zum Hauptinhalt
Ort einer Tragödie. Mehr als sechs Stunden hatten Feuerwehr, Polizei und Seelsorger in der Berliner Sonnenallee zu tun. Der Brand, bei dem zwei Erwachsene und ein Säugling ums Leben kamen, war nach einer Stunde unter Kontrolle.

© Andreas Meyer

Von Sandra Dassler und Jörn Hasselmann: Kinderwagen angezündet: Drei Tote

Eine Mutter, deren Säugling und Bruder starben bei einem Brand. Sie wurden im Schlaf überrascht

Von

Berlin - Der Brandstifter ließ der Familie keine Chance. Vor Morgengrauen schlich er in der Nacht zu Sonnabend in den Flur des Hinterhauses in Berlin-Neukölln, legte Feuer und verschwand. Die Flammen breiteten sich rasend schnell aus, drei Menschen starben: ein zehn Tage alter Junge, dessen 26-jährige Mutter und deren Bruder (28). Mutter und Säugling waren nur zu Besuch, teilte die Polizei mit. Der Mann war mit schwersten Brandwunden aus dem Fenster im ersten Stock gesprungen und wenig später gestorben. Nach den Löscharbeiten fand die Feuerwehr in der Wohnung die Leiche von Mutter und Baby. Die drei aus Bosnien stammenden Toten starben an Rauchvergiftung.

Am Tag danach wurde manchem erst richtig bewusst, was geschehen ist: „Sie war so eine nette Frau – wir haben manchmal gequatscht“, sagte am Sonntag die Verkäuferin im Bäckerladen neben dem Haus Nummer 18 in der Sonnenallee. Die Verkäuferin weint, sie hat wie viele andere Blumen vor das Haus gelegt. Das wird an diesem Sonntag streng bewacht, die Polizei lässt nur Menschen ein, die hier wohnen, die Ermittlungen laufen.

Bisher steht fest, dass jemand das Feuer an mehreren Stellen gelegt hatte. Neben einem Kinderwagen wurde auch abgestelltes Gerümpel angezündet. „Es gab mehrere Brandherde“, hieß es gestern. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes und versuchten Mordes. Brandbeschleuniger wurde bislang nicht nachgewiesen. Da schnell ein Fenster vor Hitze platzte und zudem mehrere Mieter – offensichtlich auch die später Getöteten – die Wohnungstüren öffneten, entstand im Treppenhaus der gefürchtete Kamineffekt: Die Flammen breiteten sich schnell aus und fraßen sich in die beiden Erdgeschosswohnungen.

Ein Mieter, der am Sonntag vor dem Haus in der Sonnenallee raucht, zittert am ganzen Körper: „Es musste so kommen“, sagt er: „Wie oft sitzen da Besoffene oder Bekiffte im Flur rum, und wenn man die anspricht, wird man noch bedroht. Hier kann doch jeder rein.“ Dass jeder in das Haus kann, erzählen alle. Selbst wenn die Tür verschlossen sei, werfe man sich eben mit der Schulter dagegen, sagt ein Mann und führt es am Nachbarhaus vor. Tatsächlich – die Tür gibt nach. Bei einem anderen Haus genügt eine Kreditkarte, bei einem weiteren ein Fußtritt. „Die Schlösser werden hier immer schnell demoliert“, sagt der Mann, dessen Zorn sich gegen die Hausverwaltung der Sonnenallee 18 richtet, der übrigens auch das Haus des Regierenden Bürgermeisters am Kurfürstendamm gehört.

„Brandstifter gehen den Weg des geringsten Widerstandes“, sagt ein Feuerwehrsprecher: „Sie brechen keine Türen auf, wenn sie ein paar Häuser weiter ohne Gewalt in einen Flur kommen.“ In Neukölln ist das jetzt häufig passiert. In der Weichselstraße beispielsweise. Auch im Haus Nummer 34 stehen Kinderwagen im Flur. „Wo sollen wir denn sonst damit hin?“ fragt eine junge Mutter, die vier kleine Kinder hat. Mittwochnacht glaubte sie zu träumen, als jemand „Feuer“ schrie. Es war kein Traum. „Wenn nicht zufällig eine Mieterin nach Hause gekommen wäre, wir hätten alle sterben können – genau wie die Menschen in der Sonnenallee“, sagt die Frau.

Auch in der Weichselstraße brannte ein Kinderwagen, auch hier lässt sich die Tür leicht öffnen, weil viele den Code kennen, den man dafür eingeben muss. „Wir haben die Hausverwaltung schon mehrfach aufgefordert, das zu ändern, sagt eine andere Mieterin: „Hier leben 15 Kinder, viele haben sich nach dem Brand nicht mehr in den Hof getraut.“ Auch die Mütter haben Angst. Schließlich hat Mittwochnacht kurz vor dem Feuer in der Weichselstraße 34 im Haus Nummer 42 eine Mülltonne gebrannt. „Das muss doch ein kranker Serientäter sein“, sagt die Mieterin.

Bei dem Brand in der Nacht zum Sonnabend wurden 17 Mieter des Altbaus an der Sonnenallee teilweise schwer verletzt und kamen mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus. Viele der überwiegend aus Bosnien und der Türkei stammenden Familien, darunter viele Kinder, mussten von der Feuerwehr mit Leitern aus den oberen Stockwerken gerettet werden. Nach Berichten von Augenzeugen spielten sich tragische Szenen ab; viele Menschen riefen in Panik am offenen Fenster um Hilfe. Drei Menschen sprangen schließlich in die rettenden Luftpolster der Feuerwehr. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false