zum Hauptinhalt
Sonja Heiss und Camille Loup Moltzen beim Dreh zu „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“

© Warner Bros.

Berliner Regisseurin Sonja Heiss: Niemand ist doch ganz normal

Sonja Heiss hat eine Schwäche für menschliche Marotten. Nun hat die Berlinerin Joachim Meyerhoffs „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ verfilmt.

Von Kirsten Taylor

Kurz ist der Monitor schwarz, dann ploppt das Zoomfenster auf und da ist sie: Sonja Heiss, die vor sieben Jahren für ihre Tragikomödie „Hedi Schneider steckt fest“ gefeiert wurde und 2017 mit ihrem Debütroman „Rimini“ einen Bestseller geschrieben hat. Sie sitzt auf einem Sofa und wirkt sehr entspannt, die dunklen Haare fallen ihr über die Schultern.

Es ist das dritte Interview des Tages. Sie lächelt – und gewinnt augenblicklich. Die Verandatür steht offen und lässt sonnenwarmes Licht ins Zimmer. „Schauen Sie mal“, Heiss dreht die Kamera, und man sieht Palmen und üppiges Grün anstatt der kahlen Äste, die sich derzeit in den Berliner Winterhimmel bohren. „Manchmal fragt man sich schon, warum man sich das antut“, sagt sie mitfühlend.

Gerade schreibt Sonja Heiss auf Lanzarote an ihrem zweiten Roman, aber bald geht es zurück. Am Freitag eröffnet ihr dritter Spielfilm „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ die Reihe Generation 14plus. Es ist bereits ihre dritte Berlinale-Einladung: 2007 debütierte sie mit „Hotel Very Welcome“ (ihr Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen), 2015 feierte „Hedi Schneider steckt fest“ auf dem Festival seine Premiere.

Unbeschwerte Kindheit neben einer psychiatrischen Klinik

Nun also die Verfilmung des gleichnamigen, autobiografischen Romans von Joachim Meyerhoff, der 2019 vom Wiener Burgtheater an die Schaubühne gewechselt ist. Aufgewachsen ist Meyerhoff auf dem Gelände der größten psychiatrischen Klinik Schleswig-Holsteins, die sein Vater jahrelang geleitet hat. So wächst nicht jeder auf. Nachts, so erzählt er in seinem Buch, hört er die Schreie der Patienten, ohne die er irgendwann gar nicht mehr einschlafen kann.

Zu Familienfeiern lädt der Vater, im Film von Devid Striesow gespielt, seine „Lieblingspatienten“ ein, die erste Liebe des siebenjährigen Joachim ist ein Mädchen, das „sehr, sehr traurig ist“. Abgesehen vom trockenen Humor hat Sonja Heiss beim Lesen vor allem das Idyll einer skurrilen, aber irgendwie auch alltäglichen Familie fasziniert, das sich als sehr brüchig erweist. „Es wird viel falsch gemacht in dieser Familie, aber am Ende steht da ein Verzeihen, und das hat mich sehr berührt.“

Die Geschichte der Meyerhoffs und des jüngsten Sohnes Joachim, genannt Josse, den manchmal Wutanfälle schütteln, scheint wie gemacht für Heiss. Sie hat ein Gespür für menschliche Schwächen und Sehnsüchte. Da sind etwa die jungen Rucksacktouristen in „Hotel Very Welcome“, die auf der Suche nach Sinn oder Spaß durch Asien reisen und sich dabei fast selbst verlieren.

Auch in ihren Büchern, im Familienroman „Rimini“ sowie in ihrem ersten Buch, dem Erzählband „Das Glück geht aus“ von 2011, geht es um uneingestandene Marotten, etwa die einer jungen Frau, die ständig Dinge tut, die sich eigentlich gar nicht machen will. Man mag sich darin wiedererkennen und beruhigt sein. Oder aber extrem beunruhigt.

Und natürlich gibt es Hedi Schneider, gespielt von Laura Tonke, die für die Rolle mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Hedi ist eine Frau Mitte 30, glücklich liiert und mit Kind, die dem Leben immer ein Lächeln entgegenzaubert und urplötzlich von Panikattacken niedergeschmettert wird. Fortan bestimmt die Angst vor der Angst ihr Leben. „Ich hätte nie gedacht, dass du mal so etwas bekommst“, sagt Hedis Mutter. Psychisch krank sind immer die anderen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Sonja Heiss erzählt von Hedis Zustand mit schonungsloser Ehrlichkeit, schaut aber zugleich voller Empathie und zärtlichem Humor auf diese Frau und überhaupt auf all ihre Figuren, die ein wenig neben der Spur laufen. Wobei sie das „Neben der Spur“ nicht stehen lassen will: „Wenn man ganz genau hinguckt, dann ist niemand normal.“ In „Wann wird es wieder so, wie es nie war“ liefern sich der Professor und seine Frau einmal einen Schlagabtausch: Sie will mal eine Party mit normalen Leuten, will „die Jakobs, die Henkels, die Eckmanns“ einladen. „Als ob die Henkels normal wären!“, beendet er die Diskussion. Es ist eine von Heiss’ Lieblingsszenen.

Szenenfoto „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von Sonja Heiss 

© Warner Bros.

Dass auch sie selbst unter Angststörungen gelitten hat, verheimlicht Sonja Heiss nicht. Das war lange bevor Kurt Krömer offen über seine Depression gesprochen hat. „Und wenn es jemand getan hat, dann war alles ganz schrecklich!“ Heiss setzt dem Schrecken in ihren Filmen ein Ich-lache-trotzdem entgegen. Möglicherweise hat dieser Blick aufs Leben auch Meyerhoff überzeugt, der lange zögerte, die Filmrechte für sein Buch zu vergeben – und ihr dann in der Drehbuchphase sogar beratend zur Seite stand.

Zusammengearbeitet hat die Regisseurin wieder mit der Produzentin Janine Jackowksi, die 1999 mit Maren Ade Komplizen Film gegründet hat. Die drei Frauen kennen sich seit Studientagen in München, Heiss war Regieassistentin bei Ades Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ von 2003. Auch Laura Tonke ist wieder dabei und spielt die Rolle der Mutter, die Heiss im Drehbuch ausgebaut und noch sichtbarer gemacht hat. Besonders wichtig war ihr aber eine inklusive Besetzung. Fast alle Patienten der Klinik werden von Laienschauspielern gespielt. „Bei der Recherche ist mir aufgefallen, dass Menschen mit Behinderung in Filmen eigentlich immer gleich dargestellt werden“, sagt sie. „Aber sie sind genauso unterschiedlich wie alle anderen auch, und das möchte ich zeigen.“

Sie gibt zu, dass sie nicht unbedingt eine Teenager-Publikum vor Augen hatte, als sie „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ schrieb und drehte. „Meine Tochter ist 14 und will lieber ,Rheingold’ von Fatih Akin sehen.“ Aber irgendwie passt es sehr gut. Ihr Film erzählt über drei Jahrzehnte hinweg von kleinen und großen Verlusten, von der ersten Liebe, vom Erwachsenwerden und davon, wie Familie einen schwach und zugleich stark machen kann.

Damit können junge wie erwachsene Zuschauer etwas anfangen. „Ich finde es ganz toll, dass der Film 14plus eröffnet“, sagt Sonja Heiss. Ein wenig Lampenfieber hat sie auch, obwohl es bereits ihre dritte Berlinale ist. Aber das findet sie ganz ... normal. Oder etwa nicht?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false