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Momo Strödecke (dritte von links) ist für den Connection Space und die Awareness verantwortlich

© Claudia Hammer

Feiern ohne Rausch: Im Berliner Schwuz gibt es jetzt eine „Sober-Party“ 

Zwei Berliner:innen laden regelmäßig zur queeren Sober-Party ins Schwuz – mit alkoholfreien Cocktails und einem umfangreichen Bühnenprogramm. Ein Besuch im Club.

Es fällt schwer nicht mit dem Satz „man kann auch ohne Alkohol Spaß haben“ einzusteigen, denn letztendlich geht es genau darum: Die „Lemonade Queers“ organisieren im Schwuz regelmäßig Partys, die ohne Alkohol-Konsum auskommen wollen und sollen.

Es ist kurz vor 19 Uhr an einem Donnerstagabend in Berlin-Neukölln. Kurz bevor die Türen für das Publikum öffnen, herrscht in der Pepsi Boston Bar des größten queeren Nachtclubs der Stadt, das übliche, geschäftige Treiben. Die Bar will eingerichtet, der Sound gecheckt und die Bühnen-Künstler:innen begrüßt werden.

Vlady Schklover und Momo Strödecke, die beiden Gründer:innen der einzigen queeren Sober-Party-Reihe in der Berliner Clublandschaft, bitten zum Gespräch in einen ruhigen Raum, der später auch den Gästen als Rückzugsort dienen soll.

Vor gut einem halben Jahr erst rief Schklover die „Lemonade Queers“ nicht ganz uneigennützig ins Leben: Der freischaffende Künstler lebte damals selbst erst sechs Monate sober, also ohne Alkohol, und postete diese Tatsache bei Facebook. Sein Hintergedanke: Er wollte neue, ebenfalls abstinent lebende Freunde finden. Das Feedback auf den Post war so groß, dass er entschied ein Treffen zu organisieren.

Unter den zahlreichen Teilnehmer:innen saß auch Momo Strödecke, die bereits seit sieben Jahren abstinent lebt und schon viele solcher Veranstaltungen besuchte. „Mich hat dabei immer ein bisschen gestört, dass die Berliner Sober-Szene sehr hetero-cis dominiert war, deswegen wollte ich unbedingt dabei sein, als ich Vladys Facebook-Post gesehen habe“, erzählt sie.

Nachdem Vlady Schklover sechs Monate abstinent gelebt hatte, kam ihm die Idee der „Lemonade Queers“ – nicht ganz uneigennützig.
Nachdem Vlady Schklover sechs Monate abstinent gelebt hatte, kam ihm die Idee der „Lemonade Queers“ – nicht ganz uneigennützig.

© Claudia Hammer

Heute ist Schklover als Host für das Bühnenprogramm verantwortlich und Strödecke, gut an ihren Schmetterlingsflügeln zu erkennen, als Awareness-Beauftragte für das psychische Wohl der Gäste. Ab 19.30 Uhr, kurz nach Einlass, bietet sie eine Art freiwillige Kennenlernrunde im sogenannten „Connection Corner“ an. Kleine Aufgaben zum gemeinsamen Nachdenken und sich austauschen, sollen es einfacher machen, Hürden zu überwinden, die sonst vielleicht erst mit dem dritten Drink abgebaut werden können.

Viele queere Menschen kompensieren Minoritätenstress mit übermäßigem Konsum

Von diesen Hürden weiß Schklover zu berichten. Nachdem er mit Anfang 20 aus einer Kleinstadt nach Berlin, „in die Hochburg von Alkohol und Party“ gezogen ist, habe er 15 Jahre durchkonsumiert. Er, beziehungsweise sein „queeres Ich“, wollte erstmals so richtig gesehen werden: „Ich wollte mithalten, konnte aber nicht“ erzählt er.

„Ich hatte einen Blackout nach dem anderen. Mein emotionales Intelligenz-Level war nicht so groß, ich habe eigentlich jedes Gefühl mit Alkohol kompensiert“. Auch Dates seien mit Alkohol viel einfacher: „Gerade in der schwulen Szene haben wir so viel Angst, verurteilt zu werden – auch aus der Szene heraus“.

Ich wollte mit Anfang 30 lernen, mit meinem Stress auf andere Art umzugehen. Seitdem habe ich nicht nochmal zurückgeguckt

Vlady Schklover, Gründer der Lemonade Queers

Tatsächlich ist Schklover mit seiner Geschichte nicht alleine, regelmäßig kommen psychologische Studien zu dem Ergebnis, dass queere Menschen ihren Minoritätenstress durch übermäßigen Konsum kompensieren. Bei einigen queeren Gruppen kämen außerdem spezifische Community-Normen hinzu, weiß auch Psychotherapeut*in Gisela Fux Wolf. Die Art des Konsums müsse man aber differenziert betrachten: „Zum Beispiel konsumieren Lesben sehr viel mehr Alkohol als heterosexuelle Frauen, oder schwule Männer konsumieren, unter anderem im Rahmen von Chemsex, mehr illegalisierte Substanzen als hetero Männer“, erzählt Fux Wolf am Telefon.

Schklover hat irgendwann einen Schnitt gemacht, als die Drogen und Sex-Partys härter und seine Filmrisse immer schlimmer wurden. „Ich wollte mit Anfang 30 lernen, mit meinem Stress auf andere Art umzugehen. Seitdem habe ich nicht nochmal zurückgeguckt“. 

Auf der Karte stehen Bloody Arnold Palmer oder Red Hot Juniper

Kurz bevor um 21 Uhr das Bühnenprogramm, eine wilde Mischung aus Gesang, Kabarett, Burleske und oder Drag-Performances beginnen soll, ist die Stimmung ausgelassen und an der Bar bilden sich lange Schlangen. Das Bar-Team des Schwuz hat extra für die „Lemonade Party“ eine alkoholfreie Cocktailkarte kreiert: „Bloody Arnold Palmer“, ein Mix aus Schwarztee, Blutorange und Zitrone, oder „Red Hot Juniper“ (Tomate, Wacholder, Pfeffer) werden fleißig bestellt.

Das Geschäftsmodell Party ohne Alkohol geht auf, bestätigen Schklover und Strödecke. Ihnen ist es aber wichtig zu betonen, dass nicht nur konsequente Abstinenzler willkommen sind. Allein an dem Abend ist jeglicher Drogenkonsum tabu. Es gibt allerdings einen Raucherbereich.

Es drängt sich die abschließende Frage auf, was umgekehrt so schlimm daran ist, als abstinente Person auf eine herkömmliche Party zu gehen? Schklover findet das gar nicht schlimm, er würde es eher als „off alienating“ beschreiben: „Man fühlt sich alleine unter vielen, weil es scheint, als wäre man der Einzige, der diesen Lebensstil gewählt hat. Dabei ist es nicht so, dass wir keinen Spaß haben können, im Gegenteil“. Und tatsächlich, auch bei den Lemonade Queers wird bis spät in die Nacht getanzt.

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