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Wiedersehen vor dem Kino: Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) in "Fallende Blätter" von Aki Kaurismäki.

© Sputnik Oy/Pandora Film/Malla Hukkanen

Aki Kaurismäkis Liebesdrama „Fallende Blätter“: Lebewohl an die Einsamkeit

Und noch ein letzter Film vom finnischen Meisterregisseur: Aki Kaurismäki bringt in „Fallende Blätter“ zwei verlorene Menschen zusammen.

Die Menschen im Kino von Aki Kaurismäki mögen die Einsamkeit. Ihr Leben steht schon lange still, und dann sagen sie der Einsamkeit auf je eigene schweigsame Weise doch Lebewohl. Die Supermarktkassiererin Ansa (Alma Pöysti), die entlassen wird, weil sie ein Brötchen mit abgelaufenem Verfallsdatum mitgehen lässt, und der Metallarbeiter Holappa (Jussi Vatanen), der ständig seine Jobs verliert, weil er trinkt, sie sind solche Menschen.

Eine Liebesgeschichte, wie nur der finnische Meisterregisseur sie erzählen kann: „Fallende Blätter“ beginnt mit einem Blickwechsel in einer Karaoke-Bar, wo die beiden von stoischen Trinkern und traurigen Liedern umgeben sind. Es folgen ein Café-Besuch, bei dem Holappa die Bestellung einer Zimtschnecke nutzt, um verstohlen einen Schluck aus seiner Schnapsflasche zu nehmen, und ein Kino-Abend, bei dem sie ihm ihre Telefonnummer gibt, die er sofort wieder verliert.

„The Dead Don’t Die“ heißt der Zombie-Film von Jim Jarmusch (auch ein großer Kino-Melancholiker), den sie sich angeschaut haben. Bis Ansa und Holappa zusammenkommen, wird ihre Liebe noch einige Tode sterben.

Das Kino heißt Ritz, im Aushang hängen Plakate von Melvilles „Vier im roten Kreis“, Godards „Pierrot le Fou“ und David Leans „Brief Encounter“, auch das ein Liebesdrama voller Vergeblichkeiten. Hier, vor dem Ritz, hoffen Ansa und Holappa, einander wieder anzutreffen. Zum Glück ist das Kino seit jeher ein Ort, an dem Menschen sich finden.  

Die Nouvelle Vague, der Neorealismus (auch ein Plakat von „Rocco und seine Brüder“ rückt ins Bild), Hollywoods Melodramen – und der kleine Hund, der Ansa zuläuft, heißt Chaplin: Kaurismäki beschwört eine untergegangene Filmwelt und bewahrt sie vor dem Vergessen, indem er sie den Verlierern der Gegenwart zu Füßen legt. Den Arbeitern und Arbeitslosen, denen, die aus der Zeit gefallen sind und keine Chance haben.

Als Ansa Holappa zum Essen einlädt, muss sie erstmal einen zweiten Teller kaufen und ein zweites Besteck, ihr Geld reicht sonst noch für einen Piccolo. Als sie ihn fortschickt, weil sie keinen Trinker möchte, wo sich schon ihr Vater und ihr Bruder totgesoffen haben, wirft sie den Teller wieder weg. Zu seinem schwarzhumorigen Arbeitskollegen Huotari (Janne Hyytiäinen) sagt Holappa: „Ich trinke, weil ich deprimiert bin, und ich bin deprimiert, weil ich trinke“. Ein Zirkelschluss, meint Huotari. Holappa kennt nicht mal das Wort.  

Nach seinem Flüchtlings-Melodram „Die andere Seite der Hoffnung“ 2017 hatte Kaurismäki zum wiederholten Mal angekündigt, er höre jetzt endgültig auf. Aber getreu seinem Motto „Wenn alle Hoffnung verschwunden ist, gibt es keinen Grund für Pessimismus“ dreht der mittlerweile 67-Jährige alle paar Jahre einen allerletzten Film. Verfallsdaten interessieren ihn nicht. Und wir brauchen sie ja, seine finnischen Kino-Tangos, den spröden Minimalismus und die Lakonie, mit der er die letzten Reste von Menschlichkeit zusammenkratzt und sie zum Leuchten bringt.

Die Kamera bewegt sich nur, wenn es unvermeidlich ist. Lieber hält sie inne, nimmt sich Zeit für die Gesichter und Gruppen-Tableaus, taucht die Figuren in verschattete Spotlights und warme, erdige Farben. Ockergelb, rehbraun, rostrot, Ansas Mantel ist taubenblau.

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So umhegt Kaurismäki seine Protagonisten einmal mehr mit einer Aura der Würde. Den sanften, wehmütigen Flow kennt man aus seinen frühen Proletarierfilmen, auch aus „Lichter der Vorstadt“ oder „Wolken ziehen vorüber“. Wiederholung? Nein, eher Heimat: Sofort fühlt man sich in Kaurismäkis Bildern wieder zuhause.  

Auch wenn das Telefon von Olappas Chef eine Wählscheibe hat, frönt Kaurismäki keiner Vintage-Nostalgie, er verklärt die analoge Vergangenheit nicht. Ansa verdingt sich irgendwann ebenfalls auf dem Bau, schippt Metallspäne zusammen, während Olappa anderswo schweißt und Zement mischt. Es ist und bleibt harte körperliche Arbeit, die Kollegen sind solidarisch, die Vorgesetzten gnadenlos.

Die Luftaufnahmen zeigen Helsinkis Großbaustellen mit Kränen und Gelbwesten, in den Radio-Nachrichten taucht täglich der Ukrainekrieg auf, auch der russische Luftangriff auf das Theater von Mariupol mit 1200 Zivilisten. Kaurismäkis Kino, diese Schutzkammer, ist vor der Realität nicht gefeit.    

Als Olappa nach einem Unfall im künstlichen Koma liegt, besucht Ansa ihn im Krankenhaus und flunkert ihm vor, Finnland stehe im WM-Finale. Es hilft, so viel sei verraten. Und es gibt die Musik, sehr viel Musik. „Fallende Blätter“ ist nach einem Chanson von Jacques Prévert benannt, in der Bar steht eine Wurlitzer-Jukebox, wir hören finnischen Blues, Dean Martins „Mambo Italiano“ und wiederholt ein Sehnsuchtsmotiv aus Tschaikowskys „Pathétique“. Einer singt Schubert, die Band Maustetytöt – das Schwestern-Duo Anna und Kaisa Karjalainen – steuert finster-poetische Verse bei. „Fallende Blätter“, fast schon ein Musical, zersetzt die Trostlosigkeit und destilliert Kaurismäkis Kino auf seine Essenz.

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