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Jean-Luc Godard beim Filmfestival in Cannes 2004

© Foto: AFP/Boris Horvat

Update

Begründer der Nouvelle Vague : Regisseur Jean-Luc Godard ist tot

Der französisch-schweizerische Filmemacher gehörte zu den einflussreichsten Regisseuren des europäischen Kinos. Nun ist Godard im Alter von 91 Jahren gestorben.

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Der französisch-schweizerische Filmregisseur Jean-Luc Godard ist tot. Er starb am Dienstag im Alter von 91 Jahren, zu Hause in Rolle am Genfer See im Kreise seiner Familie. Godard war einer der einflussreichsten Filmregisseure und ein führender Vertreter der sogenannten „Nouvelle Vague“ des französischen Films. Wegen seiner zahlreichen Krankheiten habe er die in der Schweiz legale Beihilfe zum Suizid in Anspruch genommen, erklärte Patrick Jeanneret, ein Berater der Familie. Nach Angaben der Familie ist keine offizielle Trauerfeier geplant.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würdigte ihn auf Twitter. „Jean-Luc Godard, der größte Bilderstürmer unter den Filmemachern der Nouvelle Vague, hat eine äußerst moderne und sehr freie Kunst erschaffen“, schrieb Macron und nannte Godard einen „nationalen Schatz“. Dazu veröffentlichte er ein Foto, das Godard mit seiner typischen Hornbrille und Filmkamera zeigt.

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Mehr als 60 Filme hat Godard realisiert, den die einen den Gott des intellektuellen Films nannten, die anderen den freiesten Denker des Kinos: über 40 Spielfilme, Kurzfilme, experimentelle Dokumentarfilme, hochintellektuelle Essayfilme und Musikvideos. Bei etlichen firmiert er auch als als Drehbuchautor oder als Ko-Regisseur.

Zu seinen bekanntesten Werken zählten sein Langfilmdebüt „Außer Atem“ mit Jean-Paul Belmondo 1959, „Die Verachtung“ mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli, „Eine verheiratete Frau“ und „Elf Uhr nachts“ . Als er “Außer Atem“ drehte, war er der Öffentlichkeit unbekannt und völlig abgebrannt. Der Film, zu dem Francois Truffaut das Drehbuch schrieb, wurde ein Meisterwerk, und der in Paris geborene Sohn eines Schweizer Arztes galt über Nacht als Genie.

Statt wie üblich im Studio zu drehen, hielt Godard die Cafés und Straßen mit seiner Handkamera fest, vor der sich Belmondo frei bewegte. Seine Schnitte folgten weder Regeln noch einem Rhythmus. So revolutionierte er die Filmsprache und experimentierte seitdem unermüdlich mit Form, Inhalt und den Sehgewohnheiten der Zuschauer. Er brauche seine Freiheit. Und die bekomme er, indem er eine gewisse Verwirrung stifte und mit den herkömmlichen Regeln spiele, lautete sein Credo.

Er war Mitbegründer der Nouvelle vague und blieb doch auf Distanz

Unter den Protagonisten der „Nouvelle Vague“ war er der provokativste, als Mitstreiter von Truffaut, Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jacques Rivette, der zu den anderen Erneuerern und Individualisten des französischen Kinos dennoch auch auf Distanz blieb. Nachdem die Gruppe Anfang der 60er Jahre die Filmzeitschrift „Cahiers du Cinéma“ gegründet hatte, überwarf sich Godard später mit Truffaut und trennte sich zunehmend von der Gruppe.

Godard mit Alain Delon und der italienischen Schauspielerin Domiziana Giordano bei der Premiere seines Films „Nouvelle vague“, 1990 in Cannes

© Foto: AFP/Patrick Kovarik

Geboren wurde Godard am 3. Dezember 1930 in Paris. Sein Vater war ein Schweizer Augenarzt. Jean-Luc wuchs mit seinen drei Geschwistern in der Heimat des Vaters auf, doch 1943 ging die Familie nach Frankreich zurück.

Drei Anläufe brauchte er fürs Abitur. Auch das Studium an der Sorbonne interessierte ihn nicht sonderlich. Seine Zeit verbrachte er lieber in den Filmkreisen und Intellektuellenzirkeln von Paris. Eine Amerika-Reise 1950/51 stellte die Weichen: 1954 drehte er seinen ersten eigenen Film - eine kurze Dokumentation über ein gigantisches Staudammprojekt: „Operation Beton“.

In „Die Verachtung“ von 1963 stehen Brigitte Bardot und Michel Piccoli vor Godards Kamera.

© / Foto: Imago/Everett Collection

Ab Mitte der 60er Jahre wurden seine Filmplots immer fragmentarischer. In „Weekend“ von 1967 begann er, die herkömmliche Erzählstruktur radikal aufzulösen. In dem Film über einen Wochenendausflug eines Ehepaars gibt es keinen Plot mehr, sondern nur noch Handlungsschnipsel und Ströme von Bildern und Assoziationen.

Godard brachte auch den Vatikan gegen sich auf

Noch radikaler wurde sein Spätwerk. „Bildbuch“ von 2018 präsentiert ein Kaleidoskop von Bildern und Filmausschnitten, die mit Godards Kommentaren, teilweise auch mit einer kakophonen Tonspur unterlegt sind. Godard spricht Themen wie Krieg und Kriegsverbrechen an und zeigt unter anderem Morde der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Während in den vorherigen Collagen „Film socialisme“ und „Adieu au langage“ noch Protagonisten vorkamen, verzichtete der Altmeister hier ganz auf handelnde Personen. Die Idee, Sprache, Wörter und Bilder seien Kopien der Realität, hatte er immer abgelehnt.

In früheren Jahren hatte er nicht zuletzt auch politisch provoziert, Korruption, Nahostkonflikt und Vietnamkrieg thematisiert. In „Die Chinesin“ outete er sich als Maoist, und „Der kleine Soldat“ ruft die Schrecken des Algerienkriegs wach, den die französische Armee gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Algerien führte. Der Film war in Frankreich zunächst verboten.

Und „Maria und Joseph“, eine Geschichte über die unbefleckte Empfängnis, wurde vom Vatikan als blasphemisch verurteilt, geriet in von einigen Ländern auf den Index.

Seit Anfang der 80er hatte Godard zurückgezogen in der Schweiz in Rolle am Genfer See gelebt, auf der Leinwand war er zuletzt im Dokumentarfilm „A vendredi, Robinson“ zu sehen, der auf der diesjährigen Berlinale lief.

„Alles ist von allen gesagt, aber es sind noch nicht alle geboren“, sagt Jean-Luc Godard darin. Mit seinem bald 100-jährigen iranischen Kollegen Ebrahim Golestan tauscht er jeden Freitag per Mail Texte Bilder und Filmausschnitte aus. Ob er noch an das Kino glaubt, fragt Golestan ihn. Godard entschuldigt sich, das sei ein bisschen eine Polizeiverhörfrage. Er trägt keine Sonnenbrille in dieser Robinsonade, trinkt am Ende Rotwein, mit Wasser verdünnt und schaut direkt in die Kamera. Sein unverblümter, aber milder und ein wenig verlegener Blick ist nun mit zu seinem Vermächtnis geworden. (KNA, dpa, Tsp)

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