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James Batchelor stammt aus Australien

© Foto: Morgan Hickinbothan

Choreograf James Batchelor: Reise in die Vergangenheit des Tanzes

Der Choreograf James Batchelor zeigt „Shortcuts to Familiar Place“ in den Sophiensälen - und ehrt damit seine Lehrerinnen.

Von Sandra Luzina

Der Choreograf und Tänzer James Batchelor legt den Fokus auf die Bewegungsforschung. Damit hebt sich der Australier, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, auf wohltuende Weise ab von den Kolleginnen und Kollegen, die sich vor allem auf modische Diskurs kaprizieren. In seinem neuen Stück „Shortcuts to Familiar Places“ besinnt er sich auf das, was ihn künstlerisch geprägt hat. Der Tanzabend, der ein kurzes Solo mit zwei Duetten kombiniert, ist einerseits eine Selbstvergewisserung. James Batchelor zollt aber auch seinen Lehrerinnen Tribut - und gibt so einen Einblick in die Geschichte des modernen Tanzes in Australien.

Bevor Batchelor selbst auftritt, sieht man ein Video, das Ruth Osborne, die Lehrerin seiner Kindheit, beim Tanzen in ihrem Studio zeigt. Sie demonstriert den Stil von Gertrud Bodenwieser. Die österreichische Tänzerin, die als Wegbereiterin des Ausdrucktanzes gilt, floh 1938 vor den Nationalsozialisten nach Australien. Mit ihren innovativen Ideen inspirierte sie Generationen von australischen Choreograf:innen.

Batchelor ist ein feinsinniger Tänzer

Osborne erklärt dann, dass es auf den flow ankommt und auf die Empfindung der Bewegung. Kritisch merkt sie an, dass der Tanz früher leidenschaftlicher gewesen sei. In seinem Solo „Atmende Geste“ greift James Batchelor die Impulse der Pionierin auf. Ganz bedächtig entwickelt er sein Material. Begleitet wird er von dem Musiker Morgan Hickinbotham, der minimalistische Klänge erzeugt, indem er die E-Gitarre mit dem Geigenbogen bearbeitet.

Anfangs sind die Armbewegungen noch geführt, die Kreise und Wellenbewegungen werden größer und gehen in Schwünge über. Das tänzerische Vokabular ist zwar überschaubar, doch James Batchelor ist ein überaus feinsinniger Tänzer. Er kostet jede Geste und Bewegung aus, gestaltet Nuancen und Feinheiten und zieht die Zuschauer so in den Bann.

Der Abend geht noch weiter zurück in der Tanzgeschichte. Wunderbar ist die Video, dass die 107-jährige Eileen Kramer, eine Schülerin Gertrud Bodenwiesers, zeigt. Sie skizziert mit den Händen einen Ausschnitt aus deren Choreografie „The Waterlilies“. Sie taucht tief ein in ihre Erinnerungen, wirkt zugleich entrückt und verzückt.

Das Duett „Bodenwieser Remixed“ kreist um das Prinzip der Dualität. James Batchelor und Chloe Chignell wirken wie Spiegelungen, wenn sie sich synchron in entgegengesetzte Richtungen beugen und sich dann wieder zueinander neigen. Der Tanz, ein Wechselspiel aus Anspannen und Loslassen, wirkt organisch und zugleich präzise komponiert.

Eine Videocollage kombiniert dann verblasstes Archivmaterial mit Studioaufnahmen, in denen Batchelor, Ruth Osborne und Carol Brown den Bodenwieser-Stil verlebendigen. Sie mutet an wie eine Überblendung, wie der Versuch, etwas festzuhalten, was vergessen zu werden droht. Im zweiten Duett „Echoes of The Expressive Dance“ umkreisen Batchelor und Chignell einander, drehen sich um die eigene Achse und katapultieren sich in eine Art Trance.

Den Abend von James Batchelor and Collaborators könnte man fast altmodisch nennen. Doch wie der Australier an den Ausdruckstanz anknüpft, wie er dessen Philosophie verinnerlicht hat, wirkt überhaupt nicht anachronistisch. Klare Gestaltung, tiefe Empfindungen – das sieht man heute nicht mehr oft bei Tanzabenden der freien Szene.

Weitere Aufführungen in den Sophiensälen am 19. und 20. Oktober, 20 Uhr

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