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Erfolgreich. Christian Gilde (SPD) war als Landrat in Wittstock einer der Väter des  erfolgreichen  Widerstandes gegen das sogenannte Bombodrom.

© axf

Von Alexander FRöhlich: Landrat per Zufall

Christian Gilde geht in den Ruhestand – einer der dienstältesten und verdientesten Landräte Brandenburgs

Neuruppin – Er ist einer dienstältesten Landräte im Land Brandenburg und durch den jahrelangen Kampf gegen die militärische Nutzung der Wittstock- Ruppiner Heide landesweit bekannt: Christian Gilde (SPD), Chef der Kreisverwaltung von Ostprignitz-Ruppin, wurde am Freitag in den Ruhestand verabschiedet. Welche Bedeutung die Landesregierung dem beimisst, zeigte die Gästeliste. Ministerpräsident Matthias Platzeck und Innenminister Rainer Speer (beide SPD) kamen. Platzeck nannte Gilde einen „bemerkenswerten Landrat“ und „verlässlichen Menschen“. „Es war mit sein Verdienst, dass die Bundeswehr nach jahrelanger Gegenwehr endlich klein beigeben musste und die Menschen heute sagen können, ,die Heide ist frei‘.“ Und Benedikt Schirge von der Bürgerinitiative „Freie Heide“, die den Kampf für die zivile Nutzung des einstigen Übungsplatzes anführte, meinte, er hätte sich keinen „engagierteren Landrat vorstellen können“.

Dabei war der Weg des 63-Jährigen in die Politik keineswegs typisch und hat doch mit der Rolle der Kirche in den Monaten der friedlichen Revolution von 1989 zu tun. Gilde wuchs unter sechs Geschwistern auf, der Vater war Pfarrer und in der Nazi-Zeit Mitglied der oppositionellen „Bekennenden Kirche“. „Von daher hatten wir immer eine klare Linie, auch in der DDR“, sagt Gilde. Das Fernmeldetechnik-Studium in Dresden musste er abbrechen, weil er den Fahneneid verweigert hat. Nach einer Mechaniker-Lehrer war er als kirchlicher Sozialarbeiter tätig. Gilde: „Ich hab zu den Alkoholikern gesagt: Ihr habt mich auf meinen späteren Job vorbereitet.“

In der Wendezeit organisierte der 63-Jährige in Wittstock Friedensgebete, saß am Runden Tisch gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Schließlich zog Gilde 1990 als Abgeordneter in den Potsdamer Landtag und er wurde Landrat des Kreises Wittstock. Es war eher Zufall, Gilde war der einzige, der sich überhaupt als damals noch parteiloser Kandidat für den Posten hat aufstellen lassen. „Wer so kritisch ist, wie ich und meine Geschwister, der muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Gilde im Rückblick. Vier seiner Geschwister sind in der Kommunalpolitik. „In die Politik zu gehen, war selbstverständlich für uns, wir wollten Arbeitsplätze retten, die Demokratie und den Rechtsstaat stärken.“ 1992 dann, als klar wurde, dass die Luftwaffe wie zuvor die Sowjetarmee das Bombodrom nutzen will, begann Gildes längster Kampf. Auch wenn heute von einer Bürgerbewegung gegen die Pläne des Militärs die Rede ist, den Anstoß gaben Gilde und mehrere Bürgermeister im August 1992 mit einer Demonstration im Örtchen Schweinrich, die schon von Gildes Verwaltung und den Bürgermeistern organisiert worden war. Gilde selbst war damals klar, dass es einer Bürgerbewegung bedarf. Tage nach der Demonstration wurde die „Freie Heide“ gegründet. Gilde war es auch, der Reiner Geulen aus Berlin als Anwalt für die Bombodrom-Gegner gewann.

Typisch für Gildes Art der Amtsführung ist auch einer der frühen Ansiedlungserfolge in der Region Wittstock. Gilde und dem Wittstocker Bürgernmeister Lutz Scheidemann (FDP) war es mitzuverdanken, dass heute am Autobahnkreuz Wittstock auf einem dieser typischen, überdimensionierten Gewerbegebiete zumindest ein sichtbarer Großinvestor angesiedelt ist: die schweizerische Kronotex, die in Heiligengrabe Laminatböden herstellt. Gilde und Scheidemann hatten direkt nach der Wiedervereinigung einem merkwürdigen Projekt eine Chance gegeben: In Wittstock wurde eine sogenannte Telestube eingerichtet. Neben einem Büroservice hatte die Stube eine telefonische Direktverbindung in die alten Bundesländer – damals ein Novum. Ohne Warte- und Anmeldezeiten konnten so auch die Investoren Kontakt halten – wenn auch nur über ein altes Armee-Feldtelefon. Für die Emissäre der Schweizer Investoren ein Grund für die Wittstock-Entscheidung. Gilde selbst sprach am Freitag über den „Ärger mit der Kronotex-Ansiedlung“ – es gab einige Widerstände. Heute arbeiten dort 1000 Menschen aus der gesamten Region rund um die Uhr. „Der Stress“, so Gilde, „hat sich gelohnt“.

Ab 1994 führte der fünffache Vater aus Dossow, einem Ortsteil von Wittstock, dann das Landratsamt des fusionierten Kreises Ostprignitz-Ruppin. In Potsdam wurde er seither als ministrabel gehandelt. Ein Angebot hat Gilde aber nie bekommen, er hätte es auch nicht angenommen. „Mein Job war hier, ich hatte genug zu tun, hier war ich näher bei den Menschen.“

Ganz so einfach war es aber nicht, besonders zum Ende seiner Dienstzeit. Da musste Gilde den Skandal um eine 50 000 Euro teure Geburtstagsfeier des regionalen Sparkassen-Chefs überstehen, auch die Rolle des Landratsamtes in der Affäre um verseuchtes Grundwasser in Neuruppin hat Gilde schwer belastet. „Das war im Finale schmerzlich für mich.“ Dabei wollte er sich doch aus allem raushalten, was anrüchig ist, gerade in der Kreisstadt Neuruppin, die wegen zahlreicher Korruptionsskandale für Schlagzeilen sorgte. „Ich habe mich da nie eingemischt“, sagte der Landrat. „Mir war immer wichtig, ganz transparent zu arbeiten und möglichst wenig in Hinterzimmern zu besprechen.“

Ganz wohl ist Gilde beim Gedanken an den Wechsel in den Ruhestand aber nicht, „das ist eine schmerzliche Veränderung“. Er bleibt aktiv, belegt seit kurzem einen Computerkurs für Einsteiger, wird etwa bei der von ihm selbst initiierten kommunalen Arbeitsgemeinschaft zur Zukunft des Bombodroms mitmachen, „die Einladung schicke ich selbst noch raus“. Auch Kuratoriumsmitglied im Kloster Stift zu Heiligengrabe will er bleiben. Und dann natürlich Gartenarbeit, Modellfliegerei und Angeln in Norwegen. „Langeweile wird nicht aufkommen“, sagt er.

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