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Seiten aus der Graphic Novel „Ducks“ von Kate Beaton.

© Reprodukt/Zwerchfell

Barack Obamas Lese-Empfehlung „Ducks“: Der schonungslose Alltag auf Kanadas Erdölfeldern

Ihre autobiografische Erzählung „Ducks“ wird in Nordamerika gefeiert. In Kürze erscheint die Graphic Novel der Kanadierin Kate Beaton auch auf Deutsch.

Einen Tag vor Heilagabend 2022 begann das Smartphone von Kate Beaton (39) plötzlich fast pausenlos zu klingeln und zu brummen. „Ich dachte erst, mein Telefon wäre kaputt“, erzählte die kanadische Comic-Autorin kürzlich dem öffentlichen Radiosender CBC. „Doch es waren eine Million Menschen, die mir Botschaften schickten.“ 

Ein paar Minuten zuvor hatte der frühere US-Präsident Barack Obama eine Mitteilung an die mehr als 200 Million Follower auf seinen Social-Media-Kanälen geschickt: Eine Liste mit dem Titel „Barack Obama’s Favorite Books of 2020“.

Das war eine surreale Erfahrung.

Kate Beaton über Obamas Empfehlung und die Folgen

Auf Platz 9: Die autobiografische Graphic Novel „Ducks -Two Years in the Oil Sands“ von Kate Beaton. „Ich konnte das erst nicht glauben“, erzählt Beaton im Radio-Interview. „Das war eine surreale Erfahrung.“

Kate Beatons gezeichnetes Alter Ego in einer Szene aus der deutschen Ausgabe von „Ducks“, die im Juni 2023 erscheint.

© Reprodukt/Zwerchfell

In Nordamerika ist „Ducks“ nicht nur wegen Barack Obamas Empfehlung ein Bestseller. Zahlreiche Kritikerinnen und Kritiker waren ähnlich begeistert wie der Ex-Präsident: Kate Beatons Buch findet sich auf den Bücherbestenlisten 2022 von „New York Times“ über den „New Yorker“ bis zum „Time Magazine“.

Dadurch hat es in den US-amerikanischen Comic-Verkaufslisten schon seit Monaten einen stabilen Spitzenplatz. Und in Kanada führt es seit einigen Wochen die Bestseller-Liste im Bereich Sachbuch an.

Eine weitere Seite aus „Ducks“.

© Reprodukt/Zwerchfell

Jetzt soll die knapp 450 Seiten starke Erzählung über Kate Beatons Erlebnisse in den Erdöl-Feldern der westkanadischen Provinz Alberta auch auf Deutsch erscheinen: Ende Mai veröffentlichen es der Stuttgarter Zwerchfell-Verlag und der Berliner Verlag Reprodukt gemeinsam.

Beaton wird aus dem Anlass für einen Besuch in Deutschland erwartet, wo sie ihr Werk unter anderem bei öffentlichen Veranstaltungen in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und auf dem Comicfestival München (8.-11. Juni) vorstellen will. Begleitet wird sie dabei nach Angaben ihres Verlages von der Poetin Lindsay Bird, die in „Ducks“ eine Rolle spielt, weil sie wie Beaton in den Ölfeldern gearbeitet hat.

Das Buch gibt einen seltenen Einblick in die für die Öffentlichkeit weitgehend verschlossene Welt der abgelegenen Erdölfelder im Norden Albertas. Dort hat Kate Beaton, die aus Cape Breton Island an der kanadischen Ostküste stammt, nach dem Studium zwei Jahre lang in der Materialausgabe und in Bürojobs gearbeitet, um den Kredit für ihr Studium abzuzahlen.

Kate Beaton ist mit dem Webcomic „Hark! A Vagrant“ populär geworden.

© Notker Mahr

Ihr Bericht über jene Zeit dokumentiert schonungslos den harten Alltag der Menschen, die in der Öl- und Gasförderung arbeiten, ihren oft brutalen Umgang miteinander und vor allem gegenüber Frauen sowie den Raubbau an der Natur durch die umstrittene Fördermethode des Fracking.

Dabei beschreibt Beaton mit großem Einfühlungsvermögen für die Menschen um sie herum und feinem Humor, welche großen psychischen und körperlichen Belastungen mit dem Leben in dieser Extremsituation für sie selbst und einige ihrer Kolleginnen und Kollegen verbunden waren.

