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Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, am 17. Januar in Berlin.

© dpa/Jörg Carstensen

Frühlingsgefühle in der Industrie: Winterrezession nicht so schlimm

Der Bundesverband der Industrie erwartet eine leicht schrumpfende Wirtschaft in diesem „Jahr der Entscheidungen“. Energie bleibt das zentrale Thema.

Die deutsche Industrie befindet sich in einem „gefühlten Vorfrühling“, warnt aber vor zu viel Optimismus und fordert vielmehr in diesem „Jahr der Entscheidungen“ Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. „Man spürt eine erste Erleichterung“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Dienstag in Berlin. „Es sieht so aus, als würde unser Land den Winter halbwegs überstehen.“ Wenn es jedoch ein paar kalte Wochen gebe, dann seien die Gasspeicher schnell leer und die Stimmung könnte wieder drehen.  

Erstmals stellte Russwurm mit Tanja Gönner, der neuen Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der deutschen Industrie, die Jahresprognose vor. Der BDI erwartet einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. „Besonders das erste Quartal wird noch ziemlich schwierig“, sagte Russwurm. Im Gesamtjahr dürften die Exporte um ein Prozent zulegen nach 2,2 Prozent 2022. Da die Weltwirtschaft mit 1,5 Prozent schneller wachse als die deutsche Exportwirtschaft, „verlieren wir Marktanteile“.

Viele Unternehmen erwägen eine Verlagerung, aber es gibt die Chance, sie zu behalten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Siegfried Russwurm, BDI-Präsident

Trotz der sinkenden Preise auf den Energiemärkten gebe es keinen Grund zur Entwarnung, zumal Gas in den USA nur ein Fünftel so teuer sei wie hierzulande. „Wir sind besorgt, dass es Produktionsverlagerungen aus Deutschland heraus gibt“, sagte Russwurm. „Viele Unternehmen erwägen eine Verlagerung, aber es gibt die Chance, sie zu behalten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Die Energiekosten seien dabei „ein wesentlicher Faktor“.

Preisbremsen wirken nicht

Die Bundesregierung müsse deshalb die Blockaden für die beschlossenen Preisbremsen für Gas und Strom abräumen. Viele Betriebe könnten die Hilfen aufgrund der restriktiven Bedingungen nicht in Anspruch nehmen, sagte der BDI-Präsident. Die EU müsse das Beihilferecht anpassen. Und Energiehilfen an den Verzicht auf Dividendenzahlungen zu koppeln sei nicht in Ordnung, weil den Kapitalgebern damit die Verzinsung verweigert werde. Bonuszahlungen für Führungskräfte zu untersagen sei ebenso unsinnig, weil doch gerade die Politik variable Vergütungen befürworte.

Der BDI wirbt wie die Ampel-Regierung auch für den forcierten Ausbau erneuerbarer Energien und gleichzeitig für „mehr wasserstofffähige Gaskraftwerke“. Überall in der Welt bauten Investoren neue Gaskraftwerke, „nur nicht in Deutschland.“ Ferner plädierten Russwurm und Gönner für die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus. Technisch sei das längst möglich, es brauche aber die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Hochlauf.

Um den Standort Deutschland attraktiver für Investoren zu machen, wären niedrigere Steuern hilfreich. Der durchschnittliche Steuersatz für Kapitalgesellschaften liege in der EU bei 22 Prozent und in Deutschland bei gut 30 Prozent. Russwurm hätte gerne einen Satz von 25 Prozent. Das sei auch finanzierbar, da im vergangenen Jahr trotz Krise die Steuereinnahmen voraussichtlich um 6,5 Prozent gestiegen seien. „Das Ziel ist klar: mehr Investitionen am Standort Deutschland“, sagte der BDI-Präsident. Österreich sei auch deshalb attraktiver als Deutschland, weil es dort für Familienunternehmen keine Erbschaftssteuer gebe.

Um die Lieferketten zu sichern, ist derzeit Diversifizierung „ein großes Thema“ in den Unternehmen. „Resilienz ist wichtig, aber wir können nicht alles in Deutschland machen“, warnte Russwurm vor überzogenen Erwartungen. „Wir sind abhängig von der globalen Arbeitsteilung, und dazu gehört auch China.“ Für viele Branchen der deutschen Industrie sei „der riesige chinesische Markt die Chance schlechthin, für die globale Wettbewerbsfähigkeit unverzichtbare Skalenvorteile zu erreichen“, sagte der BDI-Chef. Die Unternehmen in Nordamerika bräuchten China dagegen nicht, da der dortige Binnenmarkt groß genug sei.

Mit etwas Neid schauen deutsche Verbandsvertreter sei jeher in die USA. Dort erwartet Russwurm zwar nur ein Wachstum um 0,5 Prozent in diesem Jahr, doch die Regierung halte mit dem Inflation Reduction Act dagegen. Die EU müsse darauf mit einer eigenen starken Förderung reagieren. Dem BDI zufolge ist das Risiko groß, dass die Aufholjagd der europäischen Halbleiterindustrie ausgebremst wird: „Der EU Chips Act ist im Vergleich mit den US Chips and Science Acts schlichtweg nicht ehrgeizig genug.“ Schließlich, so Russwurms Warnung in Richtung Brüssel, sei die Gefahr groß, dass die EU künstliche Intelligenz vor lauter Sorge über theoretisch mögliche Risiken überreguliere.

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