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Pavel Filatiev im September 2022 in Paris.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Lewis Joly

Er schrieb zuvor Anti-Kriegs-Bestseller: Russischer Soldat gesteht, später getötete Ukrainer gefangen genommen zu haben

Pavel Filatiev distanzierte sich in seinem Buch von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nun werden Vorwürfe gegen ihn laut, Informationen über seinen Einsatz zurückgehalten zu haben. Seine Agentur dementiert.

| Update:

Der russische Soldat Pavel Filatiev, der im vergangenen Sommer nach seinem Einsatz im Ukrainekrieg ein Buch über seinen Kriegsdienst und die Unrechtmäßigkeit des Angriffskriegs schrieb, hat nun gestanden, Ukrainer gefangengenommen zu haben.

Jene sollen später von Filatevs Kameraden exekutiert worden sein. Das sagte er der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“ Ende Februar. Filatiev behauptet, an den Exekutionen nicht beteiligt gewesen zu sein. Filatiev war Teil des 56. Luftlande-Sturmregiments der russischen Streitkräfte, das zuerst auf der Krim stationiert war und von dort aus Cherson einnahm.

Nach seiner Flucht aus Russland hatte Filatiev mithilfe der russischen Exil-Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“ einen Asylantrag in Frankreich gestellt. Der Gründer, Wladimir Ossetschkin, hat nun nach Bekanntwerden von Filatievs Äußerungen auf dem Telegramkanal seiner Organisation angekündigt, dass das Evakuierungsprogramm für russische Soldaten und Sicherheitskräfte eingestellt wird.

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Laut Ossetschkin sei die Entscheidung auf „negative Erfahrungen“ mit Filatev zurückzuführen. Ossetschkin sagte, Filatiev habe „zugegeben, uns und den Medien Informationen über die Morde an Ukrainern, an deren Verhaftung er beteiligt war, zu verheimlichen“.

Im Interview mit „Dagens Nyheter“ sagte Filatiev Folgendes: „Ich werde Ihnen jetzt etwas Exklusives verraten. Ich weiß mit Sicherheit, dass einige der Gefangenen, die wir festgenommen haben, später erschossen oder gehängt wurden. Aber ich habe es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen.“ Er habe das im vergangenen Sommer erfahren, als er sein Buch bereits geschrieben hatte, behauptet Filatiev.

Der Genfer Menschenrechtskonvention zufolge ist es verboten, „Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen“, als Geiseln gefangen zu nehmen. Ebenso verboten sind „Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung“ von Zivilisten. Kriegsgefangene müssen der Konvention zufolge ebenfalls möglichst menschlich behandelt werden. Ihre Folter oder Ermordung gilt als Kriegsverbrechen, nicht allerdings die bloße Gefangennahme.

Wladimir Ossetschkin sagte dem Tagesspiegel, dass Filatiev im Gespräch mit ihm und Journalisten im vergangenen August explizit von Zivilisten gesprochen hat, die gefangen genommen wurden. Damals hätte Filatiev allerdings nicht davon gesprochen, dass die Zivilisten getötet oder gefoltert worden seien. „Er sagte, sie hätten ihre Telefone durchsucht und sie gehen lassen.“

Der Autor des Artikels in der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“ könnte dem Tagesspiegel gegenüber allerdings nicht genau sagen, ob Filatiev im Interview von Kriegsgefangenen oder Zivilisten gesprochen hat. Er habe lediglich das Wort „Gefangene“ verwendet.

Filatievs Agentur dementiert Beteiligung an Kriegsverbrechen

Zwei Tage nach Öffentlichwerden von Ossetschkins Anschuldigungen gegen Filaitev dementierte die Agentur „Deborah Harris Literary Agency“, die mit Filatiev im Rahmen der Buchveröffentlichung zusammenarbeitet, dass Filatiev an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein soll. „Es gibt keinerlei Grund, Herrn Filatiev der Kriegsverbrechen zu bezichtigen, ein Thema, das er nicht nur in seinem Buch, sondern auch in zahlreichen Interviews mit der internationalen Presse thematisierte“, heißt es in einem Statement, das die Agentur auf Twitter veröffentlichte. Die Agentur stellt sich klar hinter Filatiev und kündigt an, weiterhin an ihm und seinem Buch „ZOV“ festzuhalten.

