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Ferdinand Marcos Jr., Präsident der Philippinenund Generalleutnant Romeo Brawner Jr. (r.), Kommandierender General der Philippinischen Armee

© dpa/Aaron Favila

Diktatorensohn Marcos Jr. wird immer mächtiger: Ist der philippinische Staatschef eine Gefahr für das Land?

Ferdinand Marcos regiert die Philippinen seit einem Jahr. Befürchtungen, dass mit ihm die Demokratie untergehen werde, haben sich nicht bewahrheitet. Begründet sind sie trotzdem.

Victoria Herrera weiß noch, was sie dachte, als sie vor einem Jahr zusah, wie in den Philippinen der neue Präsident sein Amt antrat: „Hab‘ ich das nicht schon einmal gesehen, vor sechs Jahrzehnten?“ Die ältere Dame muss ungläubig lachen.

1965 war Herrera ein kleines Mädchen, heute leitet sie die Ateneo Art Gallery, eines der wichtigsten Kunstmuseen des Landes. „Wir zeigen hier viele kritische Kunstwerke von damals, aus der Zeit der Marcos-Diktatur“, sagt sie und führt durch das Museum. Über der Tour durch Bilder und Skulpturen schwebt die Frage: Naht so eine dunkle Ära jetzt erneut?

Die Parallelen von damals und heute sind schnell erklärt: Am 1. Juli 2022 wurde Ferdinand Marcos Junior zum Präsidenten der Philippinen ernannt. Er ist der Sohn von Ferdinand Marcos Senior, der das Land ab 1965 regierte - 14 Jahre davon als Diktator. Bei einem Volksaufstand 1986 wurde die Familie Marcos, die bis dahin ein Vermögen in Höhe mehrerer Milliarden US-Dollar angehäuft hatte, schließlich aus dem Land gejagt. Die daraufhin verabschiedete demokratische Verfassung sollte ein neuerliches Abrutschen in eine Diktatur für immer vorbeugen. Doch seit einem Jahr heißt der Präsident wieder Ferdinand Marcos.

Er hat sich nie von den Gräueltaten seines Vaters distanziert

Die Wahl im Frühjahr 2022 gewann der 65-jährige Marcos Junior haushoch – im Wahlkampf hatte er versprochen, die Menschenrechte wahren zu wollen. Kritische Stimmen im Land bleiben trotzdem misstrauisch.

Denn vom Diktator Marcos Senior – unter dessen Ägide 70.000 Menschen verhaftet, 2.000 gefoltert und 3.500 getötet wurden – hat sich der Junior nie politisch distanziert. Er lobt ihn sogar bei jeder Gelegenheit, sagte bei seinem Amtsantritt Sätze wie: „Er hat Dinge geschafft. Und so wird auch sein Sohn sein.“

Dass sich der Präsident der Philippinen in der Tradition eines Diktators sieht, macht viele im Land nervös. Victoria Herrera, die einst zur demokratischen Opposition gegen das Regime von Marcos Senior gehörte, ist eine von ihnen.

An den Wänden der Ateneo Art Gallery hängen Karikaturen aus den 1970er und 1980er Jahren, die den Raub am Staat durch die Marcos-Familie genauso zum Thema machten wie die Unterdrückung der Opposition. „Ich witzle zu meinen Freunden bis heute: Besucht mich im Gefängnis!“ Wobei sie sich manchmal nicht sicher sei, ob dies wirklich ein Scherz sei.

Dutertes brutaler Kampf gegen die Drogen-Mafia

Denn das, was gesagt werden darf, muss in dem südostasiatischen Land mit seinen 114 Millionen Einwohnern immer wieder neu verhandelt werden. Von 2016 bis 2022 regierte mit Rodrigo Duterte ein Hardliner in dieser Hinsicht.

Sie erinnern an die Diktatur: Proteste gegen die Marcos-Regierung am 30. Juni 2023 in der Nähe des Malacanang-Palastes in Manila.

© dpa/Aaron Favila

Im Wahlkampf hatte dieser der Drogen-Mafia den Kampf angesagt und angekündigt, Abhängige töten zu lassen. 30.000 Menschen – davon aber längst nicht alle drogenabhängig – wurden nach seiner Wahl erschossen.

Duterte selbst teilte aus, bezeichnete sogar in dem zutiefst katholischen Land den Papst als Hurensohn und wetterte gegen Priester, nannte sie Heuchler. Wer aber Dutertes kritisierte, musste mit Verhaftung rechnen.

