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Michael Hensel.

© Manfred Thomas

ZUR PERSON: „Mit Politik bisher nicht viel am Hut gehabt“

Der Vorteil sollte doch bei den Bürgern liegen Vieles wird aus dem falschen Blickwinkel betrachtet Der brandenburgische Landesvorsitzende der Piratenpartei Michael Hensel über die Programmatik seiner Partei

Herr Hensel, beim jüngsten Politik-Barometer im Land Brandenburg haben die Piraten vier Prozent erreicht und kratzen somit an der Fünf-Prozent-Hürde. Damit schneidet Ihre Partei in der Wählergunst besser ab als die FDP, die derzeit im Landtag sitzt. Wie erklären Sie sich den Zuspruch? Liegt das nur am Erfolg der Berliner Piraten?

Berlin war definitiv ein Signal. Von dem Ergebnis der Berliner war ich selbst richtig überrascht. Ich hatte vielleicht so mit drei bis vier Prozent gerechnet. Aber nachdem im Fernsehen bei den Umfragen im Vorfeld der Wahl extra ein Balken für uns eingeblendet wurde, fingen auch die Zeitungen an, zunehmend über die Piraten zu berichten. Auch nichttechnikaffine Leute haben sich plötzlich für uns interessiert, bei mir haben Bürger angerufen und gesagt, sie hätten bislang gar nicht gewusst, dass es uns seit 2008 auch in Brandenburg gibt. Die Leute beginnen sich einfach zu informieren – was macht die Partei, für was steht sie.

Wie viele Mitglieder hat die Partei in Brandenburg momentan und wie haben sich die Mitgliederzahlen seit der Abgeordnetenhauswahl in Berlin entwickelt?

Ich glaube, wir sind derzeit knapp 650 Mitglieder. Einige Neue warten aber noch auf ihre Bestätigung. Vor der Wahl in Berlin waren es so 300 bis 350. Also haben wir uns ungefähr verdoppelt.

Wer ist der Brandenburger Pirat? Spielen Themen wie Vorratsspeicherung und Zensur im Internet nicht eigentlich nur in Großstädten wirklich eine Rolle?

Im Kern kommen unsere Mitglieder tatsächlich aus den größeren Städten des Landes oder aus Landkreisen mit etwas größeren Städten. Potsdam hat, glaube ich, derzeit rund 80 Mitglieder, in Brandenburg/Havel sind es etwa 25, der Regionalverbund Frankfurt (Oder), zu dem noch die umliegenden Landkreise gehören, kommt auf zirka 60 Mitglieder. In Cottbus sind es meines Erachtens 40. Zu Beginn hat es vor allem die technikaffinen Leute zu den Piraten gezogen. Damals, so vor rund drei Jahren, ging es etwa um die Vorratsdatenspeicherung oder die Internetzensur-Debatte. Doch Grund- und Bürgerrechte werden eben nicht nur im Internet beschnitten. Das wissen die Leute und sehen, dass wir uns generell für das Thema einsetzen. Dadurch, dass sich die neuen Mitglieder mit ihren eigenen Einstellungen in die Partei einbringen, haben wir mittlerweile ein sehr großes, breitflächiges Spektrum an Zielen, Wünschen und Vorstellungen. Aber ein Kernaspekt ist immer noch die Basisdemokratie: das Abstimmungen so weit es in einem Flächenland möglich ist, von so vielen Leuten wie möglich getragen werden.

Mit welchen Themen wollen Sie auf dem Land punkten?

