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Katastrophenwand im Museum für Film und Fernsehen

© Marian Stefanowski

60. Geburtstag der Deutschen Kinemathek: „Der Neubau eines Filmmuseums ist politisch gewollt“

Zum Jubiläum blickt die Deutsche Kinemathek nicht zurück, sondern in die Zukunft. Direktor Rainer Rother spricht über die Anforderungen unserer neuen Bilderkultur und den Umzug seines Hauses.

Von Andreas Busche

Herr Rother, in diesem Jahr feiert die Deutsche Kinemathek ihren 60. Geburtstag. Wie ist Ihr Haus auf die neuen Anforderungen einer sich wandelnden Bilderkultur vorbereitet?
Die Rezeption des Bewegtbildes befindet sich in einem Umbruch, wie wir ihn zuletzt vermutlich im Übergang vom Stumm- zum Tonfilm erlebet haben. Die Geschäftsmodelle, die Abspielmöglichkeiten und das Nutzerverhalten ändern sich radikal. An diesen Punkten muss auch unsere Selbstbefragung als Institution ansetzen: Wie können wir unsere Sammlung für die zukünftige Anforderungen neu evaluieren? 

Wie spiegelt sich diese Fragestellung im Jubiläumsprogramm wider?
Unser Projekt „ArchiVistas“ fußt auf zwei Säulen: Einerseits befragen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Sammlungen und stellen eine Auswahl ihrer Filme in unserer monatlichen Reihe „Filmspottings“ sowie in unserem neuen Onlinemagazin „Insights“ vor.

Die zweite Säule besteht darin, dass wir mit Filmschaffenden und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie Fatih Akin, Mo Asumang, Margarethe von Trotta und Julian Rosefeldt in einen Austausch treten über die Frage, unter welchen Voraussetzungen heute Bewegtbilder kursieren und welche Konsequenzen sich daraus für die Arbeit einer Kinemathek ableiten.

Die Rezeption des Bewegtbildes befindet sich in einem Umbruch, wie wir ihn zuletzt vermutlich im Übergang vom Stumm- zum Tonfilm erlebet haben.

Rainer Rother, Leiter der Kinemathek

Zudem arbeiten wir auch mit Schüler:innen zusammen, die wiederum ganz andere Erfahrungen mit unserer Bilderkultur machen, oder mit Expert:innen wie Bénédicte Savoy, die sich näher mit der Kontextualisierung der Filme und der filmbegleitenden Materialien befasst. Das Ergebnis dieser Befragung wird ab dem 4. Oktober in einer Installation im Museum für Film und Fernsehen zu sehen sein. In diesem Rahmen bieten wir auch den Besucher:innen an, ihre eigenen Antworten und Fragen, auch Kritik, zu teilen.

Eine Kinemathek steht also vor derselben Herausforderung wie Museen, sich nicht mehr nur als Orte von abgeschlossener Geschichte zu begreifen, sondern sich für einen Dialog mit den Gästen zu öffnen. Sind das ihre Lehren aus der Pandemie?
Wir befinden uns in einem Prozess. Die Erfahrungen in der Pandemie haben dazu auch beigetragen. Das Haus hat mit virtuellen Führungen experimentiert, Sammlungserkundungen online angeboten, was auch zum Web-Auftritt von „Insights“ führte, und ein Streamingportal mit Filmen aus unserem Archiv gestartet.

Dabei haben die Förderprogramme Museum 4.0 und Neustart Kultur geholfen, die uns die Sicherheit gaben, neue Projekte, wie etwa unsere App, zu testen. Die Überlegung dahinter ist immer dieselbe: Welche Erfahrungen können wir als Kinemathek bieten, die bisher nicht möglich waren? Am 14. Oktober eröffnen wir zum Beispiel eine Ausstellung in der Weltkulturerbestätte Völklinger Hütte, einem stillgelegten Stahlwerk im Saarland. Wir müssen gerade sehr viel ausprobieren – auch vor dem Hintergrund, dass wir 2025 aus diesen Räumlichkeiten ausziehen werden.  

Im Frühjahr 2025 läuft Ihr Vertrag im Sony Center aus, im Moment ist als neuer Standort der Parkplatz neben dem Gropius Bau im Gespräch. Wie sieht die Interimslösung für die Kinemathek und das Filmmuseum aus?
Wir stehen als zu 100 Prozent bundesgeförderte Kultureinrichtung in engem Austausch mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der Bima, die für die Suche nach einem Zwischenquartier zuständig ist. Einigkeit bestand darin, dass wir einen Übergangsort finden, der die konservatorische Voraussetzung einer Sammlung wie auch Publikumsverkehr für unsere Bibliothek, unser Bildungsangebot sowie für kleinere Ausstellungen erlaubt.

