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Jetzt aber die Luft anhalten. Ethan Hunt (Tom Cruise), hier auf einem 200-PS-Geschoss unterwegs, fliegt nicht so leicht aus der Kurve.

© Paramount

"Mission: Impossible - Rogue Nation" mit Tom Cruise: Atmen wird überschätzt

Ich bin der analoge Superman: Tom Cruise und sein fünftes „Mission: Impossible“-Abenteuer.

Er ist wieder da: Tom Cruise alias Ethan Hunt. So wie sie plötzlich alle wieder da sind, die Action-Giganten aus dem guten alten späten 20. Jahrhundert: überaus erfolgreich die Dinos aus der jurassischen Welt und, mit eher blutiger Nase an der Kinokasse, der Senioren-Kämpe unter den Exterminatoren, Arnold Schwarzenegger. Geradezu in Formation sind sie angetreten in diesem Jahr, um den auf die Leinwand gebeamten Myriaden von Marvel-Heftchenhelden die unverwüstliche Echsenstirn zu bieten.

Andererseits, war er je weg, der so todesmutige wie unsterbliche Geheimagent der „Impossible Missions Force“ in Diensten der amerikanischen Regierung? Zwölf Jahre jünger als der Terminator, der seit 1984 tobt, und immerhin drei Jahre jünger als die Kino-Dinos, erfüllt Tom Cruise, auch bereits seit knapp zwei Jahrzehnten in Missionsdiensten, seine Aufgaben zuverlässig nach Fünfjahresplan. Wie die kolossalen Kollegen hat er bereits vier krachende Abenteuer hinter sich, verzichtet dabei aber – großes Actionfilmer-Ehrenwort! – komplett auf digitale Monsterkräfte. Ja, Tom Cruise ist der analogste Superman aller Zeiten, und wehe, jemand macht ihm dieses Alleinstellungsmerkmal streitig.

Tatsächlich verwendet der Verleih ein sattes Drittel seines Pressehefts auf die Fitness des Hauptdarstellers und unterstreicht, dass bei den phänomenalen Mutproben – ob Sprint auf der Tragfläche eines startenden Militärtransporters, ob Tauchgang in der vor Marokko gelegenen Unterwasserzentrale des Oberbösewichts – alles mit rechten Menschendingen zugegangen sei. Stuntkoordinator Wade Eastwood, des Lobes voll für seinen Schützling auch angesichts klassischer Motorrad- und Autoverfolgungsjagden, steigert sich in verdächtig zwerchfellexplosiven Jubel hinein: „Tom Cruise hätte auch ein großartiger Stuntman werden können, wenn er nicht schon ein großartiger Schauspieler wäre.“

Worum geht es wirklich? Dass ein 53-Jähriger in Topform es mit allen Finsterlingen dieser Welt aufnehmen kann

Worum geht es in Hunts Abenteuer Nummer fünf, „Mission: Impossible – Rogue Nation“? Darum, dass ein fatalerweise von der US-Regierung und dem CIA geleugneter, Syndikat genannter „Schurkenstaat“ ehemaliger Geheimagenten Furcht und Schrecken auf der Erde verbreitet, ausgerechnet während die USA die verdiente Hunt-Truppe wegen außenpolitisch schädlichen Übereifers auflösen - und, klar, nun müssen die Guten auf eigene Faust ran. Und worum geht es wirklich? Darum, dass in unserem so fitnesssüchtigen wie anti-aging-agilen Jahrzehnt auch ein 53-Jähriger in Topform es mit allen Finsterlingen dieser Welt aufnehmen kann. Tom Cruise muss zwar, trotz beeindruckend muskulösen Oberkörpers, einige Rück- und Nackenschläge hinnehmen, setzt sich aber im Ergebnis durch. Ein bisschen Teamgeist, Vertrauen in die Richtigen vorausgesetzt, kann dabei nicht schaden.