Wir sind gerade erst dabei, uns für die kommenden Wahlen weiter programmatisch aufzustellen. Wir haben zwar einige grundlegende Positionen, die wir vertreten und auch schon beschlossen haben, was aber noch fehlt, sind inhaltliche Unterpunkte. Das, was den Bürgern auf den Nägeln brennt. Diese Aufgabe werden wir jetzt sukzessive angehen, in Arbeitsgemeinschaften, in freien Treffen und in den Regionalverbänden. Dort gilt es, sich die kommunalen Themen herauszusuchen. Die Potsdamer etwa sind gerade dabei, sich beim Thema Bürgerhaushalt einzubringen. Und so geschieht das eben auch in den anderen Kreisen. Ein wichtiges Landesthema ist für uns die Breitbandversorgung. Wir können uns als Landesverband rühmen, als erste ein Grundrecht auf Zugang zu schnellem Internet gefordert zu haben. Wir leben im fünftgrößten Flächenland Deutschlands mit einer sehr geringen Einwohnerdichte. Das Land leidet massiv unter Problemen wie der Landflucht, die teilweise fehlenden Arbeitsplätzen vor Ort geschuldet ist. Man zieht eben dahin, wo man Arbeit findet. Unternehmen siedeln sich aber stellenweise nicht in den ländlichen Gebieten an, obwohl es dort eigentlich kostengünstig wäre, weil es eine Grundvoraussetzung wie den Internetanschluss nicht gibt.

An diesem Thema hat sich ja bereits Schwarz-Rot die Zähne ausgebissen. Auch die rot-rote Koalition hat bislang nicht alle weißen Flecken beseitigen können. Haben die anderen Landesregierung bisher versagt oder muss man nicht fairer Weise sagen, dass eine vollständige Erschließung wirtschaftlich unrentabel ist?

Was heißt wirtschaftlich unrentabel? Viele Sachen werden einfach aus dem falschen Blickwinkel betrachtet. Ein Breitbandanschluss auf Kabelbasis zum Beispiel bietet in der Zukunft weitaus mehr Synergieeffekte. Sicherlich ist es vielleicht am Anfang ein Minusspiel. Aber eine Investition in die Breitbandversorgung ist automatisch auch eine Investition in die Wirtschaft und in die Bildung. Viele Schüler müssen teilweise stundenlang in den Schulen verweilen, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, die sie mangels Anschluss zu Hause nicht erledigen können.

Gerade die Bildungspolitik der Landesregierung stand zuletzt wegen der geplanten Kürzungen, etwa bei den freien Schulen, in der Kritik. Ebenfalls eine verpasst Chance für eine Investition in die Zukunft?

Ja, wir haben im Land Brandenburg nicht viel Industrie, und gut ausgebildete junge Menschen sind einer unserer wichtigsten Standortfaktoren. Es darf nicht immer nur alles betriebswirtschaftlich betrachtet werden, gefragt werden, ob am Ende eine schwarze Null steht. Es geht an dieser Stelle nicht um Zahlen oder das Geld, sondern darum, dass wir die Leute hier ausbilden, sie fit für neue Technologien machen. Rot-Rot spricht immer von einer ’Bildungsinitiative’, kürzt dann aber bei der Bildung im zweistelligen Millionenbereich. Da sehe ich einfach keine Initiative. Beim Thema Bildung aber haben wir noch nicht alle Punkte beschlossen, diskutiert wird aber bereits darüber. Jeder kann sich dabei mit seiner Expertise einbringen.

Ein weiteres wichtiges Thema im Land ist die Energiefrage. Sind die Piraten für einen Braunkohleausstieg?

Also, was ich sagen kann ist, wir haben uns gegen CCS (Anm. d. Red. Carbon Capture and Storage) positioniert, weil die Gefahren, die damit einhergehen derzeit nicht absehbar sind. Einen expliziten Ausstieg aus der Braunkohle fordern wir aber nicht. Wirtschaftlich haben wir uns darauf verständigt, dass wir eher kommunale und regionale Unternehmen fördern wollen, weil diese die eigentlichen Zugpferde im Land sind. Vattenfall zählt dazu ganz bestimmt nicht.

Der Start der Berliner Piraten war etwas holprig. Die Fraktion hatte nicht nur mit einer anfänglichen parlamentarischen Orientierungslosigkeit zu kämpfen, sondern auch mit Fragen der parteiinternen Meinungsfindung, sogar mit Erpressungsvorwürfen. In wie fern hängt der Erfolg der Piraten in Brandenburg auch vom gelingen der Fraktionsarbeit in Berlin ab?

