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Autobiografischer Comic „Zurück in die Heimat“: Abschied von Deutschland, Neuanfang in Argentinien

Nacha Vollenweider hat nach sechs Jahren Europa den Rücken gekehrt. In ihrem neuen Buch verarbeitet sie den Wechsel und reflektiert über globale Fragen. 

„Warum bist du zurückgekehrt?“ diese Frage wird der Autorin der autobiografischen Graphic Novel „Zurück in die Heimat“, Nacha Vollenweider, die sechs Jahre in Deutschland gelebt hat, häufig gestellt. Was heißt es für sie, nach Argentinien zurückzugehen? Was, das Leben, das sie sich in Deutschland aufgebaut hat, aufzugeben?

Vollenweiders zweite bei avant erschienene Graphic Novel regt dazu an, Beobachtungen zu machen und sich selbst Fragen zu stellen. Eine Schau von Orten, Erfahrungen, Erinnerungen, persönlich und gleichzeitig Teil des Weltgeschehens.

Zurück in Argentinien fällt der Erzählerin das Ankommen nicht schwer, das Altvertraute bietet Natürlichkeit – Nacha Vollenweider genießt die Vertrautheit mit Sprache, Mentalität und Umgebung und den immer blauen Himmel. Die Landung in der neuen-alten Realität ist also nicht schwer, trotz der schlechten wirtschaftlichen Situation, die das Land seit Jahren im Griff hat – auch sie ist Teil des Altvertrauten. „Das ist meine dritte Wirtschaftskrise“, stellt sie fest.

Beobachtungen und Fragen: Eine Seite aus „Zurück in die Heimat“.

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Beim Bummel durch ihr Viertel in Córdoba kommt sie an Schaufenstern vorbei, die Hinweise auf die Krise geben: „Werte Kunden, wenn Sie kein Geld haben um etwas zu konsumieren, bitte beachten: Wir lassen nicht anschreiben“. Nacha Vollenweider erinnert sich an die Krise in ihrer Kindheit, die Proteste vor den Banken, die die Sparguthaben ihrer Klient*innen mit Abhebebeschränkungen zurückhielten.

Leider sind – wie zuvor der obige Hinweis – die Transparente im Buch ohne Übersetzung gezeigt, so dass Lesenden, die des Spanischen nicht mächtig sind, derlei für die Botschaft des Buches nicht unwichtige Details entgehen.

Nacha Vollenweider hat ersparte Euro im Gepäck und damit einen Puffer, über den die meisten in dem Viertel nicht verfügen. Sie fragt sich, wie es für diese Menschen ist, unter diesen Bedingungen den Alltag zu meistern - und wie es für sie selbst wird, wenn ihr Puffer aufgebraucht ist. Noch hat sie die besseren Karten. Noch.

Rückkehr als falsche Wahl

In der Frage nach dem Warum ihrer Rückkehr, schwingt so etwas wie Fassungslosigkeit mit, warum sich ein Mensch dafür entscheiden kann, das für Sicherheit und Wohlstand stehende Europa wieder zu verlassen. Etliche der Fragenden jedoch sind noch nie dort gewesen und wenn doch, dann als was? Als Tourist*innen oder als auf einen Aufenthaltstitel Angewiesene?

Eine weitere Seite aus „Zurück in die Heimat“.

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Das vermeintliche Paradies Europa hält für den Großteil der Menschheit Fremdsein mit schlechten Karten bereit. Nacha Vollenweider hat es erlebt – in Deutschland, wo ihre Eheschließung in Hamburg für die nicht EU-Angehörige für den Aufenthaltsstatus entscheidend ist. Nach der Scheidung von ihrer deutschen Frau hat die Erzählerin große Angst wegen ihres Status: Rückkehr – ein Fallen.

Über solch einen Misserfolg – von außen oberflächlich vielleicht betrachtet als Ungeschick bei der Handhabe von Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Ort, Job, nahen Menschen – bestimmen unsere Aufenthaltsgesetze. All das nimmt ungleich rascher existenzielle Dimensionen an, wenn qua Gesetz kaum eine Wahl besteht. Und was macht so etwas mit einer Liebesbeziehung?

Das Titelbild des besprochenen Buches.

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Der Versuch, in Belém, Brasilien, wieder die Nähe zu ihrer Frau zurückzugewinnen, scheitert. In Belém ist Nacha als Argentinierin eine Touristin zweiter Klasse, ihre deutsche (Ex-)Partnerin dagegen ist in ihrem Fremdsein privilegiert als interessante europäische Ausländerin. Vollenweider reflektiert über Weltgeschichte und die Vorstellungen, die sich im Gefüge „Erste Welt“ und die „Anderen“ gebildet haben – Exotisierung, Rassismus und Ungleichheit in ihrer Intersektionalität.

Das Buch ist aber alles andere als harter Stoff oder eine trockene Lektüre, denn bei allem ist die Autorin stets Flaneurin, sie nimmt mit an ihre Aufenthaltsorte und lässt an ihren Beobachtungen teilhaben – eine Nutzung des Mediums Comic, das die Schülerin von Anke Feuchtenberger an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg hervorragend beherrscht, wie sie bereits in „Fußnoten“, ihrer Abschlussarbeit (avant, 2017) unter Beweis stellte.

Ein wichtiger, in beiden Graphic Novels von Nacha Vollenweider präsenter Einfluss ist Feuchtenbergers Methodik der Flaneurin, die Vollenweider mit dem ihr eigenen klaren Tuschestrich und den nüchternen, flächigen schwarz-weiß Zeichnungen sehr gekonnt anwendet.

Wo sie sich bewegt und was sie sieht, bildet sie ab, stellt die großen Zusammenhänge anhand des Alltäglichen her, dem stillgelegten Mahlwerk, dem Hinweis im Schaufenster, den Eisenbahnschienen, dem Kommentar der Obsthändlerin, Geschichten und Gegenstände ihrer Oma. Ein feiner Comic-Essay, sehr ehrlich, anregend und klug.

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