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Utopie. Hundemensch Sharikov enttäuscht seine Erschaffer.

© Jean-Pierre Estournet

Kultur: Bezaubernde Mischung inszeniert Bulgakows „Hundeherz“ in der „fabrik“

Hingeworfen und doch trefflich wirkt dieses Eingangsbild, das eine Moskauer Straßenszene im Winter 1924 beschreibt: Da steigt Kunstnebel auf, heult von irgendwo Wind, rieselt Schnee aus Papierschnipseln zu Boden und rennen dick vermummte Gestalten hin und her, als ein bizarr maskierter Koch einen Kübel Abfälle auf die Bühne schüttet, über die sich eine von zwei Schauspielern geführte, verblüffend lebensechte Puppe eines großen halbverhungerten Straßenköters schleppt. Ein Herr im Pelzmantel tritt hinzu, lockt das arme Tier mit einem Wurstzipfel bis zu sich nach Haus.

Hingeworfen und doch trefflich wirkt dieses Eingangsbild, das eine Moskauer Straßenszene im Winter 1924 beschreibt: Da steigt Kunstnebel auf, heult von irgendwo Wind, rieselt Schnee aus Papierschnipseln zu Boden und rennen dick vermummte Gestalten hin und her, als ein bizarr maskierter Koch einen Kübel Abfälle auf die Bühne schüttet, über die sich eine von zwei Schauspielern geführte, verblüffend lebensechte Puppe eines großen halbverhungerten Straßenköters schleppt. Ein Herr im Pelzmantel tritt hinzu, lockt das arme Tier mit einem Wurstzipfel bis zu sich nach Haus. Und damit in die Falle.

Denn der vornehme Herr ist eine Art russischer Doktor Frankenstein, der dem Hund alsbald die Organe eines Menschen verpflanzt, um ihn zum gesellschaftstauglichen Subjekt zu erziehen. Doch das Experiment misslingt, der Hundemensch entwickelt sich nicht im Sinne seines Schöpfers, sondern wird rasch zur unerträglichen Plage. Eine für ihn typische, herrlich groteske Geschichte, die Michail Bulgakow da in seiner Erzählung „Hundeherz“ (1925) entwirft. Ein Stoff, den das internationale Wandertheater Ton & Kirschen aus Glindow in einer bezaubernden Mischung aus Volkstheater, Marionettenspiel, Musik und Objektkunst inszeniert hat. Am Freitagabend feierte ihr Stück „Hundeherz“ in der ausverkauften „fabrik“ seine viel bejubelte Premiere.

Es ist ein sprühend lebendiges Spiel. Alles ist in Bewegung, vieles scheint gleichzeitig zu passieren. Fast alle Darsteller übernehmen mehrere Rollen, wechseln ihre meist historisch gehaltenen Kostüme oft im Minutentakt und beteiligen sich an den Bühnenumbauten, die wie beiläufig vorgenommen und doch wirkungsvoll ins Spiel integriert werden. Rob Wyn Jones etwa, der den grimmigen Knallikow, einen Kontrolleur der Moskauer Wohnungsgesellschaft, dann einen skurrilen Patienten und im nächsten Moment schon wieder Doktor Bormenthal, den treuherzigen Assistenten des kauzig versnobten Schönheitschirurgen Professor Preobraschenski, spielt, platziert bei seinem Auftritt noch rasch ein Tischchen mit Telefon auf der Bühne. Ein von Daisy Watkiss entworfenes Bühnenbild, das vorn mit eher wenigen, gezielt eingesetzten Requisiten auskommt und nach hinten von zwei langen Vorhängen abgegrenzt wird, die im Stückverlauf an verschiedenen Stellen gelüftet werden. So verwandelt sich flugs und geschickt die Wohnung des Professors wieder in sein Praxiszimmer. Und wie ein Konzertmeister dirigiert dieser von David Johnston großartig gespielte Chirurg Preobraschenski dort die grausige, von grellem Neonlicht beschienene und düsteren Sounds untermalte Operation des Straßenköters, aus dem nach kurzer Zeit ein Mensch wird. Doch enttäuscht dieser von Leon Nelson hinreißend und mit Verve gespielte Hundemensch namens Sharikov seine Erschaffer von Anfang an. Nicht nur, dass er ihnen Geld stiehlt, sich betrinkt oder Zina, die medizinische Assistentin (fabelhaft: Polina Borissova) bedrängt. Überdies fordert er einen Personalausweis, erhebt Anspruch auf Wohnfläche im Haushalt des Professors und droht obendrein, seinen Gönner für dessen bürgerlichen Lebenswandel zu denunzieren.

Dass Bulgakows satirischer Text „Hundeherz“ nicht nur die Evolutionsutopisten der frühen Sowjetunion treffen sollte, sondern auch heute noch hochaktuelle Gültigkeit besitzt, wissen Margarete Biereye und David Johnston in ihrer neuen Regiearbeit bestens umzusetzen. Allein schon der tosende Publikumsbeifall, der alle Darsteller nach 90 Minuten mehrmals auf die Bühne fordert, beweist dies eindrücklich. Daniel Flügel

Die nächsten Vorstellungen finden am Freitag, dem 21. November, Samstag, dem 22. November, jeweils um 20 Uhr, und am Sonntag, dem 23. November um 16 Uhr in der „fabrik“ Potsdam, Schiffbauergasse 10, statt.

Daniel Flügel

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