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Erklärungsbedarf. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will in einer Regierungserklärung am Mittwoch Konsequenzen aus der gescheiterten Kreisreform darlegen. Die Wähler interessieren sich indes für mehr Lehrer und Polizisten.

© Ralf Hirschberger/dpa

Brandenburg: Was die Brandenburger erwarten

Die SPD ist so schwach wie nie zuvor. Ministerpräsident Woidke muss nun sagen, wie es weitergeht

Potsdam - Noch zwei Tage bis zum Showdown: Eigentlich sollte in Brandenburgs Landtag am Mittwoch über die umstrittene rot-rot Kreisreform abgestimmt werden. Nachdem die von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) abgeblasen wurde, wird es nun eine Generaldebatte um die Konsequenzen, Verantwortlichen des Fiaskos und die Perspektiven. Woidke hat eine Regierungserklärung angekündigt. Und CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben hat einen Antrag auf Auflösung des Landtages eingereicht, um wegen der Pleite des zentralen Regierungsprojektes vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Aber wie sehen die Brandenburger die jüngsten Erschütterungen?

Sie trauen weder der Regierung, noch der CDU-Opposition, alles diffundiert. So liest sich eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Märkischen Allgemeinen (MAZ), die am Wochenende für Aufregung und Gesprächsstoff im Politikbetrieb des Landes sorgte. Denn das Stimmungsbarometer im Land ist unmittelbar vor der Parlamentssitzung über die Konsequenzen des Kreisreform-Stopps in jeder Hinsicht bemerkenswert. Trotz gescheiterter Kreisreform kann sich, die eigentliche Überraschung, in Brandenburg die SPD immer noch als stärkste politische Kraft behaupten, wenn auch knapp. Selbst Genossen hatten damit nicht mehr gerechnet, nach den Pleiten, Pech, Pannen und der Bundestagswahlniederlage. Allerdings fallen die Sozialdemokraten auf einen historischen Tiefstwert von 25 Prozent. So wenig Zuspruch hatten die Sozialdemokraten seit 1990 noch nie. Dennoch halten 74 Prozent der Märker Woidkes Entscheidung, das wichtigste Regierungsprojekt zu stoppen, für richtig.

Ernüchternd, ja deprimierend, die zweite Überraschung, dürfte das Stimmungsbild für die märkische Union sein. Die CDU, die noch im September die Bundestagswahl im Land gewonnen hatte, während die SPD dort noch hinter der AfD auf Platz Drei abgestürzt war, profitiert von der schwersten Regierungskrise Woidkes seit seinem Amtsantritt 2013 nicht. Trotz ihrer erfolgreichen Anti-Kreisreform-Kampagne und substanziellen inhaltlichen Oppositionsarbeit bekäme die Union aktuell nur 22 Prozent, kaum mehr als zur Landtagswahl 2014. Und die vorgezogenen Neuwahlen, die die CDU im Parlament mit einem Antrag auf Auflösung des Landtages durchsetzen will, die nach der Forsa-Umfrage die SPD gewinnen würde, stoßen auf breite Ablehnung im Land. 67 Prozent der Brandenburger lehnen das kategorisch ab, nur 27 Prozent sind dafür. Selbst unter CDU-Anhängern (56 Prozent dafür) sind 36 Prozent dagegen.

Für Brandenburg sind die Entwicklungen in der politischen Stimmung der Bevölkerung dennoch dramatisch, erst Recht, wenn sie sich weiter verstetigen sollten. Rot-Rot hat erneut keine eigene Mehrheit mehr, da die Linke (wie die AfD) derzeit auf 18 Prozent käme. Die Linken haben sich stabilisiert, mussten wegen der Kreisreform-Absage keine Verluste hinnehmen. Erneut, wie bereits bei der Bundestagswahl, ist das Votum der Brandenburger so, dass es zu keiner Zweier-Koalition mehr reichen würde. Die Grünen liegen bei 6 Prozent. Die FDP wäre mit 5 Prozent im Landtag.

