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Ein Junge übergibt einem Polizisten zwei Schusswaffen – und bekommt einen Ball dafür. In der Stadt Monterrey versuchen die Behörden, der ausufernden Gewalt Einhalt zu gebieten. 40 000 Menschen starben bisher in Mexikos Drogenkrieg.

© REUTERS

Mexiko: Alle gegen alle

In Mexikos Drogenkrieg verschwimmen die Fronten – immer größere Teile der Gesellschaft versinken im Sumpf der Gewalt.

Bei Restaurantbesitzer Raul Trejo in Ciudad Juárez waren es vier Männer in einem Geländewagen, bullig, bewaffnet. Mit Kraftausdrücken machten sie ihm klar, dass er fortan Schutzgeld an sie bezahlen müsse, wenn ihm sein Leben und sein Laden lieb seien. Trejo zahlt – wie auch der Tortillabäcker am Straßenrand, die Blumenverkäuferin und der Taxifahrer. „Was soll ich denn machen, die Polizei steckt doch mit denen unter einer Decke oder ist total unfähig“, sagt er achselzuckend. Doch die Forderungen werden immer höher, die Gewinnspanne für die Unternehmer immer schmaler. Anwälte und Ärzte haben ihre Messingschilder längst abmontiert, viele Restaurant- und Nachtclubbesitzer ihre Läden dichtgemacht. Schutzgelderpressungen haben in Mexiko sprunghaft zugenommen. 2002 registrierte die Bundespolizei 53 Fälle, 2008 waren es 50 000. Die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches betragen.

Die Täter sollen den verschiedenen Drogenkartellen angehören, die ihre kriminelle Tätigkeit immer mehr ausdehnen. Damit droht der Drogenkrieg immer weitere Teile der mexikanischen Gesellschaft zu erfassen.

Normalerweise schweigen die Opfer. Kürzlich aber protestierten im einst mondänen Badeort Acapulco Tausende von Lehrern, weil sie zuvor Drohbriefe erhalten hatten. Sie sollten 50 Prozent ihres Gehalts abliefern, stand in einem anonymen Brief. 140 Schulen schlossen. Die Regierung will Kameras und Panikknöpfe installieren und mehr Patrouillen schicken – doch die Furcht wächst bei Lehrern, Eltern und Schülern.

So zieht der Drogenkrieg immer weitere Kreise. Früher war Drogenschmuggel ein stilles, einträgliches Geschäft der Kartelle in Absprache mit einigen Politikern, Richtern, Staatsanwälten, Grenzschützern und Polizisten. 2006 blies Präsident Felipe Calderón zum Frontalangriff auf die Kartelle, die Geheimdienstinformationen zufolge bereits ganze Bundesstaaten unterlaufen und korrumpiert hatten. Seither starben 40 000 Menschen in diesem Krieg. Die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller. Der Regierung sind zwar einige große Fische ins Netz gegangen, aber bei Weitem nicht alle. Übrig bleiben zudem die untergeordneten Dealer, die gewaltbereiten Killerkommandos, die – wenn plötzlich wichtige Operateure und Drogenrouten wegfallen – ihr Heil in anderen Branchen des organisierten Verbrechens suchen: Menschenhandel, Prostitution, Diebstahl, Piraterie, Erpressungen. „Schutzgelderpressung ist nach dem Drogenhandel das zweitbeste Geschäft, wenn man gewaltbereit genug ist“, sagte der Sicherheitsexperte Eduardo Guerrero in einer in der Zeitschrift „Nexos“ veröffentlichten Studie.

Inzwischen ist kaum noch auszumachen, wer für wen kämpft. Der Drogenkrieg schafft einen rechtsfreien Raum, in dem alles möglich scheint. Zumal es inzwischen als gesichert gilt, dass zumindest eines der Kartelle von ehemaligen Elitesoldaten kontrolliert wird.

Lesen Sie auf Seite zwei mehr über das Geschäft der Erpressung.

Bei der Mehrzahl der Erpresser handelt es sich allerdings laut Bundespolizei um normale Gemeinkriminelle, Trittbrettfahrer, die sich die Panik der Bevölkerung zunutze machen. Mit Ausnahme der Zetas sind Schutzgelderpressungen auch nach Auffassung des Forschers Martin Barron vom Nationalinstitut für Strafrecht kein Markenzeichen der traditionellen Kartelle. Deren Konzept sei vielmehr, die lokale Bevölkerung mit wohltätigen Gaben für sich einzunehmen statt zu terrorisieren. Bei der Schutzgelderpressung hingegen wird jeder zum potenziellen Opfer. Vom reichen Geschäftsmann in Monterrey über den fliegenden Händler im Hafen von Veracruz bis zum armen Schüler an der Peripherie von Acapulco, dessen Lehrer aus Angst nicht mehr zum Unterricht kommen.

Niemand weiß, wen er gerade vor sich hat. „Hört auf, euch erpressen zu lassen”, forderten in einem Youtube-Video fünf schwarz gekleidete, vermummte Männer die Mexikaner auf. Sie bekannten sich zum jüngsten Mord an 35 Kriminellen in Veracruz, bezeichneten sich als „Bewaffneter Arm des Volkes“ alias „Matazetas“ und kündigten an, das Drogenkartell der Zetas weiter bekämpfen zu wollen, da die Behörden damit überfordert seien. „Wir sind stolze Mexikaner und respektieren die Armee und den Staat. Der Kampf gegen die Zetas werde auf Augenhöhe geführt, drohten sie weiter. „Wir bitten die Bevölkerung, uns zu vertrauen. Wir entführen nicht, wir erpressen nicht und wir rauben nicht euer Eigentum.“

Die Zetas, gebildet aus abtrünnigen Elitesoldaten, gelten als das brutalste Kartell, das sich neben dem Drogenhandel auch aus den Entführungen und Schutzgelderpressungen finanziert. Geheimdienstinformationen zufolge handelt es sich bei der angeblichen Bürgerwehr um Killer eines gegnerischen Kartells. Erwähnt wurden das Golfkartell und die Gruppe Nueva Generación. Andererseits verdichten sich aber auch die Hinweise, dass tatsächlich paramilitärische Gruppen in Mexiko operieren, die sich die ausufernde Gewalt des Drogenkriegs zunutze machen, um tatsächliche oder vermeintliche Verbrecher zu jagen oder auch politische Mordaufträge zu erledigen.

Einem Bericht des US-Senats zufolge wird ein Teil der US-Hilfe dazu benützt, Söldner anzuheuern, die keiner Kontrolle unterliegen. Unlängst hatte der linke Senator Ricardo Monreal die Regierung aufgefordert, den Hinweisen auf die Bildung von Todesschwadronen nachzugehen. Der Bürgermeister der reichsten Gemeinde Mexikos, San Pedro Garza García bei Monterrey, hatte am Tag seines Amtsantritts die Bildung einer solchen „Stoßtruppe“ angekündigt, um den Kartellen Einhalt zu gebieten. Er musste sechs Monate später auf Druck der Bundesregierung die zwielichtige Anti-Drogen-Truppe wieder auflösen – ihr gehörten auch Auftragskiller der Drogenkartelle an.

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