zum Hauptinhalt
Starkes Band. Regisseur Adrian Goiginger (l.) mit Darsteller Michael Pink. 

© Thomas

Kultur: Achterbahn der Gefühle

Filmgespräch im Thalia: „Die beste aller Welten“

Für den siebenjährigen Adrian ist es ein Spaß, gemeinsam mit seiner Mutter Helga „Zaubertränke“ zu kochen. Immer werden zwei Flaschen abgefüllt, eine für Erwachsene und eine für Kinder. Mit Nachdruck erklärt die Mutter dem Jungen, dass er den Erwachsenentrank niemals anrühren darf – dass sie aus getrockneten Mohnkapseln, die Adrian mit den Fingern zerdrücken darf, Opium für ihre Drogensucht herstellt, weiß das Kind nicht.

Diese Szene aus dem Debütfilm „Die beste aller Welten“ des österreichischen Regisseurs Adrian Goiginger geht dem Zuschauer auf verstörende Weise ans Herz. Denn als primäres Gefühl stellt sich nicht Entsetzen ein. Was hier beeindruckt, sind der liebevolle Umgang der Mutter (Verena Altenberger) mit dem Kind (Jeremy Miliker), die Innigkeit, die zwischen den beiden herrscht, die Fröhlichkeit des Kindes.

Als der mit vielen Preisen ausgezeichnete Film – darunter der First Steps Award für den besten deutschsprachigen Abschlussfilm und der Kompass-Perspektive-Preis der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2017 – am Samstag im Babelsberger Thalia-Kino gezeigt wird, sagt Adrian Goiginger im anschließenden Filmgespräch mit den Gästen: „Es ist ein Liebesfilm, und ich hoffe, dass die Zuschauer ihn auch so sehen.“ Merkwürdig mutet diese Aussage zunächst an. Denn der 26-jährige Regisseur erzählt – mit wenigen Abwandlungen – die Geschichte seiner eigenen Kindheit und schickt sein Publikum dabei auf eine „Achterbahnfahrt der Gefühle“, wie es eine Zuschauerin nach Filmende ausdrückt.

Die stets abgedunkelte und verrauchte Wohnung der drogenabhängigen Helga am Stadtrand von Salzburg ist Treffpunkt für Junkies, die sich im Badezimmer Heroin spritzen oder sich Kokain durch die Nase ziehen, während Adrian daneben sitzt und seine Hausaufgaben macht. Im Vollrausch vergessen die Erwachsenen oft das Kind, das auch schon mal unfreiwillig eine Nacht draußen auf dem Balkon verbringt oder heimlich Bier mittrinkt. Nicht selten gerät Adrian selbst in Gefahr, etwa, wenn der Dealer seiner Mutter (Michael Pink) die Kontrolle über sich verliert und das Kind zwingen will, Wodka zu trinken. Und schließlich findet Adrian eines Tages diesen Drogendealer tot im Bett des elterlichen Schlafzimmers.

„Die beste aller Welten“ ist ein Drogenfilm, der sehr detailliert zeigt, wie Adrian Goiginger in einem Neubauviertel Salzburgs in den 1990er-Jahren aufwächst. Aber mit actiongeladenen Filmen wie „Fear and Loathing in Las Vegas“ oder „Trainspotting“ hat er wenig gemeinsam. Der Film zeigt ärmliche Verhältnisse und von der Sucht gezeichnete Körper und Seelen, verzichtet aber darauf, es dem Zuschauer zu ermöglichen, die Darsteller als reine Opfer oder Täter einordnen zu können. Jugendamtsmitarbeiter sind hier empathisch und ratlos, Lehrer oder Ärzte werden auch als überheblich und gleichgültig gezeigt. Andere Kinder von Drogenabhängigen aus Salzburg seien heute selbst abhängig, so Goiginger. Einige von ihnen hätten sich bei ihm für den Film bedankt, weil er einmal auch die Stadt jenseits der Touristenviertel zeige und thematisiere, dass nur wenig Hilfe für die gäbe, die clean werden wollen.

Es ist erstaunlich, dass Goiginger mit diesem persönlichen Hintergrund tatsächlich einen Liebesfilm gedreht hat. Das starke Band zwischen Mutter und Sohn steht hier über allem Schrecklichen – und ist auch im Film wesentlicher Grund dafür, dass Helga wieder clean wird, nachdem Adrian eines Tages fast am „Zaubertrank“ für Erwachsene stirbt. Die „wirkliche“ Helga schafft das auch, da ist Adrian 12 Jahre alt. 2012 stirbt sie an Krebs, was für Goiginger den Ausschlag gibt, den Film zu drehen. Dass eine abhängige Mutter es nämlich schafft, ihrem Kind im Drogenmilieu „die beste aller Welten“ zu ermöglichen, „das ist nicht selbstverständlich“, sagt er. Er wolle deshalb vor allem eines zeigen, wie er sagt, nämlich, dass am Ende die Liebe siegt. Andrea Lütkewitz

Andrea Lütkewitz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false