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Kultur: Ausdrucksvoll statt sentimental Bachs Violinsonaten im Havelschlösschen

Als Autografe sind sie nicht überliefert, die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo von Johann Sebastian Bach. Mehrfach hat er Hand an sie gelegt, um ihnen die letzte Rundung zu geben.

Als Autografe sind sie nicht überliefert, die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo von Johann Sebastian Bach. Mehrfach hat er Hand an sie gelegt, um ihnen die letzte Rundung zu geben. Und so sind sie auf uns in zahlreichen Abschriften gekommen. Auch die Zeit ihrer Entstehung lasse sich nur vage auf die letzten Jahre seines Köthen-Anhaltinischen Hofdienstes bei Fürst Leopold, also zwischen 1720 und 1723, datieren. So die erläuternden Worte von Geigerin Ulla Bundies, die vier der sechs Preziosen am Donnerstag im heimeligen und bis auf den letzten Platz gefüllten Klein Glienicker Kammermusiksaal Havelschlösschen gemeinsam mit dem japanischen Cembalisten Taiji Takata musizierte. Sie spielte eine darmsaitenbespannte Geige von Camillo Camilli aus Mantua aus dem Jahr 1734, die über einen sehr direkten, klaren, leicht spröden, mitunter schärflichen Klang verfügt. Taiji Takata tastatierte die Stilkopie eines flämischen Cembalos aus jener Zeit.

Eine gute Mischung, wie sich alsbald herausstellt. Bei der Gelehrsamkeit und Strenge meidenden Wiedergabe der polyfonen Strukturen stellt sich von Anfang an eine gleichberechtigte Partnerschaft her. Statt Askese oder steriler Perfektion setzen die bestens miteinander harmonisierenden Instrumentalisten auf blutvolles, überaus lebendiges und sinnenerfreuendes Musizieren. Dabei gehen die stärksten künstlerischen Eindrücke von den Ausdeutungen der langsamen Sätze aus. In ihnen finden sich Bachs innere Erlebnisse wieder, werden Stimmungen und Gefühle auf sehr berührende Weise ausgebreitet. Wie beispielsweise Schmerz, mystische Träume, Trauer, Pathos. Es scheint, als habe Bach das sich im Siciliano-Rhythmus wiegende Largo der 4. Sonate c-Moll BWV 1017, mit dem der Abend eingeleitet wurde, unter dem Eindruck des Verlustes seiner ersten Frau Maria Barbara (anno 1720) geschrieben. In seinem Ausdrucksgehalt ähnelt das Thema auffallend der Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäuspassion. Im zweiten langsamen Adagio dieser Sonate sorgt ein prägnantes Tonhöhenverhältnis zwischen Violine und Cembalo plötzlich für ein weiches und warmes Klangbild. Da bewegt sich die Geige in Altlage, während das Cembalo mit zarter Oberstimme die melodische Linie umspielt. Ausdrucksvoll statt sentimental werden alle diese Andante/Adagiosätze der stets viersätzigen Sonati da chiesa, der Kirchensonate, vorgetragen.

Dagegen strotzen die schnellen Sätze vor Ungestüm, Fröhlichkeit, temperamentvollen Tanzformen, kurzum vor konzertanter Lebensfreude. Eine erfrischende Lesart angeblich verstaubter Noten! Die historisch informierte Spielweise macht‘s möglich. Aus lockerem Handgelenk lässt Taiji Takata auf seinem Instrument die Töne silbrig funkeln, spritzig kaskadieren, perlen, tröpfeln, breit strömen. Oder trillerreich die liebessehnsuchtsvolle Verspieltheit in der 2. Sonate A-Dur BWV 1015 aufblitzen, um wenig später im Allegro der 6. Sonate G-Dur BWV 1019 den brillanten Solopart kristallklar zu tastatieren. Ulla Bundies setzt stets auf ein packendes, intonationsreines, jedoch völlig vibratoloses Nonlegatospiel, auf angemessene Bogenführung und Bogendruckarbeiten für anwachsende und abschwellende Klanglinien. Als versierte Klangmalerin erweist sie sich auch in der 1. Sonate h-Moll BWV 1014. Nach heftigem Beifall gibt’s eine Zugabe und beim anschließenden Beisammensein von Künstlern und Publikum von der Hausherrin selbstgebackene Köthener Käsekekse – was sonst. Peter Buske

Weitere Informationen zum Jahresprogramm des Kammermusiksaals Havelschlösschen unter www.gamben.de

Peter Buske

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