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Ausstellung im Potsdamer Kulturministerium: Fotos aus der DDR: Jenseits politischer Parameter

Das neugegründete Landesmuseum für moderne Kunst ist derzeit im Kulturministerium zu Gast. Die gezeigten Werke entstanden vor allem in der DDR – meilenweit entfernt vom Sozialistischen Realismus.

Potsdam - Stolz und gut gelaunt präsentiert sich die ältere Dame vor der herunter gelassenen Jalousie eines Ladengeschäftes. Sie trägt eine Sonnenbrille. Harte Schlagschatten lassen erkennen, dass die Sonne recht kräftig scheint in der Schönhauser Allee in Berlin. Hier hat der Fotograf Ludwig Rauch Rentnerinnen und Rentner fotografiert. Vor Hauseingängen, vor verfallenen Mauerwänden, vor eisernen Eingangstoren.

Zu sehen sind die Bilder aus der Serie „Nach der Arbeit“ derzeit im Kulturministerium in Potsdam. Die Fotos von Rauch sind 1986 entstanden, also zu einer Zeit, als die Schönhauser Allee noch in einem geteilten Deutschland, in der DDR lag. Sie zeigen einen Blick auf die abgelichteten Personen, der völlig unspektakulär ist, die Persönlichkeit und die Besonderheiten der Dargestellten aber in all ihrer Würde erkennen lässt. „Etwas Vergleichbares hat es in der Fotografie kaum gegeben. Nicht viele Fotografen fanden 1986, als die Fotos entstanden sind, solche Darstellungen bildwürdig“, sagt Ulrike Kremeier, die Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst.

„Die Ausstellung soll verführen und neugierig"

Das Landesmuseum entstand im vergangenen Jahr aus einer Zusammenlegung der Museen Dieselkraftwerk in Cottbus und Junge Kunst in Frankfurt (Oder). Mit der Ausstellung im Ministerium zeigt das Museum einen Ausschnitt seines Bestandes an Fotografie sowie Grafik. „Das ist ein Teaser. Die Ausstellung soll verführen und neugierig machen auf das, was sich noch in unseren Beständen verbirgt“, so Kremeier. Rund 40 000 Werke an Malerei und Fotografie beherbergen die Archive des neuen Landesmuseums. Fotografie ist einer der Schwerpunkte der Sammlung. Der Großteil der gegenwärtigen Bestände, ungefähr 75 Prozent, seien in der DDR gesammelt worden, sagt die Direktorin. „Aber das ist keine DDR-Kunst, denn die gibt es nicht.“ Kunst fällt nicht vom Himmel, sagt Kremeier. „Sie ist immer in ihrem umfassenden Kontext zu sehen.“ Kunst lasse sich nie getrennt von gesellschaftlichen Zusammenhängen und dem Umfeld betrachten, in dem die Werke entstanden sind. Das gelte für die Kunst, die im vergangenen Jahrhundert in der Bundesrepublik entstanden ist ebenso wie für diejenige der Deutschen Demokratischen Republik.

Kremeier verweist dabei auf die Fotografien von Michael Schade. Menschen, meist in Schwarz-Weiß-Manier aufgenommen, im Bild angeschnitten. Die Frau mit Dalmatiner ist aus dem Auto heraus fotografiert, der Autospiegel ragt ins Bild, der Kopf der Frau ist nicht zu sehen. Von der liegenden Frau im Boot ist nur ein Teil des mit einem Slip bekleideten Unterleibes zu sehen. Die Fotos dokumentieren nichts. Sie deuten zwar einen Entstehungszusammenhang an, erklären aber nicht das Dargestellte. Es geht um den Augenblick, den zufällig gefundenen Moment. Hier spiegelt sich eine moderne Bildauffassung wider, die der des französischen Fotografen Cartier-Bresson nahe steht.

Keine Orientierung am Sozialistischen Realismus

Schades Fotos zeigen, dass sich die Kunstfotografie der DDR nicht am wie auch immer gearteten Sozialistischen Realismus orientierte, sondern frei war. Bildkonzepte, die zur Entstehungszeit der Fotos international diskutiert wurden, wie die Neue Sachlichkeit, inspirierten den Fotografen.

Hier sieht Kremeier auch ihre Aufgabe bei der künftigen Gestaltung des Museums: „Unser Bestand ist nicht an die Politik der DDR angebunden gewesen, deshalb wollen wir die Werke auch nicht mit primären Blick auf die politischen Parameter betrachten“. Die Kunst solle für sich selber sprechen, sagt die Museumsleiterin. Und dazu seien die im Ministerium gezeigten Werke auch sehr gut fähig.

So beispielsweise das Bild „Die Zeitung“ von Klaus Weidendorfer. Auf der Zeichnung sind Männergesichter damit beschäftigt, in einem Druckerzeugnis zu lesen. Getrennt werden die Lesenden durch eine Mauer, die sich durch die Mitte des Bildes schlängelt. Die Lithografie ist in hart kontrastierendem Schwarz-Weiß gezeichnet. Ob die Schlange nun die trennende Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten oder eben doch die titelgebende Zeitung als Druckfahne ist, ist nicht eindeutig auszumachen.

Diese Ambivalenz sei der Kunst aus der DDR ebenso eigen wie der gleichzeitig im Westen entstandenen Kunst, so Kremeier. Gerade dies mache die künstlerische Qualität der Arbeiten aus. Wie sich aus diesen frühen künstlerischen Positionen und Ansätzen später Standpunkte und Werke von Künstlern formten, auch das wolle sie in den künftigen Ausstellungen des Museums zeigen.

Kleine Auswahl der Fotografien

Es sei gar nicht so einfach gewesen, die richtigen Fotografien für die Gänge des Ministeriums in Potsdam auszusuchen, denn eigentlich seien die Räumlichkeiten ja nicht auf Kunstausstellungen ausgerichtet, so Kremeier. So kann einerseits nur ein sehr schmaler Ausschnitt aus den weit größeren Beständen des Museums gezeigt werden. Zudem müsse sich dieser Ausschnitt auch daran orientieren, welche Fotos und Grafiken überhaupt in dem nicht sehr geräumigen Gang zur Geltung kommen. Zumal auch die Beleuchtungssituation nicht gerade ideal sei.

Aber Kremeier ist eine erfahrene Kuratorin, die auch mit solchen Widrigkeiten umgehen kann. In Frankreich, in Brest, hat sie eine Kunsthalle geleitet, nachdem sie in Berlin mit einem eigenen Ausstellungsraum begonnen hatte. Die documenta X-Direktorin Catherine David hatte die Kunstwissenschaftlerin bereits 1991 mit der Co-Konzeption und Organisation des Vermittlungsprogramms der documenta betraut. Kremeier setzt sich für eine unabhängige Betrachtung der Kunst jenseits von sozialen und sonstigen Rollenklischees ein. Künstler seien meist eigenständige Individuen. Die Besonderheiten der jeweiligen Arbeiten müssten für sich betrachtet werden, so Kremeier. Unabhängig vom jeweiligen Staatssystem.

Die Sammlung des Landesmuseums auf Reisen: bis 4. Mai ist die Ausstellung im Kulturministerium Potsdam, Dortustraße 36 (2. Etage) zu sehen

Richard Rabensaat

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