Zugleich haben die rot-rote Regierung und Woidke weiter an Zustimmung eingebüßt. Mit Woidke sind 49 Prozent der Märker zufrieden, 45 Prozent nicht. Das ist jedenfalls im Vergleich zu den Vorgängern Matthias Platzeck (2002 bis 2013) und Manfred Stolpe (1990 bis 2002) ein Tiefstwert. Im Januar hatte er noch 61 Prozent der Märker auf seiner Seite. Bislang hatte die SPD in Brandenburg alle Landtagswahlen seit 1990, vor allem dank der Popularität der Regierungschefs, gewonnen. Kann Woidke diesen Abwärtstrend nicht stoppen, gibt es für die Landtagswahl 2019 keine Garantie auf einen SPD-Sieg mehr. Auch die Zufriedenheit mit der Regierung sank auf einen Rekordnegativwert seit 2014. 51 Prozent der Märker sind unzufrieden mit der rot-roten Woidke-Regierung, nur 45 Prozent zufrieden. Allerdings sind solche Werte in der jüngeren Brandenburger Nachwendegeschichte auch nicht ungewöhnlich, die gab es auch unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und der damaligen SPD/CDU-Koalition oder der ersten, skandal- und rücktrittsgeplagten rot-roten Regierung nach 2009.

Die Reaktionen der Parteien auf die Umfrage, die keinen Gewinner sieht, fielen denn auch zurückhaltend aus. Sie bestätige „den Abwärtstrend der Landesregierung“, erklärte CDU-Generalsekretär Steeven Bretz. „Rot-Rot hat zum wiederholten Male keine eigene Mehrheit bei den Brandenburgern und bekommt damit die Quittung für ihr anhaltend desaströses Erscheinungsbild.“ Und die SPD-Vizelandeschefin Katrin Lange – Staatssekretärin im Innenministerium – erklärte: „Auch wenn wir nach wie vor stärkste Kraft im Land sind, gibt es keinen Grund zur Zufriedenheit.“ Die Umfrage zeige, dass „die Sachentscheidung, die Reform zu beenden, richtig war und ist“, so Lange. „Das wird sich auf längere Sicht auszahlen.“ Der Preis, erhebliche Brüche im Land zu riskieren, sei einfach zu hoch gewesen. Ähnlich äußerte sich die Landesgeschäftsführerin der Linkspartei, Anja Mayer: „Die Koalition wird nach dem Verzicht der Verwaltungsstrukturreform weiterhin ihre Hausaufgaben machen.“ Und auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) meldete sich zu Wort. In einem MAZ-Interview sieht er sich durch das aktuelle Stimmungsbild im Land in seiner Entscheidung bestätigt. „Wir haben ein Projekt beendet, das vor Jahren fast alle wollten, jetzt aber nicht mehr durchsetzbar war“, sagte Woidke. „Ich sehe das nicht als Schwäche, sondern als Stärke der Regierung.“ Zugleich räumte er Fehler ein. „Aber wir werden jetzt die vor uns liegenden Aufgaben Schritt für Schritt lösen“, sagte Woidke. „Wir werden durch harte Arbeit Vertrauen zurückgewinnen.“

In der Regierungserklärung muss er nun darlegen, wie es weitergeht. Aus Sicht der Brandenburger ist nach der Forsa-Umfrage klar, was die Woidke-Regierung jetzt zu tun hat, und zwar in dieser Reihenfolge der Prioritäten: Die Landesregierung sollte sich um mehr Lehrer (90 Prozent der Befragten), mehr Polizisten (86 Prozent), um die Kitas (79), Kampf gegen Extremismus (69), den Bau und die Sanierung von Straßen (69), die Fertigstellung des BER (67) und schnelles Internet (65) kümmern. Es sind nur noch zwei Jahre bis zur nächsten Brandenburg-Wahl.

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