Sicherlich ist eine Art Vorbildfunktion gegeben. Alle gucken erstmal auf die Berliner, was machen die da, wie stellen die sich an. Aber das sehe ich völlig wertfrei. Ich denke, das Wichtigste ist, wie man im eigenen Land auf die Bürger zugeht, wie man die Leute einbezieht in die Prozesse, in das Ausarbeiten von Inhalten. Letztendlich, ob man nach Außen hin ehrlich auftritt. Wenn man seiner Linie treu bleibt, begreifen dass die Bürger auch. In unserem elektronischen Gedächtnis, dem Wiki, ist eigentlich fast alles dokumentiert, was bei uns irgendwo mal besprochen wurde. Das fehlt bei den anderen Parteien völlig. Im Juni wollen wir uns zudem auf unserem Parteitag programmatisch noch breiter aufstellen.

Wo wird der stattfinden?

Das ist noch nicht raus. Für den August ist außerdem noch ein zweiter Parteitag geplant. Dann geht es um die kommenden Wahlen und natürlich die Listenaufstellung. Daran sollen sich möglichst viele beteiligen. Dazu gehört natürlich auch das Internet. Allerdings arbeiten wir gerade an einer Art Brücke. Das Problem ist, wie wir die sogenannten Offliner und Onliner zusammen bekommen. Einige Mitglieder wohnen in Landkreisen, wo die Internetversorgung sehr schlecht ist.

Wie sieht eigentlich die Basisarbeit der Piraten aus, ganz konventionell mit Stand in der Fußgängerzone?

Natürlich haben wir auch schon mehrere Infostände gemacht, etwa in der Ostprignitz bei Kyritz oder vermischt mit dem Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, auch in Prenzlau, was ja dicht an der Landesgrenze liegt. Auch in Potsdam-Mittelmark tut sich mittlerweile einiges. Da war es lange sehr ruhig. Ist ja auch ein sehr großer Landkreis. Aber die neuen Mitglieder bringen viel Tatendrang und Aktionismus mit, haben sich zusammengerauft, irgendwann einmal getroffen und diskutieren jetzt dort ihre Themen. Derzeit geht es dort natürlich vor allem um die Gründung des Kreisverbandes. Aber eben auch um regionale Themen, mit denen sie dann auf die Straße gehen werden.

Was bewegt die Brandenburger auf der Straße?

Ein Thema, das häufig angesprochen wird, ist eben die Internetfrage. Für viele ist das wirklich ein sehr drängendes Problem. Aber auch CCS wird häufig angesprochen. Das ist jetzt ja erstmal vom Tisch, zumindest vorerst. Ansonsten geht es um kommunale Fragen wie die Müllentsorgung bis hin zur Transparenz behördlicher Abläufe. Es ist ja oft ziemlich schwierig, im Amt die notwendigen Informationen zu bekommen.

Welche Note geben sie denn den Behörden im Land Brandenburg?

Ich bin ja technikaffin und habe schon den einen oder anderen Weg gefunden, um Informationen und Dokumente zu bekommen. Aus dem Landtag, aus den Ausschüssen, wenn sie mal veröffentlicht werden. Rein von der Transparenz her würde ich sagen, ist das eine Vier auf einer Skala von ein bis sechs. Es ist für einen „Normalbürger“ einfach nicht überschaubar. Aber auch der Normalbürger möchte sich informieren, auch wenn die Presse vielleicht nicht gerade über ein bestimmtes Thema berichtet. Die Protokolle der Landtagsausschüsse etwa werden im Schnitt erst zwei bis vier Wochen später veröffentlicht, obwohl sie eigentlich bereits vorliegen. Häufig ist es auch ein Wust an Informationen, völlig unkoordiniert.

2014 wollen Brandenburgs Piraten es den Berlinern gleichtun und in den Landtag einziehen. 2009 sind Sie schon einmal gescheitert. Woran lag’s?

