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Russische Schulkinder im Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges in Moskau. Ein Foto aus dem Zyklus „Russian Times 1988-2018“ von Frank Gaudlitz.

© Frank Gaudlitz

Auf Krieg geeicht: Frank Gaudlitz’ Blick auf Russland im Wandel

Seit den Neunzigern reiste der Potsdamer Fotograf regelmäßig nach Russland. Die Ausstellung „Kosmos Russland“ zeigt, wie sich seine Beziehung zum Land in drei Jahrzehnten entwickelt hat.

Eigentlich wollte Frank Gaudlitz im Jahr 2022 Russland bereisen. Von Omsk bis ans Kaspische Meer, immer Alexander von Humboldt hinterher. Der war 1829 als fast Sechzigjähriger zu einer Reise quer durch Europa und Asien aufgebrochen, 19.000 Kilometer in der Postkutsche und zu Pferd. Gaudlitz wollte ihm nach. Wie 2010 schon über die Anden, und 2021 bis ins sibirische Tobolsk. Es kam anders. Es kam ein Krieg dazwischen.

Russland ist ein Land, das den Potsdamer Fotografen schon fast ein Leben lang begleitet. 1988 fuhr er erstmals hin, damals noch als Student. Die gesamten 1990er hindurch bereiste er das Land mehrmals pro Jahr. Bis in die östlichsten Provinzen, bis zur persönlichen Erschöpfung. 2017 nahm er den Faden wieder auf und begegnete einer völlig neuen Nation. „Es war kälter geworden“, hat er über diesen Bruch gesagt. In Petersburg begegnete er einer Demonstration zu Putins 65. Geburtstag, organisiert von Nawalny. Menschen wurden reihenweise von der Polizei weggeprügelt. Von 1988 bis 2018 entstand Gaudlitz’ bisher größter Zyklus: „Russian Times.“

Frank Gaudlitz: Metro. Moskau, Russland 2017, aus: „Russian Times 1988-2018“
Frank Gaudlitz: Metro. Moskau, Russland 2017, aus: „Russian Times 1988-2018“

© Frank Gaudlitz

Auf Krieg geeicht

In der Ausstellung in der Kommunalen Galerie, die die Russland-Bilder von Frank Gaudlitz jetzt so umfangreich wie noch nie versammelt, sind auch Fotos jener Anti-Putin-Demonstration zu sehen. Uniformierte in schwarzen Helmen, die Demonstrierende abführen. Daneben: Militärisch stramm stehende Ballettschüler:innen. Ein riesiger Panzer, auf dem Kinder herumklettern. Und: Fotos vom Tag der Präsidentschaftswahl 2018. Auf einer Leinwand drei Worte: „Russland, Sewastopol, Krim.“ Das Panorama einer Gesellschaft, die auf Krieg geeicht ist.

„Das Russland, das mich über Jahre immer wieder angezogen hat, gibt es nicht mehr“, sagt Frank Gaudlitz. Schon 2017 habe er keine Nähe mehr empfinden können. Die Ausstellung zeigt, wie sich das künstlerisch niederschlug. In den 1990er Jahren dominieren teils rührende, teils skurrile oder auch bestürzende Alltagsbegegnungen in schwarz-weiß. Ein hochdekorierter, greiser Kriegsveteran mit Luftballons auf einer Bank. Ein Mann, der seine weiß gewandete Braut durch den Matsch trägt. Ein klappriges Kinderkarussel vor verrottenden Fassaden im sibirischen Norilsk.

2017/18 plötzlich Farbe. Nackte Frauen in Clubs, Limousinen in Sankt Petersburg, eine Gruppe von Kindern, die wirken, als stünden sie mitten im Kriegsgeschehen. Dabei sehen sie ihn sich nur an: Sie stehen im Moskauer Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges.

Nach 2018 hatte Gaudlitz keine Lust mehr, in Russland Menschen zu fotografieren. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Menschen wurden misstrauischer. Eine Zeitlang ließ er stattdessen Architekturen sprechen. „Kosmos Russland“ hieß die Reihe, die auch der Berliner Ausstellung den Titel verliehen hat. Entstanden auf seiner letzten Russlandreise 2021.

Rückkehr zum Blick auf die Menschen

Die Frage, wie er dieses Land, seinen Lebensbegleiter, weiter fotografisch einfangen kann, nachdem es zur Kriegspartei geworden ist, beschäftigte Frank Gaudlitz lange. Die Antwort lag in der Rückkehr zum Blick auf die Menschen. „Ich frage mich: Wie geht es für die Russen weiter, für die, die diesen Krieg verdammen?“, sagte er 2022. In seiner jüngsten Werkreihe geht er dieser Frage nun nach. Seine Reise führte ihn diesmal nicht nach Russland, sondern nach Moldau, Georgien und Armenien. Dorthin, wo Menschen aus Russland und der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 flüchten.

Gaudlitz war nicht nur als Fotograf unterwegs, sondern auch als Zuhörer. In Flüchtlingsunterkünften haben er und seine Dolmetscher mit 83 Menschen gesprochen. Kleine Ausschnitte dieser Gespräche sind in der Galerie zu lesen. Sie sind bewusst nicht den Porträts zugeordnet. „Texte erzeugen ja ihre eigenen Bilder.“

Frank Gaudlitz: Russische Emigranten. Tiflis, Georgien 2023, aus: „Flucht 2022-2023“
Frank Gaudlitz: Russische Emigranten. Tiflis, Georgien 2023, aus: „Flucht 2022-2023“

© Frank Gaudlitz

Die Fotos dieses letzten Teils zeigen keine Tränen, keine Verzweiflung. Es sind Porträts von Menschen an Durchgangsorten. Viele Familienbilder. Mütter, die ihre Kinder von ihren Mänteln umfasst halten. Geschwister, die einander an den Händen halten. Sie sehen tapfer aus, gefasst, und das ist vielleicht das Schmerzlichste daran.

Die Verzweiflung bricht sich in den Texten Bahn. Es wird von Misshandlungen durch die russische Polizei berichtet. Von kriegszerstörten Städten, Traumatisierungen. Dass hier Schicksale von Menschen aus Sewastopol, Mariupol und Charkiw neben denen aus Moskau oder Sankt Petersburg stehen, war Gaudlitz wichtig. „Ich wollte keine Ausgrenzung.“

Er will das Leid der einen nicht gegen der anderen aufwiegen. Wichtiger als die Herkunft ist doch, dass alle gegen diesen Krieg sind, sagt Gaudlitz. Die Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit alles zum Guten wende, sei bei fast allen, die er gesprochen hat, „zerbombt“. Im Gästebuch aber schreiben Ludmila und Nina aus der Ukraine: „Wir glauben, dass der Sieg unser sein wird. Das Gute und die Liebe siegen immer über das Böse.“

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