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Zerbrochener Teller auf rotem Hintergrund als Symbol für häusliche Gewalt.

© Getty Images/Paolo Martinez Photography

Was eine Opferanwältin rät: Es gibt Auswege aus der häuslichen Gewalt

Noch immer erleben viel zu viele Frauen Gewalt. Was können Betroffene tun? Eine Expertin klärt auf über geheime Handzeichen, Kontaktverbote und Strafanzeigen.

Ein Gastbeitrag von Manuela Krahl-Röhnisch

Ich erinnere mich noch gut an die öffentliche Aussage eines Ex-Generalstaatsanwaltes im Jahr 2010. Er sagte, dass er seiner Tochter als Opfer einer Vergewaltigung nicht dazu raten würde, Strafanzeige zu erstatten. Ich fand das als damals junge Rechtsanwältin unmöglich.

Das bedeutete doch, angesichts der offensichtlichen Probleme einfach aufzugeben! Und so wurde gerade dieser Satz zu meiner großen Motivation, Frauen zur Seite zu stehen, die Opfer von Straftaten geworden waren. Denn jede Frau verdient die Gewissheit, dass sie nicht alleingelassen wird, ganz gleich, was ihr angetan wurde.

In den vergangenen Jahren hat sich vieles verändert, einiges zum Guten. Wir haben mehr Hilfsmöglichkeiten, und auch der gesellschaftliche Blick hat sich verändert: Taten, die vor nicht allzu langer Zeit kaum strafrechtlich verfolgt werden konnten, wie Stalking oder Cybermobbing, werden heute viel ernster genommen. Das Nein einer Frau bedeutet auch ein Nein.

Doch nicht jeder respektiert dieses Nein. Und so werden weiterhin viel zu viele Frauen Opfer von Gewalttaten – einfach nur, weil sie Frauen sind. Frausein ist auch im Jahr 2024 noch immer ein Lebensrisiko.

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau getötet

Rund jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben häusliche oder sexuelle Gewalt. Nach der kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes erlebten 126.349 Frauen allein im Jahr 2022 Gewalt in der Partnerschaft. Dabei wurden 133 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang.

133 Frauen, die aus Eifersucht, Hass und anderen niedrigen Beweggründen brutal ermordet wurden. Diese Zahlen müssen wir uns vergegenwärtigen: Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Gewalt ihres (Ex-) Partners. Es sind Zahlen, die weh tun. Zahlen, die uns aufrütteln müssen.

Jede getötete Frau, mit deren Schicksal ich während meiner beruflichen Tätigkeit konfrontiert wurde, lastet auf meiner Seele.

Rechtsanwältin Manuela Krahl-Röhnisch

Jede getötete Frau, mit deren Schicksal ich während meiner beruflichen Tätigkeit konfrontiert wurde, lastet auf meiner Seele. Die Fotos aus den Obduktionsbänden haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt und nicht selten fühle ich mich hilflos. Wie kann es sein, dass wir als Gesellschaft diese grausame Tat nicht verhindern konnten? Wo haben wir versagt?

Mir ist bewusst, dass wir leider keine gewaltfreie Welt schaffen können. Wir alle haben jedoch die Möglichkeit, Frauen zu schützen und zu unterstützen. Und mir ist wichtig, dass Sie alle wissen – ob Betroffene oder Außenstehende:r – worauf Sie achten und an wen Sie sich wenden können. 

Die Warnzeichen

Zuallererst sollte jeder und jede das helfende Handzeichen kennen, mit dem Frauen auf ihre Not aufmerksam machen können. Diese Notgeste wird ausgeführt, in dem die Innenseite der Hand gezeigt wird. Zunächst wird der Daumen in die Handfläche gelegt, während sich die übrigen Finger gestreckt nach unten über den Daumen legen.

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Lernen Sie dieses Handzeichen und achten Sie darauf. Wir alle haben die Möglichkeit, die Polizei zu rufen und damit ein Verbrechen zu verhindern, ohne uns selbst zu gefährden.

In Ihrem Umfeld können Sie auf Wesensveränderungen und bestimmte Verhaltensweisen achten. Wirkt jemand beispielsweise sehr in sich gekehrt, scheuen Sie sich nicht, die Frau im Vertrauen allein anzusprechen.

