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Selge

© BR

Fernseh-Krimi: "Ich hab’ dich lieb"

Der einarmige Kommissar Tauber ist wegen einer behinderten Verdächtigen derart befangen, dass er eigentlich nicht mehr neutral ermitteln kann. Im "Polizeiruf 110" gelingt die Gratwanderung zu einem problematischen Thema.

„Na sauber, ein Mongo“, sagt Kriminalhauptkommissar Jürgen Tauber (Edgar Selge) trocken, als er mit der Kollegin Jo Obermaier (Michaela May) der 19-jährigen Rosi Drechsler (Juliana Götze) begegnet – in einer Autobahn-Raststätte, in der sich die junge Frau zuvor lautstark mit ihrer Mutter gestritten hatte. Die Mutter liegt nun nach einem Überfall auf dem Rastplatz im Koma. Rosi will nichts gesehen haben. Sie ist geistig behindert, hat das Down-Syndrom. Sie interessiert sich mehr für ihr Eis, und dass sie wieder in ihre Behinderten-Werkstatt kann. Merkwürdig: Eine Mutter liegt im Koma, und die behinderte, erwachsene Tochter, die durchaus Gefühle zeigt, reagiert völlig unbeteiligt. Tauber und Obermaier finden heraus, dass Rosi schwanger ist, dass sie mit ihrer Mutter unterwegs zu einer Klinik war, in der abgetrieben wird.

Er sei „versehrt, nicht behindert“, sagt Tauber wütend zu Rosi, als er sich am Waschbecken der Behinderten-Tanzschule nach einem Angriff das Blut abtupft. Als Obermaier zu Hilfe kommen will, knallt er die Tür zu. Tauber ist nicht mehr unversehrt, wie es gemeinhin heißt, aber auch nicht behindert. Eine intensive Szene, gerade wieder mit Edgar Selge, inszeniert von Regisseur Andreas Kleinert („Freischwimmer“), geschrieben von den Drehbuchautoren Matthias Pacht und Alex Buresch. Im vorletzten Münchner „Polizeiruf 110“ werden die Ermittler Tauber und Obermaier noch einmal mit eigenen Vorurteilen über Behinderte konfrontiert, über Mongos, wie Tauber sie zunächst nennt.

Das tut er nicht mehr, als er Rosi näher kennen lernt. Als sie einfach auf Tauber zugeht, ihn umarmt, tanzen will und sagt: „Ich hab’ dich lieb.“ Manchmal ist Krimi beinahe grenzüberschreitend für Primetime-Verhältnisse. Nicht nur, dass es um eine Behinderte geht, die schwanger ist und des Überfalls auf ihre Mutter verdächtigt wird. Nein, die junge Frau versucht sich dem Kommissar emotional anzunähern, behält seinen Dienstausweis, stellt ihn neben Kerzen auf, findet seinen Vornamen schön und fragt, ob er nicht der Vater ihres Kindes werden wolle. So wird der einarmige Kommissar wegen einer behinderten Verdächtigen derart befangen, dass er eigentlich nicht mehr neutral ermitteln kann. Diese Problematik zu thematisieren, ohne dabei in Klischees und Mitleids-Hascherei zu verfallen, ist eine Gratwanderung, die viele Krimis nicht bewältigen können, dieser „Polizeiruf 110“ aber schon.

„Polizeiruf 110: Rosis Baby“,

Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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