So kommt es, dass Ethan Hunt, um die Lieferung einer Ladung von Chemiewaffen an tschetschenische Terroristen zu verhindern, imstande ist, sich eingangs mit bloßen Händen außen an der Luke eines auf 1500 Meter steigenden Flugzeugs zu halten. Wobei „der Scherwind“, schwärmt die Stunt-Brigade, „so extrem war, dass Cruise die Augen nur mithilfe eigens angefertigter Linsen offenhalten konnte“. Oha, hat nicht Baron Münchhausen einst seinen sagenhaften Ritt auf der Kanonenkugel ähnlich aufregend geschildert? Auch in Meerestiefen macht der Held eine tolle Figur. Auf der Jagd nach einer tödlichen „Disk“ des Syndikats unternimmt er, schlank, wie das Trainingsprogramm ihn schuf und ohne jedwede Ausrüstung, einen mehrminütigen Tauchgang. Andere Leute halten es kaum 20 Sekunden unter Wasser aus? Nun, Atmen wird überschätzt.

Keine Weltherrschaft, sondern ganz zweckfrei Zerstörung

Von derlei Spektakeln, die an die Jahrmarktsanfänge des Kintopp erinnern, nährt sich „M:I –5“, ergänzt durch rasante Jagden mit Fahrzeugen aus bajuwarischer Produktion, die es, auf zwei Rädern, nicht unter 199 PS und auf vieren nicht unter 431 machen. Die Story dagegen wiegt weniger schwer: Das Syndikat tritt nicht etwa zur genreüblichen Erlangung der Weltherrschaft mit den Vertretern vorhandener Mächte in ernstlich erpresserischen Kontakt, sondern treibt sein Unwesen weitgehend zweckfrei – angetrieben von der puren Lust an der materiellen Dekonstruktion. Wobei manch rätselhafter Flugzeugabsturz und sonstiger Großunfall auf sein Konto geht.

Merkwürdig nur, dass dessen sardonisch leiser, fies fistelstimmiger Anführer Lane (Sean Harris) kurz vor Schluss noch ausdrücklich den hebräischen Vornamen Solomon verpasst bekommt. Sollten die Filmemacher in Sachen Syndikat etwas im Sinn gehabt haben, was Antisemiten „jüdische Weltverschwörung“ nennen – zumal der Oberschurke bei einem Gasangriff zu Tode kommt? Der Zuschauer denkt da angesichts der Tatsache, dass Tom Cruise nach wie vor bei der umstrittenen Weltanschauungsgemeinde Scientology eine große Nummer ist, gleich ganz anderes: Syndikate gibt es überall.

Wenn es denn etwas in der Dramaturgie des Serienprodukts „M:I-5“ zu rühmen gilt, dann die schillernde Funktion der Kämpferin Ilsa. Die noch weithin unbekannte schwedische Schauspielerin Rebecca Ferguson spielt, schön undurchschaubar und mit kalter Leidenschaft, dieses dem Helden ebenbürtige Gegenüber, das mal rettend eingreift, mal eine katastrophale Szenerie gleichmütig sich selbst überlässt. Ist sie die Nummer Zwei hinter dem Syndikatsboss? Eine V-Frau? Spielt sie auf eigene Rechnung und mit welchem Ziel? Schon entsteht jenes altmodische Gefühl namens Spannung, jenseits der zuverlässig lancierten gewöhnlichen Überwältigungswellen.

Den Humor allerdings, den die Produktion als very special effect entdeckt haben will, muss man mit der Wünschelrute suchen. Das Grinsen des Tom Cruise, an dem sich schon viele Physioanalytiker die Zähne ausgebissen haben, kann damit nicht gemeint sein. Eher ruht die Witzverwaltung auf den schmalen Schultern von Simon Pegg, der als nerdiger Sidekick Benji Dunn vom Schreibtisch tapfer an die Kampfesfront flieht, dort aber bald eine eher bemitleidenswerte Rolle spielt – schließlich ist er weder körperlich superfit noch exorbitant flug- oder tauchtauglich. Nur: Wozu überhaupt Humor? Der hat sich aus den OldSchool-Actionfilmen längst davongemacht, und im sauber sortierten Blockbusterregal Hollywoods sind dafür die korrekt als Komödie beschrifteten Titel zuständig.

Unterdessen hat „M:I – 5“ das erste Wochenende in den USA hinter sich und liegt mit 55 Millionen Dollar Einspiel auf dem eher unwitzigen Platz 139 der ewigen Startbestenliste. Die jüngsten Dinos holten viermal mehr? Macht nichts, auch Tom Cruise ist nur ein Mensch.

Ab Donnerstag in 20 Berliner Kinos; OV im Alhambra, Karli, Colosseum, Cinestar SonyCenter, Imax und Zoo Palast

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