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Die Kippen gönnt er sich noch, sonst hat er allem abgeschworen: Benjamin von Stuckrad-Barre, hier auf einer Lesung in Hamburg.

© Daniel Reinhardt/dpa

Benjamin von Stuckrad-Barre im Lindenpark: Haschisch für Rio Reiser

Benjamin von Stuckrad-Barre las am Donnerstagabend im Lindenpark aus seiner Autobiografie „Panikherz“. Ein wildes Buch, das zugleich Warnung und Sehnsucht sein sollte.

Potsdam - Hoch und runter, auf und ab: Menschenskind, was für ein Leben, auf das der Anfangvierziger Benjamin von Stuckrad-Barre zurückblicken kann. Ach was, zurückblicken: Diese Perspektive, die eigentlich eine Retrospektive ist, war doch für den Autor und Journalisten, der immer nur im Hier und Jetzt unterwegs war, nie ein Thema. Was will man denn mit Zukunft, wenn die Gegenwart so herrlich ungefiltert auf einen niederprasselt.

Und irgendwann wird dieses permanente Prasseln zu einem Klopfen, das sein Zerstörungspotenzial mit ungeahnter Wucht entfaltet. Vielleicht war von Stuckrad-Barre, der Pastorensohn aus der Provinz, dabei nur das willkommene Opfer, vielleicht war diese Sucht, die sich irgendwann zwischen Leben und Erleben einpendelte, einfach nur zu groß. Auf jeden Fall hat dieser hagere, latent nervöse Sprachkünstler Glück gehabt. Glück, eine Kanalisierung für seine Begabung entdeckt zu haben. Und Glück, heute einfach nur noch am Leben zu sein.

Abgesang auf einen selbst

Am Donnerstagabend las der Autor aus seiner in Anekdoten zerstückelten Autobiografie „Panikherz“, und folgerichtig stellte er gleich fest, dass Autobiografien doch nicht mehr als Abgesänge auf einen selbst sind. Kippe an: Ein bisschen fahrig ist er, eine Hyperaktivität, die permanent aus seinem großen Kopf und seinen riesigen Pfoten austritt, und deren kreative Gehirnkurzschlüsse er schon immer in Worte zu gießen versuchte. Witzige Geschichtchen darüber, wie er als selbst ernannter Taugenichts versuchte, ein Mitspracherecht in Sachen Kultur zu erringen; als Autor für Stadtmagazine, später als Produktmanager bei Plattenlabels, Gagschreiber für Harald Schmidt – und 1998 als Durchbruch mit seinem Debütroman „Soloalbum“, das allgemein als Geburtsstunde der deutschen Popliteratur gehandelt wird.

Es ist diese Aufwärtsspirale aus Ruhm und Geld, die ihn schließlich als drogendurchflutetes Wrack enden lässt, eine körperliche Hülle, auf der ein flimmernder Kopf sitzt, der sich nur noch durch Koks und Suff mit dem Rest verbunden fühlt. Das ist –zumindest im Buch - so herrlich schräg und witzig; gerade wenn er mit seiner sonoren Stimme ein Leben Revue passieren lässt, das statistisch noch nicht mal zur Hälfte um ist. Und wieder Kippe an: Unterdessen vor der Bühne verhaltenes Lachen über die irrationalen Erinnerungen daran, wie Rio Reiser Haschisch besorgt wurde, über das „Rumwurschteln in den Aurazonen der Rockstars“, ein leichtfüßiger, glitzernder Zynismus. Die Realität endet schließlich in der Entzugsklinik, unter „Tour-de-France-Bedingungen“. Abstinenz ist dann irgendwann die neue Herausforderung, seit zehn Jahren klappt das schon. Weil es muss.

Udo Lindenberg als ständiger Begleiter

Na gut, noch eine Kippe an: Der nikotinöse Beruhigungsmechanismus lässt tief blicken, wie es vielleicht im Schädel eines Genies aussehen könnte, dessen eigentliche Sucht sein Mitteilungsbedürfnis ist. Vielleicht war es gerade dieses Glück, dass die Ikone Udo Lindenberg sein ständiger Begleiter war, zumindest in der fiktiven, verrauschten Erinnerung eines Panikherzens wie dem von Stuckrad-Barre. Aber er ist ja noch da, Gott sei Dank: Und mit ihm dieses wilde, großartige Buch – das zugleich Warnung und Sehnsucht sein sollte.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz. Kiepenheuer & Witsch, 576 Seiten, 22,99 Euro. 

Oliver Dietrich

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