Hören Sie regelmäßig Lärm oder Gebrüll aus einer Wohnung oder nehmen Sie eindeutig übergriffiges körperliches Verhalten der Frau gegenüber wahr, rufen Sie bitte die Polizei. Sollten Sie selbst Angst vor Repressalien haben, dann teilen Sie dies bitte der Polizei offen mit, damit man Ihren Hinweis vertraulich behandelt.


Die Gewaltschutzambulanz

Sie sind Betroffene? Wichtig ist, dass Sie wissen, dass Sie sich nach einer Straftat, egal ob Sie Opfer einer Sexualstraftat oder einer Körperverletzung geworden sind, bei der Gewaltschutzambulanz untersuchen lassen können.

Diese Feststellung erfordert keine Strafanzeige! Viele Krankenhäuser, in Berlin etwa die Charité, haben Gewaltschutzambulanzen. Hier gibt es die Möglichkeit, zeitnah einen Termin zu vereinbaren und die Verletzungsfolgen ärztlich feststellen und dokumentieren zu lassen. Im Anschluss ist noch genug Zeit, in Ruhe zu überlegen, was die nächsten Schritte sein sollten.

Aus meiner Beratungspraxis weiß ich, dass unsere Ressourcen nach einer Straftat beschränkt sind, sowohl in psychischer als auch körperlicher Hinsicht. Als Betroffene sollten Sie daher zunächst für sich klären, ob Sie jetzt schon die Kraft für eine Strafanzeige aufbringen und im Anschluss ein Strafverfahren durchstehen können. Die Feststellung über die Gewaltschutzambulanz verschafft Ihnen Zeit.

Die Strafanzeige

Ich möchte jede von Gewalt betroffene Frau dazu ermutigen, Strafanzeige zu erstatten. Sie können diese Strafanzeige online über die Internetwache aufgeben oder sich direkt an eine Polizeidienststelle wenden.

Sollte es Ihnen leichter fallen, gegenüber einer Polizeibeamtin eine Aussage zu machen, sprechen Sie dies bei Ihrer Anzeigeerstattung an. In der Regel erfolgt nach der Anzeige eine ausführlichere Vernehmung durch entsprechend geschulter Personen.

Jede von Gewalt betroffene Frau hat ein Recht darauf, dass ihr jemand zur Seite steht.
Jede von Gewalt betroffene Frau hat ein Recht darauf, dass ihr jemand zur Seite steht.

© Getty Images/Pyrosky

Die Polizei hat auch die Möglichkeit, eine Gefährderansprache gegenüber dem Täter oder auch eine Wegweisung aus der gemeinsamen Wohnung vorzunehmen.

Alle weiteren Fragen hinsichtlich einer dauerhaften Wohnungszuweisung, beispielsweise über das Familiengericht, oder einem Annäherungsverbot über eine Gewaltschutzanordnung sollten Sie im Anschluss mit Ihrer Anwältin oder Ihrem Anwalt besprechen. Unter anderem der Weiße Ring führt eine Liste mit zertifizierten Opferanwälten.

Das Hilfenetz

Gerade Berlin, wo ich meine Kanzlei habe, verfügt über eine sehr gute Hilfelandschaft. Im Anschluss an eine Strafanzeige bei der Polizei kann vieles in Bewegung gesetzt werden: Familiengerichte, das Jugendamt und die diversen Opfer-Hilfsorganisationen setzen alles daran, um ein sicheres Hilfenetz um die betroffene Frau herum zu spannen.

Haben Sie mit dem gewalttätigen Partner gemeinsame Kinder, können über das Familiengericht Regelungen in Bezug auf den Umgang und Unterhalt geklärt werden. Auch kann eine Gewaltschutzanordnung beantragt werden, also ein Kontaktverbot beziehungsweise ein Aufenthaltsverbot des Täters in Ihrer Nähe. Lassen Sie sich hierzu unbedingt rechtlich beraten.

Ein Strafverfahren ist kein leichter Gang. Dennoch kann es helfen, sich mit der Tat auseinanderzusetzen und Wege aus den Folgen der Straftat zu finden.