Marcos ist weniger vulgär, hört aber ungern Kritik

Und wo steht Ferdinand Marcos Junior? Fragt man die Journalistin Ellen Tordesillas, die das politische Geschehen in den Philippinen seit Jahrzehnten kommentiert, ist die Lage kompliziert, geradezu verwirrend. „Marcos Junior erscheint deutlich freundlicher als Duterte“, flüstert Tordesillas in einem Café im Zentrum von Manila. „Er wirkt überraschend geschickt.“

Kritische Stimmen werden von Marcos nicht direkt beschimpft oder bedroht. „Das erledigen die Influencer und Trolle“, sagt sie. Insofern habe Marcos Junior vielmehr von seinem Amtsvorgänger Duterte gelernt als von seinem Vater.

Experten sind sicher: Rodrigo Duterte hätte im Jahr 2016 kaum die Wahl zum Präsidenten gewonnen, wenn er nicht auf eine Armee bezahlter Influencer und Trolle hätte zurückgreifen können, die ihn als „Mann des Volkes“ in den Himmel lobten und dessen Widersacher verunglimpften.

„Mit Marcos Junior ist es jetzt sehr ähnlich. Nur der Ton ist weniger vulgär als bei Duterte“, erzählt Tordesillas. Womöglich erfreue sich der jetzige Präsident auch gerade deshalb weiterhin hoher Beliebtheitswerte, schätzt sie: „Auch Marcos-Gegner sind oft froh, dass zumindest nicht mehr ständig geschimpft und gepoltert wird wie unter Duterte.“

Seine Sicherheitsberaterin lobt den Präsidenten

Fragt man dagegen Clarita Carlos, so ist die Popularität von Marcos Junior nicht nur seinem Auftreten geschuldet. Die Politikprofessorin, die den Präsidenten bei sicherheitspolitischen Fragen berät, sieht in Marcos Junior einen fähigen Politiker: „Er ist sehr gut über die Themen informiert und hört seinen Mitarbeiterinnen trotzdem aufmerksam zu. Er ist außerdem immer gut gelaunt und sehr menschlich.“ Die wiederkehrenden Vergleiche mit seinem Vater seien nicht gerechtfertigt. „Er ist ein demokratischer Anführer und wird dies auch bleiben.“

Kritiker fürchten Desinformation bei bestimmten Themen

Nicht jeder teilt diese Einschätzung. So wie Ellen Tordesillas beim Umgang mit kritischen Medien eine weitere, subtile Erosion der Demokratie sieht, beobachtet Jan Carlo B. Punongbayan, Ökonomieprofessor an der University of the Philippines in Manila, auch eine gezielte Verbreitung von Unwahrheiten über die Volkswirtschaft.

„In der Öffentlichkeit kursiert zum Beispiel die Behauptung, die ökonomische Lage der Philippinen sei nie so gut gewesen wie unter Marcos Senior, und dass sie nun unter Marcos Junior wieder besser werde. Aber beides ist falsch“, sagt er dem Tagesspiegel.

Während die Philippinen über die letzten Jahre der Diktatur in eine tiefe Krise stürzten, leidet das Land heute unter hoher Inflation, während das Wachstum nachlässt. „Marcos sonnt sich aber im Licht diverser Unwahrheiten“, sagt Punongbayan, der in diesem Jahr ein Buch veröffentlicht hat, das diverse Mythen zu vermeintlichen Erfolgen der Familie Marcos widerlegt.

„Die Marcos’ haben in der Diktatur Milliarden US-Dollar gestohlen und nutzen diesen Wohlstand heute für ihren Machterhalt, während Millionen Filipinas und Filipinas in Armut leben“, sagt Punongbayan, nicht ohne Wut in der Stimme.

Zur Frage, ob die Philippinen auch unter Marcos Junior wieder in eine Diktatur abdriften, will kaum eine der Kritikerinnen eine klare Prognose abgeben. Allerdings deutet viel daraufhin, dass es sich für einen Marcos auch in einer Formaldemokratie recht gut regieren lässt. Die Mehrheit der heutigen Bevölkerung der Philippinen kam nach Ende der Marcos-Diktatur zur Welt. Die Schrecken von damals musste sie nie erleben, wurde in der Schule auch oft kaum darüber aufgeklärt.

In den sozialen Medien, die für einen Großteil der Menschen als Hauptinformationsquelle dient, dominiert die Erzählung, Marcos Senior sei ein erfolgreicher Präsident gewesen – so wie es jetzt sein Sohn werde.

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