Wir haben vielversprechende Immobilien angeboten bekommen, die von der Bima noch evaluiert werden. Diese Objekte müssen auf das Anforderungsprofil eines Museums hin optimiert werden. Die Entscheidung trifft mit Blick auf unser Anforderungsprofil letztlich unser Stiftungsrat.

Im Frühjahr 2025 muss die Deutsche Kinemathek ihr Räumlichkeiten in Sony Center am Potsdamer Platz verlassen.

© Marian Stefanowski13597 Berlin

Es gibt also den politischen Willen, dass die Deutsche Kinemathek bis zum neuen Museumsbau ihre Arbeit fortsetzt?
Ja, denn wir haben einen öffentlichen Auftrag, den wir, so der ausdrückliche Wunsch der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, weiter erfüllen sollen. Jeder Regierungswechsel bringt personelle Veränderungen mit sich, auch im Kulturausschuss. Aber Claudia Roth hat sehr früh signalisiert, dass sie das neue Filmhaus auf dem Parkplatz des Gropius-Baus befürwortet – so schnell wie möglich.

Was bedeutet das konkret?
Das Grundstück gehört schon seit einer Weile dem Bund, allerdings gibt es noch keinen Bebauungsplan. Hier hoffen wir auf Unterstützung durch die Stadt Berlin. Wir gehen mal vorsichtig von etwa zehn Jahren aus.

Von welchen Bezirken sprechen wir beim Zwischenquartier?
Im Moment möchte ich nur so viel sagen, dass sie alle innerhalb des S-Bahnrings liegen – sowohl im Osten als auch im Westen.

Claudia Roth hat sehr früh signalisiert, dass sie das neue Filmhaus auf dem Parkplatz des Gropius Baus befürwortet.

Rainer Rother

Im Sony Center haben Sie einen Mietvertrag mit einer Immobilienfirma, im neuen Museumsbau wird der Bund Ihr Vermieter sein. Was ändert sich dadurch für die Kinemathek?
Das ändert alles. Zunächst mal zahlen wir künftig unsere Miete an den Bund, das heißt, dieses Geld fließt nicht an einen Immobilienfonds, sondern in den Bundeshaushalt – und damit in neue Projekte. Der Potsdamer Platz war immer ein guter Standort, weil er zentral liegt und Touristen anzieht, aber das Gebäude ist nicht als Museum konzipiert worden. Auf dem Gropius-Parkplatz können wir in Zukunft einen state of the art Museumsbau erwarten, der über zwei Kinosäle verfügt und – das ist eine wesentliche Voraussetzung – vor allem klimaneutral ist. Bei einem Neubau ist das viel leichter umzusetzen als bei Bestandsbauten.

Beim geplanten Museum der Moderne scheint das mit der Klimaneutralität bisher aber noch nicht zu funktionieren. Gibt es schon ein Konzept, wie Sie die Vorgaben im Rahmen des Budgets erfüllen können?
Im Rahmen des Deutschen Museumsbundes gibt es einen regen Austausch dazu, auch die Präsentation vorbildlicher Lösungen. Das reicht von Naturmaterialien beim Bau bis zu innovativen Energielösungen. Das schauen wir uns sehr genau an.

Wie hoch sind die Kosten für das neue Gebäude auf dem Gropius-Parkplatz veranschlagt?
Dazu kann erst etwas gesagt werden, wenn Architekturentwürfe vorliegen. Das liegt noch in der Zukunft.

Der auslaufende Vertrag bedeutet auch das Ende des Filmhauses am Potsdamer Platz. Das Arsenal geht in das Silent Green im Wedding, die Dffb bezieht ihren neuen Campus in Moabit. Kinemathek und Dffb waren schon am Theodor-Heuss-Platz Nachbarn. Was geht damit verloren?
Heinz Rathsack war sogar eine Weile Direktor sowohl der Dffb als auch der Kinemathek. Unsere drei Einrichtungen haben sich aber schon über einen längeren Zeitraum in unterschiedliche Richtungen bewegt. Auch die Filmstudenten haben heute andere Vorlieben als noch die Generation Christian Petzold und Thomas Arslan. Ihr Interesse am Film hat sich gewandelt, was auch mit der schieren Menge an Bewegtbildern heutzutage zusammenhängt.

