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Kultur: Als die Liebe nicht geholfen hat

Etwa 350 neue Filme werden jedes Jahr bei uns auf den Markt geworfen. Altes hat im Verleihgeschäft kaum eine Chance, Filmgeschichte bleibt auf Fernsehen, Video und die meist einmalige Aufführung in einigen Programmkinos beschränkt.

Etwa 350 neue Filme werden jedes Jahr bei uns auf den Markt geworfen. Altes hat im Verleihgeschäft kaum eine Chance, Filmgeschichte bleibt auf Fernsehen, Video und die meist einmalige Aufführung in einigen Programmkinos beschränkt. Zudem sind bei vielen älteren Filmen die Rechte ungeklärt, oder es sind keine spielbaren Kopien mehr vorhanden. Umso verdienstvoller, dass es immer wieder engagierte Verleihfirmen gibt, die künstlerisch und filmhistorische bedeutsame, kommerziell aber nicht unbedingt erfolgsträchtige Werke in neuen Kopien zur Wiederaufführung zu bringen. Der Verleih Neue Visionen hat vor einigen Jahren mit dem Werk von JeanLuc Godard begonnen. Jetzt unternimmt der peripher-Verleih ein ähnliches Projekt mit einem anderen modernen Klassiker: Drei Filme aus der zentralen Schaffensperiode des amerikanischen Regisseurs John Cassavetes sollen bis Anfang 2004 wieder ins Kino gebracht werden, später eventuell mehr.

Den Anfang macht A Woman Under the Influence, die siebte Filmregie des 1929 in New York geborenen Regisseurs und seine vierte Arbeit nach den erfolglosen Ausflügen nach Hollywood. Mit einer eigenen Produktionsgesellschaft hatte er sich weitgehend künstlerische Autonomie verschafft, die finanziellen Mittel erarbeitete er sich mit Rollen in den Filmen seiner Regie-Kollegen. Begonnen hatte Cassavetes als Schauspieler am Off-Theater, die Produktionsbedingungen der unabhängigen Theaterarbeit waren ihm auch für seine Filmprojekte Modell. Cassavetes Filme sind verfilmtes Theater: Nicht Bühnenstücke, auf Zelluloid gebannt, sondern filmische Kondensationen darstellerischer Energie. Und Dokumentationen der Herstellung von Gefühlen.

Der Begriff des Regisseurs ist dabei mit Vorsicht zu gebrauche, denn Filmemachen ist bei Cassavetes ein kollektiver Arbeitsprozess, oft familiär organisiert: In „Eine Frau unter Einfluss“ spielen neben Peter Falk und Cassavetes‘ Ehefrau Gena Rowlands (Foto: Peripher-Film) als Nick und Mabel Longhetti viele andere Mitglieder der Familien von Rowlands und Cassavetes mit. Nick ist Feuerwehrmann, Mabel versorgt Haushalt und drei Kinder. Dabei ist sie so krampfhaft darum bemüht, die ideale Ehefrau und Mutter zu sein, dass schon das Zusehen wehtut. Nick liebt seine Frau. Doch als Mabels Verhalten immer sonderlicher wird, gibt er sie – im Einverständnis mit Hausarzt und dem Rest der Familie – in institutionelle Behandlung. Helfen wird ihr das nicht: Die als geheilt entlassene Mabel ist eine gebrochene Frau.

Trotz der kritischen Hinterfragung von Weiblichkeit und Normalität geht der Film keinesfalls in dieser Kritik auf. Denn für Cassavetes ist der Plot Nebensache. Was zählt, sind die Situationen vor der Kamera: Emotionen, nicht Konzepte. Die Sehnsucht nach Liebe. Der Wunsch nach persönlicher Autonomie. Cassavetes nimmt diese Ansprüche ebenso ernst, wie er ihre Realisierbarkeit in Frage stellt. Und er zeigt auch, zu welch billigem Schmiermittel die großen Mythen der amerikanischen Vulgär-Psychologie verkommen sind: „I love you“, das soll auch zwischen Nick und Mabel die Zauberformel sein, wenn sonst nichts mehr hilft. „Just be yourself“ sagt Nick zu Mabel einmal nach einem besonders heftigen Gefühlsausbbruch. Sei einfach du selbst.

Vielleicht ist das die einzige wirklich zynische Stelle in diesem Film. Denn Cassavetes’ Figuren ringen wie im wirklichen Leben verzweifelt um Glück und Autonomie und sind gleichzeitig den inneren und äußeren Zwängen ausgesetzt, gegen die auch bester menschlicher Wille nicht ankann. Hoffnung gibt es einzig im Weitermachen, in der Lust am unsicheren Abenteuer Leben. Diese nüchterne Perspektive lässt „Eine Frau unter Einfluss“ auch heute noch kaum gealtert erscheinen. (OmU in den Kinos Central und fsk) sh

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