Ihre Bilderfolgen sind auf das Wesentliche reduziert, ihr Strich ist klarer und konzentrierter als in früheren Arbeiten, die oft skizzenhaft und hingehuscht aussahen. Auch durch die konsequente Kolorierung mit abgestuften Grau- und Blautönen wirken ihre Bilderfolgen ausgereifter als alles, was man bisher von ihr kannte.

Eine weitere Seite aus „Ducks“.

© Reprodukt/Zwerchfell

Was „Ducks“ und Beatons vorige Comics verbindet, ist ein herausragendes Gespür für Dialoge, Timing und Pointen. Das macht die Graphic Novel trotz ihres schweren Themas und einiger schockierender Passagen zu einer leicht zugänglichen, unterhaltsamen Lektüre.

Das Buch schlägt viele Akkorde in perfekter Balance an.

Verlegerin Peggy Burns, Drawn & Quarterly 

„Das Buch schlägt viele Akkorde in perfekter Balance an“, sagt Kate Beatons Verlegerin Peggy Burns vom Montréaler Verlag Drawn & Quarterly im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Es ist eine persönliche Geschichte, aber auch eine universelle.“ Beaton verarbeite zwar eine explizit kanadische Erfahrung, die aber viele universale Themen anspreche, darunter das Verhältnis zwischen Land- und Stadt-Bevölkerung und zwischen Arbeitern und Angestellten.

Beaton vermittle ihre Erlebnisse mit Empathie und Wut, ohne dabei undifferenziert zu sein, hebt Peggy Burns hervor: „Es hätte leicht eine eher didaktische Geschichte werden können: Männer sind schlecht! Öl ist schlecht! Aber Kate hat sich große Mühe gegeben, die Nuancen einzufangen.“

Zeichnerisch hat sich Kate Beaton seit „Hark! A Vagrant“ sichtlich weiterentwickelt. Hier eine weitere Szene aus „Ducks“.

© Reprodukt/Zwerchfell

„Ducks“ ist im Programm des 1990 gegründeten Verlages, der sich auf anspruchsvolle Comic-Erzählungen und Avantgarde-Illustrationskunst spezialisiert hat, der schnellste Bestseller der bisherigen Verlagsgeschichte.

Eine Geschichte aus der Arbeiterklasse wie diese ist bisher noch nicht in Comicform erzählt worden.

Peggy Burns

„Obamas Empfehlung hat den Verkäufen dann nochmal sehr geholfen“, sagt Burns. „Normalerweise stoppt der Verkauf in den Geschäften zu Weihnachten, aber wir haben das Buch über die Feiertage und im Januar weiter ausgeliefert.“

Kate Beaton war schon vor „Ducks“ eine beliebte Autorin. Fast zehn Jahre lang hat sie in ihrem vielfach ausgezeichneten Webcomic „Hark! A Vagrant“ Literaturklassiker und andere kulturelle Werke persifliert sowie fröhlich die Geschichte der Welt und ihres Heimatlandes Kanada umgeschrieben.

Die Strips wurden in gesammelter Form auch als Bücher veröffentlicht und standen einige Monate lang auf Platz 1 der Comic-Bestsellerlisten der „New York Times“. 2021 ist nach dem Buch „Obacht! Lumpenpack“ ein zweiter Sammelband der 2018 beendeten Serie auf Deutsch im Zwerchfell-Verlag erschienen: „Zur Seite, Kerl!“

Kate Beaton: „Ducks“, deutsche Ausgabe ab 13. Juni 2023, Übersetzung Jan Dinter, Lettering Stefan Dinter und Lara-Sophie Ludwig, Zwerchfell/Reprodukt, ISBN 978-3-95640-383-5, 448 Seiten, zweifarbig, 17 x 23 cm, Hardcover, 39 Euro.

© Reprodukt/Zwerchfell

Durch diese Reihe hatte Beaton bereits eine große Anhängerschaft vor allem in Kanada und den USA. Allerdings sei „eine Geschichte aus der Arbeiterklasse wie diese bisher noch nicht in Comicform erzählt worden“, sagt Burns, was den Erfolg des neuen Buchs schwerlich vorhersehen ließ.

„Ich denke, Ducks zeigt, dass die Gesellschaft in der Lage ist, differenzierte Gespräche über schwierige Themen zu führen“, sagt Burns. „Kate macht deutlich, dass die Dinge nicht immer nur gut oder schlecht sind.“

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