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Mathias Schönsee hat Franz Werfels Roman „Eine blassblaue Frauenschrift“ für das „Kleine Theater“ dramatisiert.

© Kleines Theater

50 Jahre Kleines Theater am Süwestkorso: Mittendrin statt nur dabei

1973 gründete Sabine Fromm das „Kleine Theater am Südwestkorso“, seit 18 Jahren führt Karin Bares die Mini-Bühne in Friedenau. Sie bietet zur Freude vieler Stammgäste ganz klassisches Sprechtheater.

Die Sache mit dem keuschen Josef hängt dem „Kleinen Theater am Südwestkorso“ bis heute an. Wie ein Fleck auf dem Lieblingspulli, der sich nicht mehr auswaschen lässt. Im größten Hit aus Leo Falls Operette „Madame Pompadour“, uraufgeführt 1922 in Berlin, reimt sich auf „keusch“: „Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch“.

Und genauso hieß die Revue, die 1986 an der Mini-Bühne an der Grenze von Friedenau zu Wilmersdorf herauskam: Bühnenpförtner Klenke und Putzfrau Knutzke führten darin musikalisch durch ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte von der Kaiserzeit bis zum Ende des 2. Weltkriegs. Das Stück wurde ein Riesenhit, erlebte in acht Spielzeiten sagenhafte 2222 ausverkaufte Vorstellungen. Was bei einer Platzkapazität von 99 Sitzen pro Abend insgesamt eine Zuschauerschaft von 219.978 Personen ergibt.

Mega-Hit mit 2222 Vorstellungen

Selbst Theatergründerin Sabine Fromm war damals überrascht von dem Erfolg. Hatte sie das „Kleine Theater“ 1973 doch eigentlich mit anderen Absichten gegründet: Sie wollte Sprechtheater anbieten, gerne heiter, gerne in historischen Kostümen, aber immer sinnlich und zugleich mit großem Ernst gemacht.

2001 stirbt Sabine Fromm, viel zu früh, ihr Witwer, der Regisseur Pierre Badan, führt das Haus mit der eingespielten Truppe zunächst weiter. Dann aber kommt eine Halbierung der staatlichen Zuschüsse – und der Leitungswechsel: Karin Bares übernimmt 2006, führt die seitdem chronisch unterfinanzierte Bühne mit nur drei Festangestellten zu neuer künstlerischer Blüte.  

Bürgerlicher Kiez

Das prächtige Jahrhundertwende-Eckhaus im bürgerlichen Friedenau beherbergte einst ein Kino, bevor der Saal zum Theater umfunktioniert wurde. Die Dimensionen des Foyers sind darum winzig, noch kleiner ist nur das seitlich eingebaute Kassen-Kabäuschen. Am oberen Ende des schmalen Zuschauerraums mit ansteigenden 14 Sitzreihen gibt es eine Bar. Die Getränke, die dort ausgeschenkten werden, darf man mit an den Platz nehmen.

Szene aus Boris von Posers Inszenierung der „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler

© Kleines Theater

Seine Mäntel hängt das Publikum selbstständig an Messinghaken in schmale Nischen, die in der Wandvertäfelung eingelassen sind. Was sich in den kalten Monaten als praktisch erweist, denn so ist das wärmende Kleidungsstück in der Pause schnell zur Hand: Wer umherflanieren will, kann das nämlich nur im Freien tun.

Die räumliche Enge ist zugleich auch das große Plus des Mini-Theaters: Denn hier ist man ganz nah dran an den Schauspielerinnen und Schauspielern, verschmilzt schnell mit den Umsitzenden zur gebannt lauschenden Gemeinschaft.

Lebenswege und -brüche

Am Südwestkorso wird klassisches Erzähltheater geboten. Begriffe wie „konventionell“ oder gar „traditionell“ will Karin Bares auf keinen Fall in den Mund nehmen. Ebenso wie ihr kein schlechtes Wort über die postdramatisch dekonstruierten Textflächen anderer Bühnen entschlüpft, geschweige denn über Darsteller, die distanziert Theorietexte skandieren.

Nein, die 56-jährige Prinzipalin formuliert ihre Botschaft lieber positiv. „In allen unseren Stücken, ob fiktiv oder biografisch, stehen Menschen mit ihren Lebenswegen und -brüchen im Mittelpunkt.“ Das kann Leonard Cohen sein oder Agatha Christie, aber auch das Ehepaar aus Schnitzlers „Traumnovelle“ oder auch das Herren-Trio aus Kästners „Drei Männer im Schnee“.

Sehnsucht nach Identifikation

Und Karin Bares findet viele Liebhaber dieser Kunst: junge Menschen mit Sehnsucht nach packend erzählten Geschichten, Leute aus dem Umland, denen die Staatsbühnen zu avantgardistisch sind, Theatergänger aus der Hauptstadt, die Schauspiel zu schätzen wissen, bei dem sie sich mit den Schicksalen der Darsteller identifizieren können. Fast ein Viertel ihrer Gäste sind zudem Berlin-Touristen, die das besondere Theatererlebnis suchen.

Das „Kleine Theater am Südwestkorso“ residiert im beschaulichen Friedenau.

© Kleines Theater

2021 wurde beim Privattheatertreffen in Hamburg die Adaption von Franz Werfels Roman „Eine blassblaue Frauenschrift“ als beste Produktion des Jahres ausgezeichnet, die Regisseur Mathias Schönsee am Südwestkorso auf die Bühne gebracht hat. Für den „Goldenen Vorhang“, den Preis des Berliner Theaterclubs, sind aktuell Birge Schade und Markus Gertken aus Bares‘ Inszenierung „Die Deutschlehrerin“ nominiert.

Stolz ist die Theaterchefin auch darauf, dass ihre Uraufführungen oft von diversen Stadttheatern nachgespielt werden. Wie beispielweise die „King Kong“-Dramatisierung von 2013. Rund 150 Vorstellungen gibt es am Südwestkorso pro Jahr, ein Dutzend Produktionen wechseln sich ab, viele sind Dauerbrenner, drei bis vier Novitäten kommen pro Spielzeit heraus.

„Mitnichten“ sei das „Kleine Theater“ eine Kiezbühne, betont Karin Bares. Gerade bei den Leuten, die in der Nähe wohnen, hat sich nämlich die legendäre „Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch“-Revue besonders tief ins Bewusstsein gebrannt. Und trübt dadurch den offenen Blick für das ganz andere, was hier seit 18 Jahren gespielt wird.

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