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Wie Richter Christian Odenbreit auf Potsdam blickt: Abschied nach 20 Jahren am Landgericht Potsdam

Christian Odenbreit verhandelte 20 Jahre lange aufsehenerregende Fälle am Potsdamer Landgericht. Nun wurde er ans Oberlandesgericht nach Brandenburg an der Havel berufen.

Potsdam - Es gibt Richter, für die ist der Gerichtssaal eine Bühne. Bei spektakulären Strafprozessen ist das manchmal so. Der Richter steht im Zentrum, scheut den großen Auftritt nicht, das öffentliche Interesse. Christian Odenbreit ist ein anderer Typ. Der 53-Jährige wirkt zurückhaltend, fast vorsichtig, steht nicht gerne im Mittelpunkt. Doch dann kam Bonnie.

Mitten im Sommerloch 2016 macht ein Hund den ruhigen Richter bekannt. Christian Odenbreit, Vorsitzender Richter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, kann sich vor Anfragen kaum retten. Überregionale Medien wollen über das Schicksal von „Bonnie von Beelitz“ berichten. Der Boulevard sowieso, der gleich mal offenlegt, dass der Mann, der über das Schicksal eines Dackel entscheidet, selbst keine Haustiere hat. Als wäre das entscheidend für den Richterspruch.

Christian Odenbreit staunt noch heute, zwei Jahre später, über den Bonnieboom. Denn der Teckel, der einer Familie aus Beelitz ausbüxte und in Bayern unter dem Namen „Lulu“ ein neues Zuhause fand, war nur ein Fall von vielen, die er während seiner insgesamt 20 Jahre am Potsdamer Landgericht auf dem Tisch hatte. Nun wurde Odenbreit zum Senatsvorsitzenden des Brandenburgischen Oberlandesgerichts berufen, wechselte diesen Monat an das höchste brandenburgische Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Odenbreit nahm Gebäude bei Architektur-Streitigkeiten auch selbst in Augenschein

Den Fall Bonnie wird er so schnell nicht vergessen. Und auch viele andere Streitigkeiten nicht. Fast jedes größere Bauvorhaben des Landes und der Stadt hat er juristisch begleitet. Neues Palais, Schwimmhalle am Luftschiffhafen, Biosphäre, Bertiniweg. Denn eigentlich war Odenbreit mit seiner Kammer in erster Linie für Architektenstreitigkeiten zuständig. Beim Neuen Palais ging es um einen Honorarstreit, darum, wie die Sandsteinfiguren auf dem Schloss zu bewerten sind. Zählt der pure Sandstein oder der historische, künstlerische Wert? Odenbreit gelang es, beide Seiten zu einem Vergleich zu bewegen. Bei der Schwimmhalle am Luftschiffhafen verhandelte er Probleme bei der Dachkonstruktion, prüfte die Pfützenbildung im Fliesenbereich. Beim Bertiniweg musste Odenbreit über den Zwist der Stadt mit Anwohnerfamilien über deren Vorkaufsrechte urteilen – er billigte sie den Anwohnern zu.

Odenbreit ist dabei keiner, der seine Fälle vom Schreibtisch und der Richterbank aus erledigt. Er will die Streitgegenstände sehen, nicht nur die Akten, sich vor Ort ein Bild machen. Wie oft er der Biosphäre aufs Dach gestiegen ist, weiß er nicht mehr. Es ging, schon während des ersten Bauabschnitts für die zur Bundesgartenschau errichtete Tropenhalle, um Zwistigkeiten zwischen der Stadt, Architekten und Werkunternehmen. „Das Verfahren schwelte seit 2001“, erinnert sich Odenbreit, „ein komplexes Verfahren mit unglaublichem Aufwand.“

„Das schaukelte sich hoch“: Der Fall Bonnie landete bei ihm, weil es ein Berufungsverfahren war

Es gelang ihm, einen Vergleich zu schließen. Da er sich beruflich viel mit der Biosphäre befasst hat, verfolgt er auch heute noch die Debatte um das Bauwerk. Einen Wunsch, was aus der bei Besuchern beliebten, aber wirtschaftlich unrentablen Halle werden soll, will er nicht äußern. Mit seinen beiden Söhnen sei er früher öfter dort gewesen. „Ich fand die Biosphäre toll“, sagt er. Aber die Tropenhalle koste natürlich viel Geld. Ob Potsdam sich das leisten kann und will – darüber will er nicht urteilen.

Wie passt ein Hund zu all den Baustreitigkeiten? Bei Bonnie ging es nicht um Architektenfragen. Der Fall Bonnie landete bei ihm, weil es ein Berufungsverfahren war. Seine Kammer hatte auch Entscheidungen des Amtsgerichts zu prüfen – so ist Odenbreit auf den Hund gekommen.

