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Medien: Über alle Mauern

Ein Journalistenleben im und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Fritz Pleitgen verlässt den WDR – er wird Kulturmanager

Fritz Pleitgen „geht von Bord“. Der erfolgreiche WDR-Intendant und Präsident der Europäischen Rundfunkunion – ein Leuchtturm in der zuweilen unübersichtlichen Rundfunklandschaft unserer Tage – geht in die Ebene. Ins Ruhrgebiet. Für eine weitere Runde seines bunten Berufslebens ab April 2007.

Nach zwölf Jahren tauscht er die Intendanz des WDR ein in den Job eines Vorsitzenden der Geschäftsführung der Ruhr 2010 GmbH, die für die Planung der Kulturhauptstadt des Jahres 2010 in Essen und im Ruhrgebiet verantwortlich ist. Keine sinekure, sondern eine Aufgabe, die es in sich hat, die ihn noch einmal fordern wird. Wer ihn kennt, der weiß, das mag er – und das kann er. Ein Mann mit vielen Begabungen und Fähigkeiten mit Ausnahme derer eines Pensionärs.

In seiner jahrzehntelangen Berufsvita hatte er beachtliche Erfolge. Eigentlich hatte er immer Erfolg. Zwar wissen wir nicht, wie sein Zeugnis ausgefallen ist, als er seine Mitarbeit als Sport- und Gerichtsberichterstatter, die er als 14-Jähriger bei der Lokalausgabe Bünde der „Freien Presse“ in Bielefeld aufgenommen hatte, nach zwei Jahren aufgab. Man darf annehmen, dass es durchschnittlich nicht gewesen sein wird. Wie nie etwas durchschnittlich war, was er in die Hand nahm. 1963, nach einem zwischenzeitlichen Volontariat, wechselte er als 25-Jähriger zum Westdeutschen Rundfunk nach Köln.

Ob er gewusst hat, was ihn dort erwartete? Ich bin sicher, er hatte mancherlei in seinem Kopf. Die Aufgaben des Tages wohl in erster Linie, die ihn reizten. Karriereplanungen waren es nicht. Er war und blieb ein Mann der Aktualität, des Hier und Heute, auch wenn er beachtliche Fähigkeiten entwickelte, Landschaften und Menschen in seinen Filmen zu entdecken und den Fernsehzuschauern zu vermitteln.

Fernsehen war sein Medium, aus der Nähe zu berichten, seine sehr besondere Begabung. Er stellte sie unter Beweis unter anderem in seinen Berichten für die „Tagesschau“ aus Politik und Wissenschaft, aber auch in Brüssel und Paris über die Beratungen zu EWG und Nato. Für seine Berichte vom Zypernkrieg 1964 und dem Sechs-Tage-Krieg 1967 war er in der Kombination von Genauigkeit und Unerschrockenheit der Richtige.

Von 1970 bis 1977 berichtete er für das Erste Deutsche Fernsehen aus Moskau. Russisch hatte er quasi nebenbei gelernt, und zwar so gut, dass er den damaligen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew in der Landessprache interviewen konnte, als erster westlicher Korrespondent. Breschnew blieb dieses Moskauer Gespräch so deutlich in Erinnerung, dass er bei einem späteren Deutschlandbesuch darauf bestand, von Fritz Pleitgen interviewt zu werden.

Seine Chefs, Klaus von Bismarck und Werner Höfer, erkannten früh seine Fähigkeiten. Auch seine Durchsetzungskräfte, die er als Auslandskorrespondent für den WDR und die ARD in Moskau berichtswirksam unter Beweis stellte. Ich selbst habe ihn, als ich 1976 das Amt des Intendanten in Köln übernahm, mehrfach in Moskau gesehen. Man konnte seine Dynamik förmlich spüren, wenn er seine Aufgaben beschrieb oder seine Themen in Angriff nahm. Ähnlich wie sein Nachfolger Klaus Bednarz liebte er das Land und seine Menschen, was die Offiziellen in Moskau gelegentlich mit Skepsis sahen. Aber bei aller gelegentlich harten Kritik an der sowjetischen Politik und ihren Protagonisten, wusste man, dass in der Berichterstattung Fairness garantiert war. Bei der bundesdeutschen Botschaft war er nicht nur persona grata, man machte von seiner Kenntnis und seinen Beziehungen reichlich Gebrauch, ohne dass der Korrespondent seine Unabhängigkeit aufgab und sich einspannen ließ, ein Versuch, der ohnehin aussichtslos gewesen wäre.

Auch zu den Dissidenten wie Sacharow und Kopelew, dem wir später zu einer Bleibe in Köln verhelfen konnten, knüpfte er Beziehungen. Die inoffizielle Kulturszene war ihm vertraut – und man vertraute ihm. Man war bei Fritz Pleitgen in guten Händen. Durch ihn und dann durch Klaus Bednarz, konnte ich zu dem Maler Boris Birger und dem Bildhauer Vadim Sidur, die unter jämmerlichen Verhältnissen arbeiteten, freundschaftliche Kontakte aufnehmen, die lebenslang hielten.

