „Katzenjammer: The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt“.

© avant

Später bekommen die Radaubrüder dann auch Vornamen, Hans und Fritz, die sie ebenso als deutsche Einwanderer ausweisen wie das deutsch-englische Kauderwelsch, das ihr Markenzeichen werden sollte.

„Jahrzehntelange Missachtung des Comics“

Nach und nach sollte aus jenem Beinahe-Plagiat etwas ganz Eigenständiges mit einem umfangreichen Figurenensemble und vielfältigen Abenteuergeschichten werden, das den Weg für den modernen Comic-Strip ebnete.

Eine weitere Zeitungsseite aus der Anfangsphase der Reihe.

© avant

Ihr Gemeinschaftswerk ist das Ergebnis jahrelanger, teils detektivischer Arbeit, denn die Materiallage ist in diesem Fall besonders dürftig. Das wird im Vorwort als einer der Gründe dafür angeführt, wieso es bislang keine umfassende Würdigung von Dirks‘ Schöpfung gab, die im Laufe der Jahre von anderen Zeichnern ausgebaut und fortgesetzt wurde.

So sind kaum Originalzeichnungen von Dirks und anderen an den „Katzenjammer Kids“ beteiligten Künstlern erhalten geblieben, auch Zeitungsseiten und andere historische Dokumente haben die Jahrzehnte offenbar nur in sehr geringem Umfang überstanden.

Das führen die Autoren vor allem auf den „kulturellen Umgang mit dem Medium Comic im Allgemeinen“ zurück, wie sie beklagen: „Die jahrzehntelange Missachtung des Comics – einem Medium, das ein Publikum hatte, das in Millionen gezählt wurde –, die Vernichtung von Originalzeichnungen und Dokumenten, das Nicht-Befragen der Künstler zu Lebzeiten, das alles hinterlässt einen Flickenteppich, der noch immer fast so viele Fragen aufwirft, wie er Antworten liefert.“

Comics für Millionen

Umso beachtlicher ist, wie viel Material für diese Monografie dann doch zusammengetragen und in eine zusammenhängende Erzählung gebracht wurde, die von den Anfängen der Dirks’schen Familiengeschichte über die bemerkenswert turbulente Publikationsgeschichte der „Katzenjammer Kids“ bis zur Einstellung der Reihe im Jahr 2006 reicht.

Alexander Braun und Tim Eckhorst: „Katzenjammer: The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt“, avant, 472 Seiten, Hardcover, 25 x 32 cm, vierfarbig, 59 €.

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Manches davon hat man zwar bereits 2018 in dem Sammelband „Rudolph Dirks – Zwei Lausbuben und die Erfindung des modernen Comics“ lesen können, der anlässlich einer Ausstellung in Rudolph Dirks‘ norddeutschem Herkunftsort Heide erschienen ist und an dem die beiden Autoren beteiligt waren.

Für die neue Monografie sind sie allerdings wesentlich tiefer in das Thema eingestiegen, haben weiteres Material ausgewertet und es zu einem vor allem visuell beeindruckenden Werk verarbeitet.

Hunderte hochwertig reproduzierte Zeitungsseiten, Fotos, Zeichnungen und andere Dokumente laden auf den großformatigen Seiten zu einer Zeitreise durch die Jahrzehnte ein und vermitteln oft ohne viele Worte ganz anschaulich, was die frühen Comicstrips vor allem der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ausmachte und wieso diese Kunstform damals ein Millionenpublikum begeisterte – lange bevor Radio und Kino und später dann Fernsehen und Internet den Zeitungen und den Comics als Massenmedien Konkurrenz machten und die „Katzenjammer Kids“ an Bedeutung verloren.

Lebensgeschichten in Ich-Form

Der Zugang zu dieser Monografie ist allerdings – im Gegensatz zu ihrem Thema – alles andere als niedrigschwellig. Wer bisher wenig oder nichts über die „Katzenjammer Kids“, ihre Zeichner und die an ihrer Veröffentlichung noch Beteiligten wusste, muss bei der Lektüre Geduld mitbringen. Denn Braun und Eckhorst nehmen sich sehr viel Zeit, um die Biografien von Rudolph Dirks und seiner Zeitgenossen aufzufächern und deren Arbeiten kulturgeschichtlich einzuordnen.

Nur langsam wird klar, was sie alle miteinander verbindet und wer in dieser Geschichte welche Rolle gespielt hat. Hier wäre am Anfang eine Zusammenfassung hilfreich gewesen, die einen Überblick über das Thema vermittelt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Autoren eine Stilform gewählt haben, die für ihr explizit dokumentarisches Anliegen nicht immer hilfreich ist. Neben umfangreichen biografischen Fakten und Informationen zum politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext der Comic-Strips haben sie die meisten Lebensgeschichten der handelnden Personen mit semifiktionalen Passagen angereichert, in denen die Akteure in Ich-Form aus ihrem Leben erzählen. Das hat an einigen Stellen fast literarische Qualität, ist insgesamt aber eher problematisch.

So ist meist kaum nachvollziehbar, was Fakt und was Fiktion ist und woher die Autoren ihre Kenntnis der vermeintlichen Gedanken ihrer Akteure nehmen. Das ist vor besonders im Fall von Rudolph Dirks‘ jüngerem Bruder Gus irritierend, der eine Zeitlang an den „Katzenjammer Kids“ mitarbeitete. Gus Dirks war ein enorm talentierter Künstler, der mit dem von antropomorphen Tierfiguren bevölkerten „Bugville“ einen eigenen erfolgreichen Comic-Strip geschaffen hatte. Im Sommer 1902 nahm er sich mit 21 Jahren das Leben.

In dem ihm gewidmeten Kapitel lassen Braun und Eckhorst den Toten in einem langen Monolog darüber sinnieren, wie es dazu kam und ob dieser Schritt sinnvoll war. Das wirkt speziell an dieser Stelle unangemessen, zumal die von den Autoren recherchierten biografischen Fakten und in der Familie überlieferten Erzählungen ausgereicht hätten, ein lebendiges Bild von Gus Dirks zu zeichnen.

Trotz dieser Einschränkungen ist diese Monografie ein weiterer Meilenstein in der deutschsprachigen Comic-Geschichtsschreibung, die vor allem Braun in den vergangenen Jahren mit Ausstellungen und Katalogen zu den Wegbereitern der Kunstform wie Will Eisner und Winsor McKay sowie Themenbereichen wie Western- und Horror-Comics vorangebracht hat.

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