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Vereint am rechten Rand. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke (r.) und Brandenburgs AfD-Vize Andreas Kalbitz.

© R. Hirschberger/dpa

Brandenburg: Viel blaue Soße

Hitler-Verharmlosung? Geschichtsklitterung? Im brandenburgischen Jüterbog haben die AfD-Anhänger offenbar andere Sorgen. Beim Bürgerdialog feiern sie Björn Höcke

Vor den gekippten Fenstern stehen sie, im Regen, und kommen mit ihren Gesichtern nah an die Scheibe – um wenigstens ein bisschen von dem zu verstehen, was drinnen gesprochen wird. Denn da sitzt Björn Höcke in einem schon viel zu vollen Saal, mit Bürgern aus der Region, 200 sind es wohl. „Ich möchte nicht, dass in Thüringen irgendwann Zustände herrschen wie in Berlin-Neukölln, Dortmund oder in Mannheim. Das ist kein Deutschland mehr, das ist kein Rechtsstaat mehr“, ruft er jetzt mit dröhnender Stimme. Applaus, „Jawohl“-Rufe aus dem Publikum. Björn Höcke, der besorgte Politiker.

Viel Aufsehen hat der thüringische AfD-Chef in letzter Zeit erregt, zuletzt, weil er im Verdacht steht, Hitler verharmlost zu haben. Im Streit um seinen Parteiausschluss zankte sich in den vergangenen Wochen die AfD, die Umfragewerte der Partei sinken. Schmälert all das Höckes Rückhalt bei seinen Anhängern? In Jüterbog in Brandenburg konnte man sich am Donnerstagabend eine Antwort darauf erhoffen. Dort fand in einem kleinen, rustikalen Landhotel der Bürgerdialog der brandenburgischen AfD statt – und die ist mit der thüringischen bekanntermaßen eng verbunden.

Höcke wird als Ehrengast an diesem Abend mit lauten „Höcke, Höcke, Höcke“-Rufen empfangen. Er registriert das mit einem feinen Lächeln – es ist eine Reaktion, die er bei Auftritten in den östlichen Bundesländern häufig hervorruft. Birgit Bessin und Andreas Kalbitz, die beiden Mitglieder der brandenburgischen AfD-Fraktion, die wie Höcke dem nationalistischen Flügel innerhalb der AfD angehören, wirken neben ihm auf dem Podium streckenweise wie Staffage. Der Star für die Gäste im Saal ist: Höcke.

Er versucht an diesem Abend, sich zurückzuhalten. Sich nicht wieder von der Stimmung davon tragen zu lassen. Die heiklen Themen: Erinnerungspolitik, Hitler – darüber spricht er nicht. Und man muss auch sagen, die Bürger interessiert es wohl auch nicht. In der Dialogrunde geht es um andere Fragen: Was hält Höcke von der Wehrpflicht? Wie genau will er die innere Sicherheit verbessern? Will er, dass Deutschland aus der EU austritt? Was hält er von der doppelten Staatsbürgerschaft?

Höckes Aussagen sind zwar stets nationalistisch, aber überschreiten hier in Jüterbog nicht die Grenze, die einen neuen Skandal auslösen würde. Höcke spielt etwa die Kosten für einen unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling gegen das aus, was „unsere Hartz-IV-Bezieher“ bekommen, spricht von einem Skandal und einer „menschenfeindlichen Verwaltung“. Höcke erregt sich auch über die von der AfD viel kritisierte „Frühsexualisierung“ an Schulen und sagt: „Wir wollen nicht, dass das natürliche Schamgefühl unserer Kinder zerstört wird. Hände weg von den Seelen unserer Kinder.“ Er beschimpft Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz als „Multikulturalisten“, sie würden Deutschland abschaffen wollen, eine unsoziale Politik gegen das eigene Volk betreiben. Deshalb empfiehlt Höcke – bei Jubel und tosendem Applaus – seiner Partei, „auf den Spuren von Trump zu wandeln und einen knallharten Anti-Establishment-Wahlkampf zu machen.“ Und er behauptet, den Deutschen werde das Recht auf Heimat genommen. Als Heimatpartei solle sich die Partei deshalb neu definieren.

Andreas Kalbitz nennt diese Partei neue soziale Heimatpartei, eine deutsche freilich. Denn im Bundestagswahlprogramm will die Partei jetzt ihre soziale Flanke stärken, länger Arbeitslosengeld, länger Hartz IV.

Kalbitz ist neben Höcke eine der wichtigsten Figuren in dem 2015 ins Leben gerufenen nationalistischen Flügel der AfD. Kalbitz sagt, die AfD sei der Stachel im Fleisch von Rot-Rot in Brandenburg. Sie markiere den Anfang vom Ende der etablierten Politik, sie sei die „konservative Konterrevolution gegen die links-rot-grün-versiffte 68er-Bewegung“, gegen die angeblichen Altparteien von der Linken bis zur CDU. Mehrfach machen Kalbitz und Birgit Bessin deutlich, dass Höcke in ihren Augen untrennbar mit der AfD zusammengehört. Zwischen der AfD in Thüringen und Brandenburg „passt kein Blatt“, sagt Kalbitz. Und wenn die AfD eine wirkliche Alternative sein will, werde sie das nur mit Höcke sein. Auch im Publikum sagen manche, ohne Björn Höcke wären sie gar nicht in der AfD. So steht der mögliche Parteiausschluss an diesem Abend im Raum, ohne konkret angesprochen zu werden. Die Botschaft ist klar: Hier hält man zu Höcke. Ein Gast sagt: Für Höcke würde ich 1000 Kilometer fahren, weil er wieder für Sauberkeit und Ordnung in Deutschland sorgen wird.

Aufschlussreich ist, welche Fragen aus dem Publikum Höcke an diesem Abend umschifft. Etwa, ob minderjährige Flüchtlinge und Hartz-IV-Kinder gleich viel Geld bekommen sollen. Stattdessen redet er über die hohe Reproduktionsrate in Afrika. Oder die Frage, ob die AfD ausländerfeindlich sei. Nein, sagt Höcke. Die AfD sei aber die einzige Partei, die „inländerfreundlich“ sei. Deshalb will die AfD jetzt eine negative Obergrenze für Zuwanderung. Jeder, der seit 2015 „illegal“ kam, soll wieder raus aus Deutschland. „Ich möchte eine deutsche Zukunft für meine Kinder“, sagte Höcke. Der Saal tobt. „Höcke, Höcke“-Rufe.

Aber auch ein paar Höcke-Gegner, die wohl die AfD nicht wählen würden, sind an diesem Abend gekommen – zum Zuhören. Nach den erneuten „Höcke“-Rufen wird es ihnen allerdings zu viel. Beim Rausgehen ruft einer noch: „Jetzt könnt ihr allein mit eurer braunen Soße weitermachen.“ Björn Höcke korrigiert lächelnd: „Blaue Soße.“

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