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Nadine Hwang und Nelly Mousset-Vos auf einem Archivbild. Die Doku "Nelly & Nadine" rekonstruiert ihre Liebesgeschichte.

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Update

Vorschau auf den Teddy Award 2022: Das sind vielversprechende queere Filme auf der Berlinale

Trans in Italien, eine lesbische Liebe im KZ, gentrifizierende Schwule: Eine Vorschau auf die queeren Filme der Berlinale.

Tel Aviv ist die teuerste Stadt der Welt. Deshalb sind Ben und Raz ganz in den Süden der israelischen Metropole gezogen, wo sie sich – anders als im Zentrum - ein schönes helles Apartment leisten können. Die Gegend werde sich bald verändern: Das wird immer wieder betont in „Concerned Citizen“ von Idan Haguel, der seinen zweiten Langspielfilm in seiner einstigen Wohnung gedreht hat.

Wie seine Protagonisten ist der Regisseur, der 2017 bei den Berlinale Talents dabei war, ein junger weißer Mittelschichtsschwuler, was insofern ins Gewicht fällt, als dass er ungewöhnlich kritisch auf Seinesgleichen schaut. Denn Ben und Raz sind Gentrifizierungsvorboten, die sich ihrer Privilegien in einer von vielen Zuwander*innen aus Eritrea bewohnten Gegend kaum bewusst sind. Sie konzentrieren sich auf die Erfüllung ihres Kinderwunsches, gehen auf die Pride Parade und halten sich für liberale Zeitgenossen.

Doch eines Abends macht Ben (Shlomi Bertonov) einen Anruf bei der Polizei, der fatale Folgen für einen seiner Nachbarn aus der migrantischen Community hat. Es ist verstörend zu sehen, wie ausweichend Ben mit seiner Schuld umgeht - und genau das macht „Concerned Citizen“ so packend und wichtig.

Eine Doku über zwei Frauen, die sich im KZ ineinander verlieben

Haguels Werk läuft im Panorama. Das ist die traditionelle Heimat des LGBTI-Films auf der Berlinale, wobei die Spielfilme der Sektion Queeres in diesem Jahr ansonsten eher am Rande behandeln. Dafür gibt es aber zwei außergewöhnliche Dokumentationen zu entdecken. „Into My Name“ von Nicolò Bassetti porträtiert vier miteinander befreundete trans Männer zwischen Anfang 20 und Anfang 30.

Der Regisseur, selbst Vater eines trans Sohnes, beobachtet die in Bologna und Umgebung wohnenden Freunden über einen längeren Zeitraum bei ihrem Alltag. Dabei entsteht ein anschauliches Gruppenporträt, das auch die Partner*innen der Männer einbezieht und das Thema der körperlichen Transition auf beiläufig-unverkrampfte Weise integriert. So beginnt Nic im Verlauf des Films, der von Hollywoodstar Elliot Page produziert wurde, Testosteron zu nehmen, und Andrea hat seine Mastektomie. Wenn Bassetti die stolzen, freudigen Gesichter der beiden zeigt, begreift man ganz unmittelbar, welch große Befreiung diese Schritte für sie bedeuten.

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Einer der bewegendsten Dokumentarfilme des gesamten Festivals dürfte „Nelly & Nadine“ von Magnus Gerttensein. Der schwedische Regisseur zeichnet darin die Lebensgeschichten von zwei Frauen nach, die sich 1944 im KZ Ravensbrück ineinander verliebten und später in Venezuela zusammenlebten. Die Recherche führt auf einen Bauernhof in Nordfrankreich, wo die Nichte der 1906 geborenen Opernsängerin Nelly Mousset-Vos lebt.

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Jahrelang hatte sie sich nicht getraut, in eine große Kiste mit Dokumenten, Filmen und Fotos aus dem Nachlass ihrer 1987 verstorbenen Großmutter zu schauen. Jetzt tut sie es endlich – und hilft ein Stück lesbischer Geschichte vor dem Vergessen zu retten. „Nelly & Nadine“ ist sicher ein heißer Kandidat für den Teddy Award, also den besten queeren Berlinale-Film. Die Verleihung wird am 18.2. ohne Publikum in Volksbühne stattfinden und ab 21 Uhr live gestreamt.

Mehr zur Berlinale 2022 auf Tagesspiegel Plus:

Auch in anderen Sektionen finden sich queere Filme, allen voran natürlich François Ozons „Peter von Kant“, mit dem das Festival eröffnet. Das Drama ist eine satirische Hommage an Rainer Werner Fassbinders Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das sich 1972 um eine lesbische Modedesignerin und ihre Assistentin drehte. Ozon, von dem zuletzt das schwule Coming-of-Age-Drama „Sommer 85“ in den deutschen Kinos lief, hat daraus ein Männerpaar aus der Filmbranche gemacht.

Einen ganzen Reigen schwuler Figuren bietet Mohammad Shawky Hassan in seiner poetischen Collage „Shall I compare You to a Summer’s Day“ auf, die nach einem Shakespeare-Sonett benannt ist und im Forum läuft. Die jungen Männer erzählen mal sitzend, mal liegend, mal als Voice-Over zu Tableau-Vivants oder kurzen Spielszenen von Dates, Dreiern und Eifersucht. Mitunter finden sie auch zu einem Chor zusammen. Eine Erzählerin ergänzt die polyamoröse Polyphonie durch eine mit Animationen illustrierte Saga von der Liebe eines Fischers und eines Meerjungmanns. Ebenfalls im Forum läuft "Três tigres tristes" von Gustavo Vinagre. Darin driften drei junge queere Menschen durch ein dystopisches São Paulo der nahen Zukunft, in dem die Politik eine Amnesie verordnet hat und Erinnerungen nur durch kollektive Anstrengungen bewahrt werden können.

Die Jugendsektion Generation 14plus hat ebenfalls Queeres im Programm, naheliegenderweise sind es vor allem Coming-of-Age-Filme. Die finnische Regisseurin Alli Haapasalo erzählt in „Girl Picture“ von der impulsiven Mimmi (Aamu Milonoff), die mit der extrem ehrgeizigen Eisläuferin Emma (Linnea Leino) zusammenkommt. In ihre Verliebtheit schieben sich bald Probleme und Dramen, doch Homofeindlichkeit gehört glücklicherweise nicht dazu.

Ein Klassiker-Thema: Verliebt in den besten Freund

Das Fehlen homophober Töne charakterisiert auch „Sublime“ des argentinischen Regisseurs Mariano Biasin, der das Klassiker-Thema „Verliebt in den besten Freund“ aufgreift. Der 16-jährige Manu (Martín Miller) ist Bassist in einer Rockband und merkt, dass er doch mehr auf den Gitarristen Felipe (Teo Inama Chiabrando) steht als auf seine Freundin. Allerdings scheint Felipe nur Mädchen im Kopf zu haben.

Manus Ringen mit sich selbst, seine Sehnsucht und die im Hintergrund ablaufende Ehekrise seiner Eltern bringt Biasin, der auch das Drehbuch schrieb, mit großer Sensibilität und viel Musik auf die Leinwand. Wobei vor allem die im letzten Viertel eröffneten Perspektiven „Sublime“ zu einem besonderen Beitrag des Coming-Out-Film-Genres macht.

Und wie sieht es mit nicht-binären Figuren aus? Soweit erkennbar gibt es davon eine in „Swing Ride“ (Forum) und eine in „Queens of the Qing Dynasty“ (Encounter). Beide erzählen von ungleichen Freundschaften – und machen Hoffnung auf mehr Geschichten jenseits der Gender- und Genregrenzen.

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