Rechtsanwältin Manuela Krahl-Röhnisch

Sollte Ihre finanzielle Situation angespannt sein, gibt es ebenfalls Hilfsmöglichkeiten. Wir vom Weißen Ring können Sie mit einem Beratungsscheck unterstützen, damit Sie sich möglichst schnell Rechtsrat einholen können. Besonders wichtig ist auch, den Antrag nach dem SGB XIV (ehemaliges Opferentschädigungsgesetz) zu stellen. So können bei eventuellen bleibenden Folgen durch die Tat staatliche Hilfen beantragt werden.

Generell werden alle Opferhilfsorganisationen mit Ihnen erörtern, was die nächsten Schritte sind. Sollte es zum Beispiel erforderlich sein, dass Sie zunächst in einem geschützten Frauenhaus unterkommen, wissen die einzelnen Hilfeorganisationen, an wen sich hier zu wenden ist. Für die psychotherapeutische Unterstützung stehen die Traumaambulanzen an Ihrer Seite.

Das Strafverfahren

Ein Strafverfahren ist kein leichter Gang. Dennoch kann es helfen, sich mit der Tat auseinanderzusetzen und Wege aus den Folgen der Straftat zu finden. Dabei stehen wir – Polizei, Justiz und Opferschutzorganisationen – Ihnen zur Seite.

Unter anderem der Weiße Ring bietet an, dass Sie durch gesondert ausgebildete ehrenamtliche Mitarbeiter zu Ihrem Strafverfahren begleitet werden. Auch gibt es die Möglichkeit, über die psychosoziale Prozessbegleitung Hilfe zu erhalten.

Trotz allem kann ich nicht kleinreden, was auf Sie zukommt. Sie werden Aussagen tätigen müssen, wobei bereits die Vernehmung ausgesprochen belastend sein kann. Hier werden Sie nochmals die Tat durchleben, dies kann jedoch auch – bei entsprechender Begleitung – einen Beitrag zur Verarbeitung leisten.

Es gibt heute unter anderem bei gewissen Straftaten und Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Möglichkeit der richterlichen Videovernehmung, die nicht in direkter Anwesenheit des Täters oder anderer Prozessbeteiligten erfolgt und bei der Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht vorgespielt wird.

Leider ist nicht garantiert, dass Sie allein mit dieser Videovernehmung das Thema des Strafverfahrens abhaken können. Die Videovernehmung trägt jedoch dazu bei, dass Sie sich auf sich selbst und die Tat konzentrieren können und in diesem Rahmen keine Angst vor dem Täter haben müssen.

Das Wichtigste

Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es einfach wird. Ebenso wenig kann ich versprechen, dass in jedem Fall am Ende eine Verurteilung des Täters erfolgen wird.

Sie sind nicht allein. Wir können Ihnen helfen! Und wir werden Ihnen helfen. 

Rechtsanwältin Manuela Krahl-Röhnisch

Darum ist mir an dieser Stelle auch wichtig zu betonen, dass ich jede Frau verstehen kann – und auch dabei unterstütze – die den Weg des Strafverfahrens nicht gehen möchte. Jede betroffene Frau muss für sich selbst entscheiden, ob sie diese Belastung auf sich nehmen möchte. Oftmals kann es hilfreich sein, die Tat zunächst mit psychotherapeutischer Unterstützung aufzuarbeiten. Auch bei dieser Entscheidung stehen wir an der Seite der Frau.

Ich werde immer weiter darauf bestehen, dass wir uns die oben aufgeführten Zahlen vergegenwärtigen. 133 Frauen. Hinter jeder einzelnen Zahl steht ein Mensch, steht eine Frau. Sie ist uns Freundin, Mutter, Tochter, Arbeitskollegin, Nachbarin.

Deshalb: Scheuen wir uns nicht, Frauen in unserer Nachbarschaft anzusprechen und Hilfe anzubieten! Haben wir keine Angst davor, vielleicht auch einmal in ein Fettnäpfchen zu treten!

Mein größter Antrieb sind all die Frauen, die es geschafft haben, aus dem Erlittenen herauszufinden. Wieder ruhig schlafen zu können, ist das, was ich mir für alle Frauen wünsche, die noch am Anfang ihres Weges heraus aus dem Leid stehen. Die vielleicht noch daran zweifeln, dass ihnen jemand helfen kann. Diesen Frauen möchte ich sagen: Sie sind nicht allein. Wir können Ihnen helfen! Und wir werden Ihnen helfen.

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