1977 entstand für Lothar Loewe, unseren Korrespondenten in Ostberlin, und für den WDR eine schwierige Situation. Loewe wurde wegen seiner krassen Kennzeichnung der Vorgänge an der deutsch- deutschen Grenze kurzerhand ausgewiesen. Nach kurzer Beratung in Köln entschlossen wir uns, Fritz Pleitgen nach Ostberlin zu versetzen. Ihm, der das Backing des Großen Bruders in Moskau hatte, konnte man seitens der DDR so leicht nichts anhaben. Meine Zusage für eine Versetzung nach Washington musste warten. Er blieb fünf Jahre auf seinem neuen Posten in Ostberlin und qualifizierte sich gemeinsam mit seinem Kollegen Lutz Lehmann auf dem schwierigen Feld der DDR. Als wir 1980 eine gemeinsame Reise quer durch die DDR unternahmen, war unser Wagen durchgängig im Visier des MfS, wie er nicht ohne Amüsement bemerkte.

Im Juli 1982 konnten wir endlich unsere Zusage einlösen, ihm die Leitung des Studios Washington anzuvertrauen. Nicht ohne Kritik von Seiten der ReaganAdministration, die sich unter anderem daraus er gab, dass er die Ostpolitik Brandts, die dortseits skeptisch verfolgt wurde, an der offiziellen Linie der US-Außenpolitik kritisch abzugleichen hatte. 1987 wechselte er in unser Studio New York. Mit dieser Aufgabe endete bereits ein Jahr später seine Korrespondententätigkeit, da Friedrich Nowottny – inzwischen WDR-Intendant – ihm in Köln die Chefredaktion Fernsehen übertrug. Jetzt war er auf der Karriereleiter, auch wenn er immer wieder journalistisch tätig war. So berichtete er beim Mauerfall 1989 aus Berlin. Alsbald übernahm er nach Werner Höfer die Leitung des „Frühschoppens“, sprich „Presseclubs“, die er bis Dezember 2006 innehielt.

1994 übertrug Nowottny ihm nach dem Ausscheiden vom Manfred Jenke die WDR-Hörfunkdirektion, deren Programm- und Organisationsstruktur er gründlich überarbeitete. Dabei entstand das bald erfolgreiche neue Programm 1Live. Man darf vermuten, dass Nowottny diese Karriereplanung für Pleitgen auch unter dem Gesichtspunkt seiner eigenen Nachfolge im Jahr 1996 ins Werk gesetzt hatte.

Pleitgens Inthronisierung Mitte Juni 1995 erfolgte problemlos. Einige, eher zaghafte Mitbewerber hatten zurückgezogen. Pleitgen lief außer Konkurrenz.

Seitdem beherrscht der Intendant Fritz Pleitgen den WDR, für den er bis Ende März 2007 die Verantwortung trägt. Als finanzstärkster Sender der ARD, der stets die größte Programmleistung für das ARD-Fernsehen erbringt, steuert er mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen aber auch kollegialer Rücksicht maßgeblich den Senderverbund.

Die ARD war infolge der Vereinigung ab 1990 um zwei Anstalten, den Mitteldeutschen Rundfunk und den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg gewachsen. Seit 1986 hatten sich zudem die kommerziellen Veranstalter in Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk positioniert. Keine bequeme Situation, zumal mit den Letzteren der Kampf um die Einschaltquoten einsetzte. Auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk hiervon infolge der Gebührenfinanzierung in seiner Existenz unberührt ist, hat er sich doch auf den Wettbewerb um die höchsten Reichweiten eingelassen, die die Qualität der öffentlich-rechtlichen Programme nicht unberührt lassen.

Eine Gefechtslage, die ohne den starken WDR noch düsterer aussähe. Fritz Pleitgen hält dabei im Getümmel der Streitenden, soweit er dies vermag, die Fahne der Qualität contra Kommerz hoch.

Beachtlich und von breiter Wirkung im Lande NRW ist die weitere Befestigung der Regionalisierung, für die er sich erfolgreich einsetzte. Nicht zu unterschätzen auch die Wirkung von Phoenix, die im Wesentlichen sein Werk ist, und mit der dem Zuschauer ertragreiche Ausweichmöglichkeiten zum allgemeinen politischen Programm geboten werden. Auch das Gemeinschaftsprogramm 3sat und das deutsch-französische Arte, wenn auch Nischenprogramme, haben ihren Platz in dieser Bemühung.

Last but not least: Fritz Pleitgen steuert seit knapp einem halben Jahr die Europäische Rundfunkunion, den Verband der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkorganisationen in Europa (EBU), als Präsident. Mit dieser Aufgabe krönt er gleichsam seine Karriere, die vor mehr als 50 Jahren im ländlichen Oelde begann und ihn in die höchsten Höhen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und Europa führte. Seine vielfältigen Auszeichnungen und Ehrungen zu erwähnen, verbietet sich ebenso wie die Aufzählung der vielen Fernsehfilme, die er mit Leidenschaft gedreht hat. Denn von beidem dürfte noch mehr zu erwarten sein.

Jetzt steht nach seinem größten Lebensabenteuer Rundfunk erst mal Essen auf seinem Programm.

Friedrich-Wilhelm

von Sell , 81, war von 1976 bis 1985 Intendant des Westdeutschen Rundfunks und 1991 Gründungsintendant des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg.

Friedrich-Wilhelm von Sell

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