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© Tagesspiegel / European Focus

European Focus #18: Korruption hüben wie drüben

+++ Deutschland, Hochburg der Korruption?  +++ 9 von 25 +++ Keine EU-Anerkennung für Engagement gegen Korruption +++ Steuerhinterziehung von königlichem Ausmaß +++ Kriegsopfer Korruption +++

Hallo aus Budapest,

„Korruption ist das, was dir entgeht.“

Wenn Sie Ungarn fragen, wie sie Korruption definieren, wird im Gespräch wahrscheinlich irgendwann dieser Satz des berühmtesten Komikers des Landes, Géza Hofi, fallen. Auch zwanzig Jahre nach Hofis Tod ist seine Definition weit bekannt. Korruption wird dabei oft als etwas angesehen, das nur in den Büros von Politikern oder Geschäftsleuten vorkommt, manchmal auch im Europäischen Parlament.

Aber ist Korruption wirklich so entkoppelt vom Leben des „Otto-Normal-Ungarn“? Erst vergangene Woche berichtete ein Kollege von mir von einer Busfahrt auf dem Lande: Als er einstieg, bot der Fahrer an, ihn für 200 HUF in bar mitzunehmen, wenn er kein „offizielles“ Ticket für 400 HUF kaufe. Mein Kollege lehnte ab; manch ein anderer Fahrgast hat das Angebot aber möglicherweise angenommen.

Tatsächlich sind viele Formen der Korruption so fest und tief in unserer Gesellschaft verankert, dass wir nicht einmal bemerken, wenn sie direkt vor unseren Augen geschieht. Der Newsletter dieser Woche versucht zu erkunden, wie unterschiedliche europäische Länder mit der Korruption umgehen und versuchen, mehr Bewusstsein für ihre Ausmaße zu schaffen.

Viktória Serdült, dieswöchige Chefredakteurin

Deutschland, Hochburg der Korruption? 

Im vergangenen Sommer traf ich mich mit ukrainischen Journalisten an der deutschen Ostseeküste, unweit von Lubmin, wo die Pipeline North Stream 2 deutschen Boden erreicht. 

Viele dieser Kolleginnen und Kollegen hatten acht Jahre zuvor auf dem Maidan bei den Protesten gegen ein Moskau-treues Marionettenregime ihr Leben riskiert. Im Gespräch kam ihrerseits bald die Frage auf: „Es gibt so viel Korruption in Deutschland. Warum toleriert die deutsche Öffentlichkeit das?“

Deutschland – ein korruptes Land? Diese Behauptung dürfte viele Deutsche irritieren. Dabei ist eine solche Wahrnehmung im Ausland nicht ungewöhnlich. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich in Ungarn in Gesprächen mit investigativen Journalisten mit dieser Kritik konfrontiert worden bin.

Geprägt wurde diese Sicht beispielsweise durch die überaus fragwürdigen Verwicklungen der deutschen Autoindustrie in die korrupte ungarische Wirtschaft, oder durch die Wahrnehmung, dass sich einige deutsche Verleger nicht mit Ruhm bekleckert haben, als sie ihre ehemaligen Medientitel vor der Übernahme durch Viktor Orbáns Clique schützten.

Hinzu kommt die Ansicht, auch die hohe Politik in Form von Ex-Kanzlerin Angela Merkel habe die ungarische Demokratie zugunsten der deutschen Wirtschaftsinteressen hintangestellt.

Sicher, in Deutschland müssen Sie Ihren Arzt nicht bestechen, um einen Termin zu bekommen. Dennoch: Während die Deutschen mit sehr kritischem Blick auf die Korruption in anderen Ländern blicken, richten sie das Augenmerk nur sehr selten mit ähnlicher Vehemenz auf sich selbst.

Wie sonst ist es zu erklären, dass Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die eine Tarn-Stiftung gegründet hatte, um North Stream 2 im Schulterschluss mit Gazprom zu realisieren, heute noch im Amt ist? Oder dass Putins Freund und Lobbyist, der Ex-Kanzler Gerhard Schröder, nicht aus der SPD geschmissen wird?

Hoffentlich stellt sich bald die Erkenntnis ein, dass strategisch-politische Korruption „Made in Germany“ sehr viel mehr Schaden anrichten kann als die Alltagskorruption im „Wilden Osten“ oder bei den „faulen Südländern“. Dann könnte ich meinen ukrainischen Kollegen womöglich erwidern, dass es in Deutschland doch große Proteste gegen Korruption gibt – und keine Demonstrationen für einen Stopp der Sanktionen gegen Russland, wie kürzlich in Lubmin. 

Christian-Zsolt Varga ist ein deutsch-ungarischer freiberuflicher Journalist. Er arbeitet in Kiew und ist einer der Gründer von European Focus. 