Erweist sich nun, wo sich die drei Einrichtungen an anderen Orten verstetigen, auch das Filmhaus rückblickend nur als Übergang?
Das Filmhaus war eine sehr gute Berliner Idee, weil zu Beginn alle drei Institutionen, in unserem Fall mehrheitlich, vom Senat finanziert waren. Und sie passte in diese Aufbruchsstimmung der 1990er Jahre: Am Potsdamer Platz sollte wieder etwas Leben in die Bude kommen. Seitdem haben sich diese Einrichtungen aber, wie im Übrigen die gesamte Stadt, weiterentwickelt.

Die Dffb ist internationaler geworden, das Arsenal setzt neue thematische Schwerpunkte, und auch wir konnten in den vergangenen zwanzig Jahren unser Profil besser definieren. Vor dem Potsdamer Platz hatte die Kinemathek noch kein Museum. Alle drei Institutionen sind an diesem Ort gewachsen.     

Das Filmhaus passte in diese Aufbruchsstimmung der 1990er Jahre: Am Potsdamer Platz sollte wieder etwas Leben in die Bude kommen. 

Rainer Rother

Auch der Umgang mit medialen Bildern hat sich seitdem verändert.
Vor 2006 hatten wir kein museumspädagogisches Angebot, was heute selbst im kleinsten Museum unverzichtbar ist. Wenn wir jetzt nicht die jüngeren Generationen für eine kritischen Auseinandersetzung mit Bewegtbildern sensibilisieren und ihr Nutzerverhalten schulen, dann droht die Gefahr, dass diese Bilder irgendwann nur noch konsumiert, aber nicht mehr verstanden werden. Unser Anspruch besteht weiterhin darin, ein kritisches Bewusstsein für die Bilder, die uns umgeben, zu schaffen.

Ein Forschungsschwerpunkt der Kinemathek war stets das Exil. In den vergangenen Jahren wird aber das Thema Migration gesellschaftlich immer relevanter. Wäre es da nicht an der Zeit, auch die Idee eines nationalen Filmerbes zu überdenken? Gehören zur deutschen Filmgeschichte nicht auch ein iranischer Filmemacher wie Sohrab Shahid Saless oder Rafael Fuster Pardo aus Spanien, die in den 1970er und 1980er Jahren Filme in und über Deutschland gemacht haben?
Die Kinemathek ist schon aus ihrer Geschichte heraus kein klassisches nationales Filmarchiv. Wir haben eine große Sammlung zum Exilfilm, viele unabhängige Filme, queeres Kino und eine große Zahl an Filmen von Regisseurinnen. Da wir das Archiv der Dffb pflegen und diese Filme verleihen, befinden wir uns drüber hinaus aber auch in der glücklichen Situation, die Perspektive von migrantischen Regisseurinnen auf Deutschland präsentieren zu können. Diese Richtung werden wir weiterverfolgen.

Der Eingangsbereich der ständigen Ausstellung des Museums für Film und Fernsehen.

© Marian Stefanowski./Marian Stefanowski.

Inwiefern?
Unser diesjähriges Symposium „Absence“ im Oktober behandelt die Frage: Welche politischen Einstellungen, welche sozialen Gruppen sind in der Filmgeschichte bislang nicht berücksichtigt oder unterrepräsentiert? Und wie kann man ihnen Sichtbarkeit verschaffen? Wir stoßen da auf ganz praktische Probleme: Für die Förderung von Digitalisierungen kommen nur Filme infrage, die ein deutsches Ursprungszeugnis haben. Das trifft auf die Produktionen der Dffb zu, bei vielen Filmen gibt es da aber einen Interpretationsspielraum. Das ist selbst beim Exilkino in Einzelfällen immer noch ein Problem.

An dem neuen Standort wird sich die Kinemathek neben dem Gropius-Bau, Topografie des Terrors und dem Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung befinden. Ist diese neue Nachbarschaft vielleicht programmatisch?
Dazu kommt noch das Exilmuseum am Anhalter Bahnhof. Es entsteht eine neue Museumsmeile, und alle diese Häuser haben etwas miteinander zu tun. Das ist eine einmalige Chance, genau an diesem Ort mit der Berlinale und Vision Kino (Anm.: gemeinnützige Einrichtung zur Filmvermittlung) sozusagen ein Zentrum für Bewegtbild Präsentation und Reflexion zu schaffen.

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