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Freier Blick. Nach den ursprünglichen Vorstellungen der Landesregierung sollten die Städte Frankfurt (hier ein Blick aus dem Oderturm), Cottbus und Brandenburg künftig nicht mehr kreisfrei sein, sondern mit angrenzenden Kreisen fusionieren.

© Patrick Pleul / dpa

Woidke stoppt Kreisreform: Geheimoperation Absage

Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) stoppt die Kreisreform, die er zuvor gegen alle Widerstände durchsetzen wollte. Was seine Entscheidung für Brandenburg bedeutet.

Potsdam – Es ist seine Reform. Er wollte sie lange durchziehen, notfalls den Volksentscheid riskieren. Und jetzt bereitet er hinter den Kulissen selbst die Absage vor. Die Notbremse, weil die Widerstände landaus und landab zu groß geworden sind: Nach PNN-Informationen will Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die umstrittene Kreisgebietsreform abblasen, bei der nach den rot-roten Regierungsplänen einwohnerschwache Kreise wie die Prignitz fusionieren sowie die Städte Brandenburg, Frankfurt (Oder) und Cottbus ihre Kreisfreiheit verlieren sollten. An einer Verwaltungsreform noch vor der nächsten Landtagswahl 2019 hält Woidke hingegen fest.

In Brandenburg dürfte die bevorstehende Absage weitgehend auf Erleichterung und Zustimmung stoßen. In der Landes-SPD, nach der Niederlage bei der Bundestagswahl und wegen der Reform tief verunsichert, führt sie kurz vor dem Landesparteitag am 18. November allerdings zu neuen Erschütterungen, und das in der engsten Führung: Am Dienstag verdichteten sich Signale, dass SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz wegen Differenzen mit Woidke wohl ihren Posten aufgeben wird. Sie wollte die Reform ungeachtet der immer breiteren Ablehnungsfront selbst in der eigenen Partei durchziehen.

Rückzug von der Kreisreform für Woidke so riskant wie Festhalten an umstrittenem Projekt

Offiziell bestätigt das alles bislang niemand. Doch nach PNN-Recherchen ist der Regierungschef inzwischen entschieden. Bei einem internen Treffen in der Staatskanzlei, für das Woidke am vergangenen Donnerstag extra seinen Urlaub unterbrochen hatte, ging es schon weitgehend um das administrative, politische und kommunikative Management für den Ausstieg und den weiteren Fahrplan. Und dafür sind noch einige Fragen und Abstimmungen offen, vor allem mit der Landtagsfraktion, den Linken und den Chefs der kommunalen Spitzenverbände.

Die Rückzugsoperation ist für den bereits wegen der Kreisreform unter Druck stehenden Regierungschef ebenso riskant, wie es ein Festhalten wäre. Teilnehmer der Krisen-Runde bei Staatskanzleichef Thomas Kralinski, auf der das Ausstiegsszenario durchdekliniert wurde, waren neben Woidke unter anderen Fraktionschef Mike Bischoff, Kommunalexperte Daniel Kurth, der für Bundesangelegenheiten zuständige Staatssekretär und frühere SPD-Bundesgeschäftsführer Martin Gorholt, nicht aber Geywitz.

Widerstand der Kommunen gab letzten Ausschlag für den Kurswechsel

Auch die Linke als Koalitionspartner ist seitdem vorgewarnt, dass sich etwas anbahnt. Der große Bahnhof in der Regierungszentrale, die dort parkenden gepanzerten Ministerpräsidenten-Limousinen, obwohl Woidke offiziell im Urlaub war, sind Finanzminister und Linke-Parteichef Christian Görke nicht verborgen geblieben. Sein Büro liegt direkt vis-à-vis der Staatskanzlei. Bislang war die Linke-Spitze dafür, die Reform durchzuziehen. Die Linken sind in der Frage seit Monaten stabiler aufgestellt als die SPD. Dort hatte Woidke noch bei der Klausur der Landtagsfraktion in Neuhardenberg mit Neuwahlen gedroht, als es bei einer Probeabstimmung zunächst mehr Abweichler gab als erwartet.

