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Kultur: Brutstätte

Ein Buch über die Frauen in Nordirlandkonflikt.

Die Religion war ein Vorwand: Alles andere als ein Religionskrieg sei der Konflikt in Nordirland gewesen, schreibt die Journalistin Marianne Quoirin, „sondern eher eine unglückliche Verkettung von Klassenkampf, Kolonialkrieg, religiösem Fanatismus und von puritanischem Spießertum“.

Die Journalistin hat der reichhaltigen Literatur zum Thema einen bisher vernachlässigten Aspekt hinzugefügt. Quoirin geht der Frage nach, warum Frauen sich mit Beginn der 1970er Jahre als Sympathisantinnen, Kuriere, Helferinnen, Lockvögel, Aktivistinnen für den bewaffneten Kampf um ein „befreites Irland“ zur Verfügung stellten.

Ein Aspekt am Rande? Ganz im Gegenteil. In manchen katholischen Vierteln Belfasts und Derrys beteiligte sich Anfang der 1970er Jahre die Mehrheit der Frauen „am Krieg gegen die Briten“, behaupten sympathisierende Kreise noch heute. Es gab viele Wege, um den Kampf der Irisch-Republikanischen Partei (IRA) für ein geeintes Irland zu unterstützen, sei es als Quartiersgeberin, als getarnte Mutter mit Kinderwagen, oder, in der schmutzigsten Variante, als Lockvogel für sexuell ausgehungerte britische Soldaten. „Tausende Frauen und Mädchen“ schlossen sich dem bewaffneten Kampf an, schreibt Quoirin, „einige Hundert“ seien interniert oder inhaftiert gewesen, nicht wenige hätten ihr Leben verloren.

In mehreren Porträts stellt die Autorin einige Lebenswege exemplarisch vor. Darunter sind viele Frauen aus begütertem, privilegiertem Haus, die sich dem politischen Kampf verschrieben. Ausgelöst durch die Erfahrungen mit der Gnadenlosigkeit britischer Besatzungssoldaten; ausgelöst durch verwüstende Haussuchungen, Vandalismus, Willkürtötungen, Pogromstimmung durch den protestantischen Mob; ausgelöst durch ein Leben im Ausnahmezustand. Der Blutsonntag von Derry radikalisiert viele weitere: Im Januar 1972 erschießen britische Soldaten dreizehn Zivilisten bei einer Demonstration. Der Blutsonntag ist auch das Fanal für die IRA, im März 1973 ihre Bombenkampagne in London zu beginnen. Der Terror soll auch im Land der Besatzer für Panik sorgen.

West-Belfast sei damals eine „Brutstätte für Terror und Gewalt“ gewesen, heißt es zu Beginn des Buchs: „hohe Geburtenraten, eine Arbeitslosenrate von 20 Prozent, niedrige Einkommen, hohe Jugendkriminalität, Alkoholismus und ein leidenschaftlicher Nationalismus …“Ursachen, die immer noch gegeben sind, erfahren wir gegen Ende des Buches. Das letzte Kapitel lautet deshalb auch „Der fragile Frieden“. Seit 1998 herrscht offiziell Frieden in Irland. Das Abkommen vom 22. Mai akzeptieren rund 70 Prozent der Nordiren, in der irischen Republik stimmen 94,5 Prozent dafür, dass die Republik keinen Anspruch mehr auf den Norden erhebt. Der gemäßigte Unionist David Trimble, Erster Minister Nordirlands, und sein Vize, John Hume, erhalten den Friedensnobelpreis. 2001 stimmt die IRA ihrer Entwaffnung zu, 2005 sind angeblich alle Waffen und Sprengstoff vernichtet.

Doch 2009 bomben Splittergruppen der IRA weiter. Und Frieden will in die Herzen der Menschen nicht einkehren. „Mehr als 3600 Menschen sind während der Unruhen getötet worden“, schreibt Quoirin, „die meisten von ihnen Zivilisten. Mindestens 1800 ungelöste Mordfälle beschäftigen die Menschen aus beiden Kommunen, die noch immer von tiefem Misstrauen der jeweils anderen Seite gegenüber geprägt sind. Zu den ungeklärten Verbrechen gehören auch Fälle, an denen die Polizei, Armee und Geheimdienste beteiligt waren“. Und beide Seiten, die IRA wie die britische Regierung, schweigen zur Vergangenheit. Das schürt weiterhin den Hass und die Ohnmacht in den Opferfamilien. Es gebe etwa 1600 ungesühnte Taten in einem Land so groß wie Schleswig Holstein, mit rund 1,5 Millionen Einwohnern.

Ihr Buch sei keineswegs ein „Plädoyer zur Verteidigung der Frauen in der IRA“, betont die Autorin im Vorwort. Ihr ginge es mit ihrer Bestandsaufnahme vielmehr um den „Versuch, sich ihrer Geschichte anzunähern“. Marianne Quoirin bündelt in den Porträts einzelne Etappen der Geschichte, lässt die Aussagen der Befragten und die Tatsachen für sich sprechen, verfasst in insgesamt 16 Kapiteln eine eindringliche Montage. Der Leser kann sich mit diesem Buch ein eigenes Urteil bilden.

- Anna Quoirin: Töchter des Terrors. Die Frauen der IRA. Rotbuch Verlag, Berlin 2011. 256 Seiten, 19,95 Euro.

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