Zahl der Woche: 9 von 25

Estland liegt im Ranking von Transparency International zur wahrgenommenen Korruption im öffentlichen Dienst auf dem 14. Rang und damit vor Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Frankreich oder Japan. Dieses Ergebnis dürfte viele Esten selbst überraschen.

Beispiel Kohtla-Järve, die fünftgrößte Stadt des Landes: Ende vergangenen Jahres wurden neun der 25 Mitglieder des Stadtrats zu Verdächtigen in einem großen Bestechungs- und Korruptionsfall.

Daraufhin versuchte der Rat, eine „bunte Koalition der Nicht-Korrupten“ zusammenzustellen. Am Ende stimmten nur neun der „unkorrupten“ 16 Ratsmitglieder dafür und überließen die Stadt damit einer Minderheitsregierung.

Wie steht es wohl um die Wahrnehmung von Korruption bei den Bürgerinnen und Bürgern von Kohtla-Järve? Sie „dürfen“ sie gerade direkt vor ihrer Nase beobachten.

Herman Kelomees ist Journalist bei Delfi in Tallinn und berichtet hauptsächlich im Ressort Politik.

Keine EU-Anerkennung für Engagement gegen Korruption

„Korruption tötet“ hieß der Slogan, der im kalten Winter 2015-2016 wochenlang Hunderttausende auf die Straßen Rumäniens trieb. Die sogenannte #colectivrevolution wurde durch die Tragödie im Nachtclub Colectiv in der Hauptstadt Bukarest ausgelöst, wo im November 2015 insgesamt 64 Menschen bei einem Brand ums Leben kamen.

Als klar wurde, dass die Katastrophe durch von den Behörden ignorierte Bau- und Sicherheitsmängel bedingt war, richtete sich die Wut der Massen gegen die Korruption. Letztendlich musste die Regierung von Victor Ponta, die es nicht vermochte hatte, die erhofften Ergebnisse eines jahrelangen, sogenannten „Krieges gegen die Korruption“ zu erzielen, zurücktreten.

Seitdem wird Rumänien oft als positives Beispiel für Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung angeführt. Das ist zugleich richtig und falsch. Mit der Justizreform hat sich Rumänien Schritt für Schritt gewandelt. Es wurden Antikorruptionsinstitutionen eingerichtet und in den vergangenen zehn Jahren hat die Wahrnehmung und Meldung von korrupten Handlungen deutlich zugenommen. Nach den Protesten hat sich Rumänien in Korruptionsrankings deutlich verbessert.

Leider ist dies nicht unbedingt auf die herausragenden Leistungen des Landes zurückzuführen, sondern auf das gestiegene Korruptionsniveau in anderen Ländern. Es ist bezeichnend, dass Österreich Ende 2022 mit Verweis auf Korruption in Rumänien sein Veto gegen den rumänischen Schengen-Beitritt eingelegt hat.

In Rumänien finden sich die meisten Korruptionsfälle immer noch im öffentlichen Beschaffungswesen. Ebenso gibt es nach wie vor ernsthafte Probleme mit den rumänischen Grenzkontrollen. Dennoch ist ein Veto gegen den Schengen-Beitritt kontraproduktiv.

Korruption kennt keine Grenzen. Sie ist unser gemeinsames europäisches Problem. Ob es uns gefällt oder nicht: wir sind miteinander verbandelt. Die rumänische Gesellschaft engagiert sich in einzigartiger Weise für eine korruptionsfreie Politik. Das braucht europäische Unterstützung. Das Veto hingegen schadet den Bürgerinnen und Bürgern, nicht den Kriminellen. Während mehrere mitteleuropäische Länder eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber Korruption an den Tag legen, wäre es falsch, gerade die rumänische Gesellschaft zu bestrafen, die anders denkt und sich weiterhin entschieden zur Wehr setzt.

Boróka Parászka ist Journalistin und Redakteurin bei hvg.hu. Sie lebt im rumänischen Târgu Mureș.

Steuerhinterziehung von königlichem Ausmaß

„Stell‘ dir vor, du möchtest keine Steuern mehr in dem Land zahlen, in dem dein Kopf auf den Münzen ist,“ heißt es in einem Tweet.

Dieser bezieht sich darauf, dass in Spanien Korruption auf allerhöchster Ebene aufgedeckt wurde, nämlich innerhalb der Königsfamilie. Jahrzehntelang wurden die Augen vor den zwielichtigen Geschäften von Juan Carlos I. (unserem ersten König nach der Franco-Diktatur) verschlossen, bis der Skandal derart ausuferte, dass der König gezwungen war, abzudanken, um die Institution Monarchie zu retten.

Jetzt lebt Juan Carlos als „emeritierter König im Exil“ in den Vereinigten Arabischen Emiraten – wo er übrigens zuvor schon seinen Status als spanischer Monarch genutzt hatte, um Geschäfte zu machen.