Den letzten Ausschlag für den Kurswechsel Woidkes dürften nach dem AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl in Brandenburg – die Rechtspopulisten landeten knapp hinter der CDU, noch vor der SPD auf Platz zwei – die Anhörungen im Innenausschuss des Landtages gegeben haben. Von deren Ausgang hatte Woidke das weitere Vorgehen abhängig gemacht, Veränderungen nicht ausgeschlossen und nur noch von „einer Reform“ gesprochen. Das Ergebnis war so eindeutig wie verheerend für die rot-rote Koalition: Der Gesetzentwurf zur Kreisneugliederung war von den kommunalen Vertretern aus dem Land einhellig abgelehnt worden. Selbst die Kommunalebene in SPD läuft dagegen Sturm.

Kreisreform für Brandenburg wäre wohl verfassungsrechtlich angreifbar gewesen

Zudem würde nun auch noch das Risiko drohen, dass die Reform womöglich verfassungsrechtlich angreifbar wäre: In der 17-stündigen Marathonsitzung hatten aus dem Land angereiste Kommunalvertreter stundenlang warten müssen, teilweise bis nach zwei Uhr am Morgen. Schon vorher hatten sich Kreistage in ganz Brandenburg – mit den Stimmen von SPD und Linken – gegen die Reform positioniert. Und eine von der CDU-Opposition angeführte außerparlamentarische Volksinitiative „Kreisreform stoppen“ hatte 129 000 Unterschriften gesammelt. Aktuell läuft ein Volksbegehren, um einen Volksentscheid über die Kreisreform zu erzwingen. Vergangene Woche ging selbst Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) aus Sorge um den „inneren Zusammenhalt“ Brandenburgs mit der Warnung davor an die Öffentlichkeit, die Reform nach dem Motto „Augen zu und durch“ durchzuziehen.

Die Kreisfusionen und Einkreisungen der hochverschuldeten Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel werden nun obsolet. Die stattdessen geplante Verwaltungsreform soll auf Pflichtkooperationen setzen. Seit den Anhörungen liegt ein entsprechender Kompromissvorschlag des Landkreistages auf dem Tisch, den dessen Präsident, Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig (SPD), vorgetragen hatte. Auch der Städte- und Gemeindebund mit dem Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) als Präsidenten würde dieses Modell mittragen. Danach könnten Landkreise und kreisfreie Städte dazu verpflichtet werden, zum Beispiel Gesundheits-, Kataster- oder auch Jugendämter kreisübergreifend gemeinsam zu betreiben. Dies wäre ein „goldener Zügel“ im Gegenzug für die nötige Teilentschuldung der kreisfreien Städte. Die entsprechenden Gesetze könnten 2018 beschlossen werden, womöglich zusammen mit dem Doppelhaushalt für 2018/2019, mit einem Programm für Digitalisierung, Infrastrukturaufbau, Brandenburgs Landregionen, Bildung.

Politischer Herbststurm in Brandenburg: CDU fordert Woidkes Rücktritt 

Aber erst einmal steht Brandenburgs Politik vor einem Herbststurm. CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben hat vergangene Woche bereits den Rücktritt von Ministerpräsident Woidke nach dem Vorbild des sächsischen Regierungschefs Stanislaw Tillich gefordert. Spekuliert wird deshalb auch, ob Innenminister Karl- Heinz Schröter (SPD) über die verunglückte Gebietsreform stürzt. Woidke sei gegen ein „Bauernopfer“, heißt es.

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Zunächst einmal aber nimmt der Regierungschef nach der Rückkehr aus dem Urlaub am heutigen Mittwoch seine Dienstgeschäfte wieder auf. Er startet in der Prignitz, die bei der Reform mit dem Nachbarkreis Ostprignitz-Ruppin zusammengelegt werden sollte, eine Tour unter dem Motto „Zukunft Heimat“. Verkündet Woidke bereits dort die erlösende Nachricht für Brandenburg?

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