„Das schaukelte sich hoch“, sagt Odenbreit mit leichtem Kopfschütteln. Der sommerlochfüllende Dackel beherrschte vor zwei Jahren kurzzeitig mit Schlagzeilen wie „Bring back my bonnie to me“ die Nachrichten. Dabei, sagt Odenbreit, sei der Fall gar nicht so komisch gewesen, wie er dargestellt wurde, sondern juristisch durchaus spannend. Wem gehört Ausreißer Bonnie? Den ursprünglichen Besitzern oder den Findern? Odenbreit sprach Bonnie den Beelitzern zu, die den „Pflegeeltern“ in Bayern Ausgaben für Tierarzt und Futter ersetzen mussten. Heute dient der Fall Bonnie bei Jura-Examensprüfungen als Beispiel. Christian Odenbreit hat Bonnie nie gesehen, nur die beiden Frauchen. „Die Fronten waren verhärtet“, erzählt er und dass er einzig nach rechtlichen Gründen zu urteilen hatte. „Es ging nicht um Tierpsychologie.“

„Ich liebe Potsdam“, sagt Odenbreit mit Inbrunst

Das mag hart klingen, aber so ist es nicht. Odenbreit lebt mit seinen Fällen, durchlebt sie. Und kann trotzdem den nötigen professionellen Abstand wahren. Das hat mit einer großen Liebe zu tun. Zu seiner Stadt – und ihren Menschen. „Ich liebe Potsdam“, sagt Odenbreit mit einer Inbrunst, die man bei dem zurückhaltenden Richter sonst eher selten erlebt. Aufgewachsen ist er am Niederrhein, studiert hat er im fränkischen Würzburg. 1993 kam er nach Potsdam. „Das war eine unglaubliche Stimmung damals“, erzählt Odenbreit, dessen Vater auch Richter war. Ein unglaublicher Wille, eine Dynamik und Aufbruchstimmung habe in der Richterschaft geherrscht. DDR-Juristen, Westler, Sekretärinnen aufgelöster LPGs, die einen neuen Job am Gericht fanden – sie alle arbeiten gemeinsam daran, das Rechtssystem im neuen politischen System aufzubauen.

Ein Streitkomplex, der sich bis in die heutige Zeit zieht, hat ihn dabei begleitet, ihm viel gezeigt über das Früher und Heute: Die Frage, ob und wie Nutzungsverhältnisse über Erholungsgrundstücke, Datschen und Garagen aus DDR-Zeiten in der Nachwendezeit behandelt werden können. „Manchmal reichte der Sitzungssaal nicht, weil die ganze Garagengemeinschaft zum Prozess erschien“, erinnert er sich. Manchmal ging es um bis zu 300 Garagen. Diese Prozesse, sagt Odenbreit, „hatten enorme Spannung“. Nicht immer seien es, wie oft gemutmaßt werde, Ost-West-Konflikte gewesen. Manchmal seien es auch Osteigentümer gewesen, die ihr Eigentum nun anders nutzen wollten, zum Ärger der Besitzer. Die Datschen-Fälle waren eine Zeitreise im Gerichtssaal. „Wir mussten zurück in die Zeit vor 1990, schauen wie die Rechtslage 1975 war – und wie die gelebte Praxis.“ Enttäuschungen und Emotionen waren oft mit im Spiel. Diese Streits genauso ernst zu nehmen wie die großen Baufälle, bei denen es um Millionenbeträge geht, das sei ihm immer wichtig gewesen. „Oft betrifft es Menschen, die sind nur einmal in ihrem Leben vor Gericht“, sagt Odenbreit. Diesen Menschen gerecht zu werden, sei ihm immer ein Anliegen gewesen.

Die Berufung ans OLG empfindet er als „Ehre“

Genauso, Potsdam mitzugestalten. Welches Potenzial die Stadt hat, sei bereits in den 1990er-Jahren zu sehen gewesen. Wie im Dornröschenschlaf sei ihm Potsdam damals vorgekommen. Sein Gedanke: Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Landeshauptstadt erweckt wird, viele Leute anzieht.

Seine komplette frühere Kammer – alles Potsdamer. Die Richter der 6. Zivilkammer „leben in und mit der Stadt“, sagt er.

Das war zu spüren beim Urteil über die Promenade an der Hegelallee. Der Mittelstreifen wird gerne von Radlern benutzt. Beim Queren der Promenade krachte ein Radfahrer in ein Auto. Odenbreit bekam den Unfall auf den Tisch, wie der Fall Bonnie ein Berufungsverfahren. Der Radler trägt die alleinige Schuld an dem Unfall, urteilte Odenbreit 2016 – und verknüpfte sein Urteil mit dem lebensnahen Appell an die Stadt, sich die Situation auf der Promenade einmal genauer anzuschauen, zu überlegen, ob man mit deutlicher Beschilderung nicht Unfälle vermeiden könnte.

Die Berufung ans OLG empfinde er als „Ehre“, sagt Odenbreit. Auch wenn er jetzt weniger an der „Front“ sei, andere Aufgaben habe. Ein Jahr hat er früher bereits am OLG gearbeitet, auch im Bundes- sowie im Landesjustizministerium war er zwischenzeitlich, seit 2005 ununterbrochen am Potsdamer Landgericht.

Doch Odenbreit bricht gerne auf zu neuen Ufern. In seinem Büro im Potsdamer Justizzentrum hingen Fotos aus Bolivien, einem seiner liebsten Reiseziele. Ein Bild zeigt den Salar de Uyuni, den größten Salzsee der Erde. Christian Odenbreit ist kein Typ für Pauschalurlaub – und keiner für Pauschalurteile. Er entdeckt gerne Neuland. Um immer wieder nach Potsdam zurückzukehren. Nach Brandenburg an der Havel, zu seiner neuen Arbeitsstelle, pendelt er.

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