Es war ein Formalfehler. Die Unterlagen wurden zwar eingereicht, aber nicht im Original, beziehungsweise die Originalunterschrift fehlte. Es gab wohl auch Fristen, die nicht eingehalten wurden. Es war aber auch eine chaotische Zeit. Damals waren viele noch vor der Bundestagswahl schnell in die Partei eingetreten. Teilweise war der Zulauf zur Berlin-Wahl zwar größer, aber es war ähnlich. Da war man einfach überfordert, musste alles erst lernen. Das wird uns nicht ein weiteres Mal passieren. Durch die Oberbürgermeisterwahlen in Brandenburg/Havel und Jüterbog, wo wir Kandidaten gestellt haben, konnten wir dazulernen, uns mit den Formalien vertraut machen.

Was haben sie von den Berliner Piraten gelernt, rechnen Sie ebenfalls mit einem chaotischen Start, sollte der Einzug in den Landtag gelingen?

Ich denke, es wird uns nicht anders ergehen. Vielleicht nicht mit der Wucht, denn die Berliner sind nunmal die Ersten, die in ein Landesparlament eingezogen sind. Natürlich werden wir versuchen, einige Abläufe innerhalb der Partei zu ändern, weil es in Berlin doch sehr viel Lähmendes gab. Aber trotzdem muss man erstmal klarkommen, sehen wie alles funktioniert. Ich bin da ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass das völlig reibungs- und pannenlos funktionieren wird. Was man aber lernen kann, ist, dass man einige Probleme im menschlichen Umgang miteinander vorher ausräumen kann. Etwa bei der Frage, wer welche Räumlichkeiten bekommt. Da kann man vorher auch schon mal einen Rückzieher machen.

Ist der Status des Newcomers in der Politik für die Piraten gegenüber den etablierten Parteien ein Vorteil?

Zu 99 Prozent, bis auf ein paar Ausnahmen, die schon Erfahrung haben, sind wir alles Newcomer. Und wir haben bis auf unsere private Meinung mit Politik bisher nicht viel am Hut gehabt. Aber ich bin der Meinung, dass die politische Entwicklung in den letzten Jahren an einem Punkt gekommen ist, wo es vielen Mitgliedern etablierter Parteien einfach zu viel geworden ist. Ich denke, es ist vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem. Noch 2009 etwa hat sich Brandenburgs Linke im Wahlkampf gegen die Braunkohle und gegen CCS ausgesprochen. Später war davon auf einmal nichts mehr zu hören. Und das, obwohl genau das Ministeramt von der Partei besetzt wurde, wo man etwas hätte ändern können. Sicherlich erzählen auch wir manchmal viel und sicherlich auch utopische Sachen. Aber es hat sich bisher auch kaum eine andere Partei gewagt, zwei Schritte weiterzudenken und auch kontroverse Positionen zuzulassen. Häufig geht es den etablierten Parteien nur darum: Wem tu ich wo am wenigsten weh und wo habe ich trotzdem den meisten Vorteil. Das findet man bei uns nicht so. Der Vorteil sollte doch bei den Bürgern liegen.

Wie wollen die Piraten verhindern, dass sie irgendwann einmal ebenfalls zu den Etablierten gehören?

Dafür gibt es wohl kein Allheilrezept. Wir können nur an unserem Grundverständnis festhalten und für Transparenz in der Politik stehen. Der Wähler muss nachvollziehen können, was der oder die Abgeordnete in seinem Namen macht, welche Interessen er oder sie gerade vertritt.

Das Gespräch führte Matthias Matern

MICHAEL HENSEL (33), ist seit dem 20. August 2011 erster Vorsitzender des Landesverbandes der Piraten in Brandenburg. Mitglied bei den Piraten ist der Diplom-Informatiker seit 2009.

AM 14. OKTOBER 2009 wurde Hensel erstmalig zum Kreisvorsitzenden der Piraten-Partei in seiner Heimatstadt Brandenburg/Havel gewählt. 2010 wurde er wiedergewählt, konnte aber in diesem Jahr aufgrund der Wahl zum Landesvorsitzenden nicht erneut antreten.

HENSEL IST VERLOBT und ist Vater eines Kindes. mat

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