Inzwischen hat Juan Carlos sogar seinen Steuerwohnsitz in die VAE verlegt, um Ermittlungen des spanischen Finanzministeriums wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit üppigen „Geschenken“ seiner arabischen Freunde zu entgehen. Es ist surreal. Den Spaniern bleibt offenbar nicht mehr als Galgenhumor.

Alicia Alamillos ist Journalistin mit Fokus auf internationale Nachrichten bei El Confidencial aus Madrid.

Kriegsopfer Korruption

Vor zehn Jahren war die Lage so hoffnungslos wie klar: Korruption war in der Ukraine so allgegenwärtig, dass es kaum einen Bereich gab, der nicht von Bestechung und Betrug durchsetzt war. Bildung, Zoll, Gesundheitswesen – in jedem gesellschaftlichen Bereich gab es korrupte Mittel, die Dinge zu regeln. Für viele Bürger war das Zahlen von Schmiergeldern der einfachste und schnellste Weg zum gewünschten Ergebnis. Der damalige Präsident Viktor Janukowitsch war in gewisser Weise Vorreiter dieses Trends. Er hortete einen wortwörtlichen „Schatz“ an Bestechungsgeldern. Die Unruhen von 2013-14 begannen zum Teil, weil die Menschen die Korruption satt hatten. Der neue Präsident, Petro Poroschenko, gewann mit dem Wahlkampfslogan „Eine neue Art zu leben“.

Zunächst verlief alles nach Plan. Karikaturhaft unbeholfene, dickbäuchige, korrupte Beamte der Verkehrspolizei wurden entlassen und durch neue Angestellte ersetzt. Nach Schulungen arbeiteten diese neuen Beamten nach westlichen Standards. Sogar gut bezahlte Manager oder Anwälte wechselten zur Verkehrspolizei.

Bei der Polizei war (und ist) dies ein Erfolg. Die Korruption in den oberen Gesellschaftsschichten blieb derweil bestehen: Leute wie der Oligarch Dmytro Firtasch waren letztendlich gezwungen, das Land zu verlassen, behielten aber ihr Vermögen. Vor fünf Jahren machte sich daher erneut Enttäuschung in der Gesellschaft breit. Der neue Präsident Wolodymyr Selenskyj errang einen Erdrutschsieg mit dem Versprechen: „Ab dem Frühjahr bringen wir korrupte Leute ins Gefängnis.“

Doch es geschah wieder nichts. Erst durchkreuzte die Pandemie Selenskyjs Pläne, dann marschierte Russland ein. Das Land schien plötzlich größere Probleme zu haben. Doch tatsächlich löste der Krieg die wohl größte Anti-Korruptionsbemühung aller Zeiten in der Ukraine aus. Denn ohne finanzielle Hilfe aus dem Westen kann das Land nicht über die Runden kommen – und unsere Verbündeten haben die Regeln für den Zugang zu Bargeld klar und deutlich festgelegt. Eine dieser Regeln ist Zuverlässigkeit. Deshalb arbeiten unsere Antikorruptionsbehörden endlich mit vollem Tempo. In der vergangenen Woche haben die Ermittler in einem echten Kraftakt gegen korrupte Beamte hunderte Durchsuchungen angeordnet und zahlreiche Verdächtige festgenommen. Mehrere Regionalgouverneure verloren ihre Posten, ebenso wie Führungskräfte der Zoll- und Steuerbehörden.

Es ist eine skurrile Situation, in der Krieg und Not die Ukraine stärker als je zuvor in Richtung Rechtsstaatlichkeit drängen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Effekt länger anhält als der Krieg.

Anton Semischenko ist Redakteur bei der englischsprachigen Version der Nachrichten-Website babel.ua aus Kiew.

Danke, dass Sie die 18. Ausgabe von European Focus gelesen haben. Der dieswöchige Newsletter erreicht Sie aus Ungarn, einem Land, das laut Transparency International die EU-weit schlechteste Korruptionsbilanz im öffentlichen Sektor aufweist.

Ein Regierungssprecher macht kürzlich die „fragwürdige Methodik“ und angeblich zwielichtige Finanzierung von Transparency International für das ungarische Abschneiden verantwortlich. Eine Erklärung für die schlechte Platzierung des Landes, geschweige denn eine Lösung für das Problem, lieferte er leider nicht.

Wenn Sie Anregungen, Gedanken oder Kommentare haben, die Sie mit uns teilen wollen, schreiben Sie gerne an info@europeanfocus.eu.

Bis nächste Woche!

Viktória Serdült

Der Newsletter European Focus wird von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich diejenigen der Autor:innen und spiegeln nicht notwendigerweise die der Europäischen Union oder von „Creative Europe“ wider. Weder die EU noch die ausstellende Behörde können für sie zur Verantwortung gezogen werden.

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