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Wo beginnt die Natur, wo endet der menschliche Eingriff? Durch Infrarot-Aufnahmen macht Michael Schulze die Untrennbarkeit von beidem sichtbar.

© Michael Schulze

Kultur: Auf der Spur der Verwüstung

Der Potsdamer Fotograf Michael Schulze reist der Zerstörung der Natur hinterher

Darf man das, hinausgehen in die weite Welt und einfach fotografieren? Natürlich darf man, wird mancher sagen, was für eine alberne Frage. Kritiker der Bilderflut im digitalen Zeitalter dagegen werden skeptisch die Stirn runzeln. Alles Tourismus. Folklore. Dass die Antwort alles andere als leicht ausfällt, das zeigt die aktuelle Fotoausstellung „Red Planet – Flora“ von Michael Schulze im Treffpunkt Freizeit am Neuen Garten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit roter Planet ist nicht der Mars gemeint, sondern die Erde. Die ehemals grüne Erde, deren floraler Bestand mehr und mehr am Schwinden ist.

„Red Tee – roter Tee II“ heißt eines von insgesamt rund 30 Bildern, das eine Teeplantage irgendwo in Asien zeigt. Hügeliges Land, menschenleer und in durchgängiges, tiefes Rot getaucht. Oder „Hawkes Bay“, festgehalten in Neuseeland, eine Helikopteraufnahme, die den Rasterplan der neuseeländischen Stadt Hastings einfängt, irgendwie gnadenlos in die Fläche gebaut. Dort, wo Wohnhäuser und Nutzgebäude stehen, sind helle Bildanteile zu sehen. Bäume, Sträucher und Grünflächen erscheinen in einem meist rostbraunen Farbton. Ein halbes Jahr bereiste der gebürtige Potsdamer die Welt. Er war in Nordamerika, Hawaii, Südamerika, auf den Philippinen, in Neuseeland. Die besondere Farbästhetik, die manchmal in knalliges Violett changiert, haben Schulzes Bilder dem Gebrauch von sogenannten Falschfarben- und Infrarotfilmen zu verdanken. Eine Technik aus der Landwirtschaft, wo mittels der kontrastreichen Luftbildaufnahmen bessere Bodenklassifizierungen vorgenommen werden. In der Kunst wird die Methode gerne angewendet, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Mit Rot ist Grün gemeint. „Es geht mir um eine Analogie zur Natur: Die Pflanzen stehen mit ihrem grünen Chlorophyll am Anfang, als Basis des Lebens, wie wir es kennen“, sagt Schulze. Ein Leben, wie wir es kennen –und das wir verändern. Immer wieder hält Michael Schulze entlang seiner Reise an, um präzise den Eingriff des Menschen in seine Umgebung zu dokumentieren. Die Anmut von Kultivierungsleistungen kommt genauso vor wie soziale Armut oder infrastrukturelle Begradigungen der Wildheit. Da ragt ein Wasserbüffel aus einem Gebüsch hervor, lungern Kinder mit löchrigen T-Shirts vor einer Hütte herum. Auf einem anderen Bild zerschneidet eine Tiefstraße die gleichförmige Hochhauskulisse von Hongkong.

Die aktuelle Ausstellung mit ihrem Augenmerk auf mal mehr, mal weniger weitläufige, grüne Naturareale ist nur die erste von dreien. In einer zweiten Schau, die den Titel „Year Zero“ tragen soll, werden voraussichtlich verlassene Industrieräume im Mittelpunkt stehen. Ein dritter, noch namenloser Abschnitt wird sich der Wüste widmen. Eine Trilogie also, die man als apokalyptisches Szenario verstehen könnte. Als Versuch, die Zerstörung der Natur durch den Menschen nachzuzeichnen – vom lebendigen Grün zum Industrie-Ödland bis hin zur Verwüstung.

Und dennoch, darf man das? Unzählige Reporter und Fotografen bereisen jährlich die Welt, um exotische Wasserfälle, kaputte Landstriche und Krisengebiete in Ausstellungen, Kalender und Bücher zu pressen. Innerhalb der Postkolonialismus-Debatten würde man vermutlich vom weißen Mann reden, der seinen westlichen Hochsicherheitstrakt verlässt, um seinen Fetisch am anderen zu pflegen. Was heißt, mit dem Elend in der Fremde den eigenen Lustgewinn zu steigern. Doch man kann das auch umkehren. Soll man es machen wie Henry David Thoreau in seinem Öko-Klassiker „Walden“ – ein einsamer Mann vor der Hütte im Wald, der sich keinen Zentimeter vom Ort rührt? Kann und muss man den Sirenen widerstehen, wenn doch der Austausch und Transfer zwischen den Kulturen ein hohes Gut ist? Schwierig. Es gibt Leute wie Dan Houser, der Macher von Grand Theft Auto, die sagen, Selbstzensur führe zur Selbstzerstörung. Selbstzerstörung, das wird jeder unterstreichen, ist auch kein Weg. Und nicht zuletzt dieser kleine, aber nicht unerhebliche Effekt der Selbstreflexion ist es, der am Beispiel dieser Ausstellung deutlich wird. Ralph Findeisen

Ralph Findeisen

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