Ossetschkin wiederum behauptet, Pavel Filatiev habe „de facto seine Beteiligung an Kriegsverbrechen an Ukrainern verheimlicht“. Erst nach der Lektüre des Artikels in der schwedischen Zeitung habe Ossetschkin verstanden, „warum Pavel uns vor dem Ende der Überprüfung des Inhalts seiner ‚ZOV-Beweise‘ davonlief“.

„ZOV“ ist der Titel von Filatievs Buch, das er nach seinem Kriegseinsatz schrieb. Zuerst veröffentlichte er es lediglich als PDF auf dem Sozialen Netzwerk „VKontakte“. Zahlreiche Medien berichteten darüber. In dem Buch schilderte er zum Beispiel, dass die Technik der Russen in den ersten Kriegstagen „hoffnungslos veraltet“ war.

Die Kampftaktiken, die die russische Armee anwandte, sei dieselbe, die ihrer Großväter angewandt hatten. Seiner Meinung nach sei der größte Teil der Armee unzufrieden mit den Geschehnissen, mit Putin und seiner Politik.

„Wir sind alle zu Geiseln vieler Kräfte geworden, und ich glaube, wir haben uns hinreißen lassen. Wir haben einen schrecklichen Krieg begonnen. Einen Krieg, in dem Städte zerstört werden und der den Tod von Kindern, Frauen und älteren Menschen zur Folge hat“, schrieb er in dem Buch. Kurz nach Veröffentlichung erschien ein Video von ihm, wie er am Flughafen Charles de Gaulle seinen russischen Pass zerriss und ihn die Toilette herunterspülte.

Sein Buch wurde anschließend von dem französischen Verlag „Albin Michel“ verlegt und ist seit November 2022 im Buchhandel in Frankreich und weiteren Ländern erhältlich. In Deutschland landete das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Streit zwischen Ossetschkin und Filatiev über die Bucherlöse

Ossetschkin behauptet auf dem Telegramkanal von „Gulagu.net“, dass Filatiev, entgegen seiner anfänglichen Beteuerungen, die Gewinne aus dem Buch behielt, anstatt sie an ukrainische Hilfsorganisationen zu spenden. In dem Bericht der schwedischen Zeitung heißt es, Filatiev hätte im vergangenen August nach seiner Ankunft in Paris einen Vertrag unterschrieben, in dem er alle Einnahmen aus dem Buch an Ossetschkins Organisation, der „New Dissidents Foundation“, die nun eingestellt wurde, übertrage.

Jene wiederum sollte die Erlöse an Hilfsorganisationen zugunsten der Ukraine weiterleiten. „Pawel Filatjew behauptet jedoch, dass Wladimir Oschkin ihn unter Druck gesetzt habe, diesen Vertrag zu unterzeichnen, und dass Ossetschkin nicht in der Lage gewesen sei, das Geld an Projekte in der Ukraine weiterzuleiten. Filatjew fordert daher die volle Kontrolle über die Einnahmen“, heißt es in dem Bericht weiter.

Auch Filatievs Agentur teilt mit, dass ihr Autor weiterhin vorhabe, Einnahmen aus dem Buch an Hilfsorganisationen zu spenden. Filatiev habe Ossetschkins „New Dissident Foundation“ aufgrund dessen verklagt, um die Rechte an dem Buch wiederzuerlangen. Die jüngsten Äußerungen Ossetschkins bezeichnet die Agentur als eine „Schmierkampagne“ gegen Filatiev, um „ZOV“ - als Antwort auf Filatievs Klage - zu diskreditieren. Laut Mitteilung der Agentur werde das Urteil in dem Rechtsstreit bald erwartet.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde in der Überschrift suggeriert, Pavel Filatiev habe mit Sicherheit Kriegsverbrechen an ukrainischen Zivilist:innen begangen. Ob die Menschen, die er in seinem Kriegseinsatz festnahm, ukrainische Zivilisten oder Soldaten waren, ist allerdings weiterhin unklar. Wir bitten dies zu entschuldigen.

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