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Kultur: Bitte nicht wegwerfen

In Marzahn und Hellersdorf ist die DDR-Kunst vom Abriss bedroht. Enthusiasten wollen sie retten

Zwei Enten, zusammengesetzt aus drei- und viereckigen Email-Platten, recken eitel ihre Hälse. Hund, Katz und Maus sind weltvergessen ins Spiel vertieft, die strahlenden Farben und die geschwungenen Formen ihrer Mosaiken erinnern an den Optimismus der Nierentisch-Ära. Hinter ihnen schwebt ein Schmetterling aus Aluminium, exakt so groß wie eine „WBS 70“-Platte, aus denen die Plattenbausiedlungen der DDR bestanden. Auf einem anderen, deutlich monumentaleren Mosaik hat sich ein Esel, Held einer Fabel von La Fontaine, ein Löwenfell übergezogen. Schräg darunter blöken zwei Robben. Oder sind es Fische, die nach Luft schnappen?

Im Innenhof des Bezirksamtsgebäudes an der Riesaer Straße in Hellersdorf ist ein prachtvoll-friedliches Bestiarium eingezogen, ein Kunst-Zoo auf Zeit. Die Mosaiken, Reliefs und Skulpturen stehen, geschützt durch ein Dach, auf einem Kragarmregal, das in der Einfachheit seiner Bauweise an einen größeren Fahrradständer erinnert. Sie stammen aus Gebäuden, die abgerissen, oder aus Parkanlagen, die umgestaltet wurden. Die Unterbringung in dem Open-Air-Depot hat die Kunstwerke, die einst zum Dekor der rasant entstandenen DDR-Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf gehörten, vor der Zerstörung gerettet. Mindestens drei Jahre lang soll das Kunst-Regal stehen bleiben. Es gibt noch Platz für Neuzugänge, „irgendwann werden die Stücke wie in einem richtigen Regal einander überlagern und sich gegenseitig verstellen“, sagt Thorsten Goldberg, einer der Initiatoren des Projekts.

Die Kunst im öffentlichen Raum hatte in der DDR neben der ideologischen auch eine ganz konkrete Funktion: Orientierung zu ermöglichen. Vor allem die Gestaltung von Schulen und Kindereinrichtungen sollte farbige Akzente in den weitgehend unbegrünten Neubausiedlungen Marzahn und Hellersdorf setzen. In den fensterlosen Eingängen der so genannten „Kinderkombinationen“ (KiKos), die Kindergarten und -krippe in einem waren, gab es „Hauseingangszeichen“, die mit ihren Darstellungen von Tieren, Märchenwesen oder Clowns für leichte Wiedererkennbarkeit sorgten. Viele Kindergärten und Schulen verschwanden, weil Marzahn und Hellersdorf, die 2001 zu einem Bezirk zusammengelegt wurden, nach der Wende fast ein Fünftel ihrer Einwohner verloren haben. Das La–Fontaine-Mosaik im Schaudepot, mit „ho 80“ signiert, hatte der Künstler Peter Hoppe 1980 für die inzwischen abgerissene Schule am Teterower Ring gefertigt. Die den Charme der fünfziger Jahre verströmenden Hund- und Katze-Mosaiken hingen an einer Kinderkombination an der Peter-Huchel-Straße, Achim Kircher lieferte sie – Überraschung! – 1990.

Eine vom Bezirk eingesetzte Kommission hat vor anderthalb Jahren begonnen, die Kunstwerke im öffentlichen Raum von Marzahn und Hellersdorf zu dokumentieren. Ellena Olsen, Martin Schönfeld, Andreas Sommerer und Thorsten Goldberg haben jetzt, gefördert mit EU-Geldern, einen 300-seitigen Reader vorgelegt, der akribisch Bilder, Daten und Fakten zu 220 Arbeiten versammelt, die in den letzten 25 Jahren entstanden. „Zwischenablage“ heißt eine umfangreiche Ausstellung, mit der sie ihre Ergebnisse im Hellersdorfer Ausstellungszentrum „Pyramide“ präsentieren. „Wir wollen die Werke retten und aufbewahren, nicht weitervermitteln“, sagt Goldberg. „Sie an andere Gebäude umzuhängen wäre kontraproduktiv, weil es neue Äußerungen von Künstlern verhindern würde.“ Goldberg hat selber schon im öffentlichen Raum von Hellersdorf gearbeitet. Seit zehn Jahren schmücken zwei riesige Barcode-Strichzeichen und die Neon-Schriftzüge „griffhöhe“ und „reichweite“ die Fassade eines Hochhauses an der Riesaer Straße.

Erich Honecker hatte 1971 auf dem VIII. Parteitag der SED versprochen, die „Wohnfrage“ in der DDR bis 1990 zu lösen. Damit war der Startschuss für eines der größten Stadtbauprogramme der Moderne gefallen. In der 1973 begonnenen Großsiedlung Marzahn entstanden bis 1989 fast 60 000 Wohnungen. In der benachbarten Großsiedlung Hellersdorf, ab 1979 in weniger starker Verdichtung gebaut, konnten bis 1989 von geplanten 46 000 rund 34 000 Wohnungen vollendet werden. Eine „politische Überformung der architektonischen Kunst“ wurde zwar bestritten, aber die Anweisungen für die Künstler, die zur Aufhübschung der Plattenbau-Monotonie beitragen sollten, waren durchaus parolenhaft. Der Leitsatz für das Marzahner Wohngebiet 3 lautete 1984 „Frieden – durch die Kraft der Gemeinschaft der Kommunisten“, 1986 sollte in Hellersdorf „Wert, Schönheit und Poesie des Lebens im Sozialismus“ dargestellt werden.

Staatskünstler Walter Womacka lieferte Entwürfe für gewaltige Mosaikbilder mit aufbauenden Titeln wie „Frieden“ (1988) oder „Arbeit für das Glück des Menschen“. Selbstverständlich durften die Clara-Zetkin-Büsten und ausgemergelten Heimkehrer-Skulpturen nicht fehlen, aber es überwog Dekoratives, Abstraktes und Harmloses wie die Darstellung Lausitzer Fastnachtsbräuche.

Aufschlussreicher noch als die Fotografien der Bilder und Plastiken sind die Originalentwürfe, die die Ausstellung in einem eigenen Kabinett zeigt. Dieter Gantz vereinte 1983 „Erfindungen, die das Leben bereichern“ für ein Wandbild an der 49. Oberschule (heute: Wilhelm-Busch-

Grundschule) am Parsteiner Ring: Autos, Schiffe, Flugzeuge, aber auch das Zielfernrohr eines Gewehrs. „Die Skizzen“, schrieb er, „versuchen zu verdeutlichen, dass das Thema inhaltlich dialektisch betrachtet werden muss.“ Sein Kollege Siegfried Schütze arbeitete Mitte der siebziger Jahre an einer Figur, die das Thema „Auf den Flügeln der Phantasie“ auf eine Hauswand bannen sollte. „Starke Farbintensität“, „klare Konstruktion“, „zeichenhaft“, lauten Notizen. Und: „Sprung in die Zukunft“. Die Figur fällt kopfüber ins Nichts.

Zwischenablage, Ausstellungszentrum Pyramide, Riesaer Str. 94 (Hellersdorf), bis 25. August, Mo–Fr 10–18, Do bis 20 Uhr. Verkehrsverbindung: U 5 bis Hellersdorf, danach mit der Tram M6, 18.

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