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Kultur: Angst und Versuchung: „Fluchtlinien“

Zwölf Künstler aus Schweden, Litauen und Deutschland zeigen im Schloss Sacrow ihre Arbeiten

Zwölf Künstler aus Schweden, Litauen und Deutschland zeigen im Schloss Sacrow ihre Arbeiten Es geht lustig zu in seinem „Kindergarten“. Und auch sehr feucht. Björn Bredströms Installation erinnert an fröhlich sich im Winde wiegende Blumenkelche, die wie kleine Fontänen Wasser in die Höhe spucken. Sie lassen sich so gar nicht auf eine bestimmte „Fluchtlinie“ ein – wie es das Thema des diesjährigen Sommerprojekts im Sacrower Schloss vorgibt. Ihre Linie ist die fließende Bewegung um einen Schwerpunkt herum. Mit diesem augenzwinkernden Willkommensgruß lässt sich der Besucher gern auch zu einem Spaziergang durch die Kunst in den Innenräumen einladen. Zwölf Künstler – je vier aus Schweden, Litauen und aus Deutschland – haben sich in zwölf Räumen sehr unterschiedlich auf das Schloss mit seiner Parkanlage und den atemberaubenden Sichtachsen, aber auch auf die einstige Nähe zur Grenze eingelassen. „Manche dachten bei Grenzgebiet an Flucht und Fluchtwege, andere griffen die gestalterischen Akzente auf“, so Michael Zeuch, der das diesjährige Projekt vom Verein Ars Sacrow inhaltlich auf den Weg brachte: Bei nur sechs Wochen Vorlauf ein überraschendes Resultat. Schon Björn Bredström allein weist sich durch verschiedene Handschriften aus. Ist er im Freien noch ganz das unbeschwerte Kind, sind seine aus Schweden mitgebrachten Aquarelle in eine stimmungsvolle, leise Melancholie getaucht, die Ruhe atmen und Kraftquell sind. Ruta Katiliute machte sich mit ihrem „Haus der Vergangenheit“ auf die Reise von Litauen nach Sacrow. Sie kratze von alten Häusern, die dem Verfall preis gegeben waren, Putzstückchen ab und fügte sie wie bei einem Puzzle zu Bildern zusammen. Eingebettet ist diese „Vergangenheitsbeschwörung“ von Wolken- und Himmelsbildern, die den Dialog drinnen und draußen unaufdringlich suchen. Bei Michael Zeuch wird Flucht sehr greifbar. Aus Drahtgeflecht formte er Koffer, Säcke, Handwagen und Kissen, die das Reisen als Vergnügen aber auch als Last reflektieren. Eine Mischung aus Amüsement, Furcht und Überraschung vermittelt die raumgreifende Installation von Christian Bilger, die er „Manchmal denk“ ich an Flucht“ überschrieb. Aus einfachen Materialien baute er eine raumfüllendes Erlebniswelt, die sich mittels Akustik und Kinetik zu einem Neugierde schürenden Aha-Effekt aufschwingt. „Schloss-Herr“ Prof. Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, zeigte sich vor allem begeistert von dem sanften künstlerischen Umgang mit der historischen Substanz. Solche Experimente könnten durchaus inspirierend sein für die künftige Definierung des Hauses, denn noch immer sei unklar, wie das Schloss später einmal genutzt werde.So wie das Schloss an gute und schlechte Zeiten erinnert, rufen auch die zwei Fotos von Diana Radaviciute die Vergangenheit hervor. Sie vergrößerte Fotos eines jungen Mädchens und einer Braut bis zur Unschärfe. Hatten sie ein glückliches Leben?, fragte sich die litauische Künstlerin angesichts der ihr unbekannten Personen. Die Menschen, die vom Leinenfilz im Treppenhaus auf die Besucher herunterschauen, sind ihr wiederum bestens bekannt. Und sie weiß auch, wie sie von einem Tag zum anderen aus einer intakten Kindheit herausgerissen wurden, ihr Leben durch äußere Zerstörung komplett verändern mussten. Ein sehr fesselndes Wandbild, das in die obere Etage geleitet. Dort wiederum erwartet den Betrachter ein Verwirrspiel zwischen Schein und Sein. Beate Spitzmüller klebte in die Fenster ihre eigenen Bilder ein, die Realität und Abbild auf imaginäre Weise verwischen lassen. Ein sehr bizarres, aus Baumwollfäden geknüpftes Gespinst brachte Saulius Valius raumgerecht ein. Es ist Teil eines imaginären Flugzeugs, das zur Flucht verhelfen könnte. „Ein träumerisch-luftiges dreidimensionales ,Bild“, das an Zeichnungen Leonardo da Vincis erinnert“, meinte die Kunsthistorikern Rahel Feilchenfeldt vom Ars Verein bei der gestrigen Presse-Führung. Das einstige Schloss-Bad hat sich Anna Mattson für ihre Kunst auserkoren. Offset-Platten mit alten Arbeiten von ihr, die normalerweise weggeworfen werden, hat sie zu neuen Kunstwerken recycelt. Die Kachelstruktur des Bades hat sie dabei spielerisch verändert. Mit geschlossenen Augen sollte man sich auf die Arbeit von Doris Kuwert einlassen. Ihre zerschnittenen Videotapes hängen wie italienische Schnurvorhänge an den Wänden und bewegen sich sanft vor der Blümchentapete. Die leisen Klänge erinnern an den Flügelschlag von Libellen. Dieses wiederum auf Kinetik und Akustik setzende kleine Kunstwerk bringt den richtigen sommerlichen Touch in das Haus hinein. Fast bedrohlich wirkt hingegen der Raum von Redas Dirzys aus Litauen. Kleine Zeitungsausschnitte über Diktatoren hat er kräftig aufgeblasen, so dass die Rasterstruktur deutlich hervortritt. Dieses Raster nahm er wiederum auf, um es in eine Wand einzumeißeln: schwarz-weiß, wie die Fußbodenfliesen. „Ein Niederreißen der Mauern“ in 23. Fassung seines „Lukashenko“-Projektes. Das Motiv von Loths Frau, die sich trotz Verbots umschaut und zur Salzsäule erstarrt, griff Tommy Pettersen auf. Soll man sich Verboten widersetzen, wenn man weiß, es könnte Schmerzen bereiten? Die schwebende Figur im Nachbarraum verharrt wohlweislich, angesichts der scharfen Pfeile, die vor ihm aufgebaut sind. Trotz dieses dramatischen Themas gelingt dem Schweden eine leichtfüßige Interpretation von Angst und Versuchung. Last but not least beschließt Christina Lindeberg diesen künstlerischen Wandelgang. Ihr Bett wäre der richtige Ort, um noch einmal die Bilderfülle Revue passieren zu lassen. Auf einem luftiges Bett aus Seidenpapier lässt sie Träume sprießen: verworren und zusammengeknüllt: Versatzstücke, die sich für jeden anders zusammen fügen – so wie diese beschwingte und nachdenkliche, auf jeden Fall sehenswerte Schau. Auch mit dieser Ausstellung wird das Schloss schrittweise attraktiver gemacht. Durch die erste Ars-Schau im vergangenen Jahr konnte der Fußboden zum Teil ausgebessert werden. Zeitgenössische Kunst als Helfer der alten. Heidi Jäger Bis Ende August, Samstag, Sonntag, 12 bis 18 Uhr, in der Woche auf Anfrage. Eine Fährverbindung zwischen Moorlake und Sacrow steht bevor.

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