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Brandenburg: Weisung von oben

Ermittlungen gegen Ex-LKA-Chef eingestellt NSU-Ausschuss widmet sich V-Mann „Piatto“

Potsdam - Mehr als ein Jahr nach dem Start des NSU-Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag haben am Freitag die Vernehmungen zu dem früheren V-Mann Carsten Szczepanski, Deckname „Piatto“, begonnen. „Piatto“ steht im Zentrum der Aufklärung, weil er dem Brandenburger Verfassungsschutz bereits im Sommer 1998 Hinweise auf das Neonazi-Terror-Trio NSU gegeben hatte. Diese sollen aber nicht ausreichend an andere Behörden weitergegeben worden sein – um den V-Mann zu schützen.

Der Ausschuss vernahm zunächst zwei Beamte des Bundeskriminalamtes, die den späteren V-Mann „Piatto“ im Februar 1992 nach einer Gründungsfeier des Ku-Klux-Klans (KKK) mit einer Kreuzverbrennung in Halbe (Dahme-Spreewald) festgenommen hatten. Der 21-Jährige habe damals gute Kontakte zu führenden Köpfen des Ku-Klux-Klans in den USA gehabt. „Er war sehr verbohrt und nicht davon zu überzeugen, dass Menschen anderer Herkunft die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagte ein Beamter.

Der Mann wurde wieder auf freien Fuß gesetzt. Dabei waren bereits Ende 1991 in seiner Berliner Wohnung bei einer Durchsuchung Materialien für den Bau von Rohrbomben und eine Anleitung zum Kampf im Untergrund gefunden worden. Bei einer Durchsuchung in Königs Wusterhausen, wo Szczepanski dann untergetaucht war, fanden die BKA-Beamten dann aber nichts. 1995 wurde „Piatto“ wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt, weil er gemeinsam mit anderen Neonazis einen Lehrer aus Nigeria fast totgeschlagen hatte. Noch in der Untersuchungshaft wurde er zum Informanten des Landesverfassungsschutzes.

Die BKA-Beamten sagten, es sei verwunderlich, dass Szczepanski trotz schwerer Straftaten weiter aktiv und frei war – und es jahrelang keine ernsthaften Konsequenzen gab. Der damals zuständige Bundesanwalt Dieter Beese konnte nicht erklären, warum er 1992 das Verfahren gegen den späteren V-Mann wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingestellt hatte. Er könne sich an den Fall nicht mehr erinnern, erklärte der 81-Jährige auf mehrfache Nachfragen. Laut Akten hatte er keinen hinreichenden Anfangsverdacht gesehen. Tatsächlich war bei der Entscheidung ein dritter, bei den Ermittlungen erfasster KKK-Neonazi unberücksichtigt geblieben. Bei nur zwei Beteiligten fiel der Terror-Verdacht weg.

Dazu sagte der Linke-Abgeordnete Volkmar Schöneburg, er hätte gedacht, dass man da einen Haftbefehl erlassen könnte. „Ich bin schon erstaunt, dass das rechtsradikale Problem in Form des Ku-Klux-Klans zwar nicht banalisiert, aber verharmlost worden ist.“ Die SPD-Abgeordneten Björn Lüttmann und Inka Gossmann-Reetz argumentierten ähnlich. „Bei der Befragung der BKA-Beamten und des Bundesanwalts beim GBA, Dieter Beese, haben sich die Anzeichen verdichtet, dass eine Einordnung der Taten als Bildung einer terroristischen Vereinigung durchaus möglich gewesen wäre“, teilten sie in einer gemeinsamen Erklärung mit. Insofern sei zu vermuten, dass die Gefahr des rechten Terrors unterschätzt wurde und im Fall des späteren V-Manns „Piatto“ eine folgenschwere Fehleinschätzung vorgelegen habe. „Wäre er in Haft gewesen, hätte er auch nicht wenige Monate später den versuchten Mord an Steve E. anführen können.“

Am Vormittag hatte der Ausschuss seine Untersuchungen zur rechtsextremen „Nationalen Bewegung“ abgeschlossen. Die Gruppierung hatte in den Jahren 2000 und 2001 rassistische und antisemitische Anschläge und Propagandaaktionen verübt. Nach Aussage von Oberstaatsanwältin Marianne Böhm war eine Razzia gegen die rechtsextreme „Nationale Bewegung“ von einem V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes an die Szene verraten worden. Das Datum der geplanten Razzia sei dem Mann von seinem V-Mann-Führer mitgeteilt worden, erklärte Böhm. Sie hatte die internen Ermittlungen zu dem Fall geführt.

Bereits der frühere Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin und der damalige V-Mann-Führer hatten dem Ausschuss bestätigt, dass sie den V-Mann über eine bevorstehende Maßnahme unterrichtet hatten, was üblich gewesen sei. Ähnlich äußerte sich nun Böhm.

Wegen Geheimnisverrats wurde dann jedoch nur der V-Mann zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Dem V-Mann-Führer sei kein strafbares Verhalten nachzuweisen gewesen, da er das Datum der Razzia möglicherweise auf Weisung von oben weitergegeben habe. Die Verantwortlichen konnten von Böhm damals nicht ermittelt werden. Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes hätten in den Vernehmungen „extrem gemauert“, sagte Böhm.

Der Linke-Obmann Schöneburg wertete die Vorgänge damals als organisierte Verantwortungslosigkeit, da weder gegen den V-Mann Führer noch gegen höhere Ebenen im Verfassungsschutz oder im Innenministerium vorgegangen wurde. Böhm räumte dann auf Nachfragen von Grünen-Obfrau Ursula Nonnemacher ein, dass sie damals auch einen der ranghöchsten Polizisten des Landes im Visier hatte. Demnach habe sie gegen den damaligen LKA-Chef Axel Lüdders einen Anfangsverdacht gehabt. Damals soll Lüdders den Verrat der Razzia durch den V-Mann zwar der Polizei mitgeteilt, jedoch keine Anzeige wegen Verrats von Dienstgeheimnissen erstattet haben. Böhm sagte nun: Die Angelegenheit sei damals zur Chefsache erklärt worden. Sie bekam die Anweisung, dass ein Anfangsverdacht nicht vorliege. Zuständig war damals auch: Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg. Klaus Peters (dpa),

Alexander Fröhlich

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