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Familienbande. Die Sechslinge aus Berlin werden im Oktober zehn Jahre alt. Ihr ein Jahr jüngerer Bruder (M.) ist immer mit dabei. Insgesamt hat die Familie Temiz acht Kinder. Das erfordert im Alltag gute Organisation.

© Annette Riedl/dpa

Brandenburg: Trubel hoch sechs plus zwei

Bei ihrer Geburt wogen die Berliner Sechslinge gerade einmal 800 bis 900 Gramm. Jetzt werden sie zehn Jahre alt

Berlin/München - Früher hatte sie Angst vor der Vorstellung, Zwillinge zu bekommen. Heute wären sie für Roksana Temiz ein Kinderspiel: Als die Berlinerin 2008 gesunde Sechslinge zur Welt brachte, war das eine medizinische Sensation und in Deutschland die erste Geburt dieser Art seit 20 Jahren. Zeynep, Esma, Ahmed, Adem, Rana und Zehra werden im Oktober zehn Jahre alt. Und auch die Ehe von Roksana und Hikmet Temiz hält noch – eine echte Herausforderung bei insgesamt acht Kindern. „Sie sind unsere Aufgabe“, sagt die 34-jährige Mutter, die auch Tochter Meryem (14) und Sohn Malik-Mussa (8) zu ihrer Kinderschar zählt.

Ihre 115 Quadratmeter in Berlin-Britz haben sie im April gegen ein 140-Quadratmeter-Haus in Lichtenrade getauscht – noch immer nicht übermäßig viel Fläche. „Aber wir haben jetzt auch einen großen Garten“, freut sich Roskana Temiz.

Stress? Chaos? Die Achtfachmutter hat Familie und Haushalt augenscheinlich im Griff und ist selbst schick gekleidet und geschminkt. „Wir Frauen können alles gut kaschieren“, sagt die konvertierte Muslimin schmunzelnd und steckt mit geübtem Griff ihr Kopftuch noch einmal fest. „Ordnung und Struktur sind das Wichtigste“, sagt sie. Nur so gelinge es, alles am Laufen zu halten.

Trotz kaputter Waschmaschine achtet sie darauf, dass die Wäscheberge nicht überhandnehmen. „Ich bin gerade Stammkundin in einem Waschsalon, wo ich auch schon mal die 16-Kilo-Maschine nutze.“ Auch ein großer Esstisch fehlt noch, aber irgendwie funktionierten die gemeinsamen Mahlzeiten trotzdem, so die Mutter. Das Kochen für zehn sei unproblematisch. „Die Kinder essen zum Glück alles, Extrawürste gibt es nicht“, so Temiz.

„Je größer, desto besser organisiert sind Familien meistens“, weiß Jana Cuvrk vom „ABC-Club“. Der Verein unterstützt bundesweit Familien mit Mehrlingen ab Drillingen aufwärts und zeigt ihnen, wo sie Hilfen bekommen können. Roksana Temiz und ihr türkischstämmiger Mann hätten sich auch mehr Hilfe gewünscht. Andere Sechslingseltern zum Austausch gab es nicht. „Heute fühle ich mich so wie ein Coach und gebe Mehrlingsmüttern gern Tipps“, sagt Temiz. Bei Instagram veröffentlicht sie unter „berliner_sechslinge“ für mehr als 40 000 Abonnenten Bilder, steht im Austausch mit anderen Müttern, bekommt Anerkennung.

„Früher war das Wickeln, Füttern, An- und Ausziehen Fließbandarbeit, die eher körperlich anstrengend war“, erzählt sie. Jetzt seien die Kinder eher eine psychische Herausforderung. „Alle sind ganz unterschiedliche Charaktere und streiten sich wie andere Kinder auch - gern und viel“, so Temiz. Das Hauptthema sei gerade die Schule. Da die Kinder Frühchen seien, bräuchten sie für verschiedene Dinge länger. Ihre geistige Entwicklung sei aber insgesamt in der Norm.

Eine Ärztin empfahl, einige der Föten im Bauch zu töten, um andere zu retten. „Ich hätte das nicht übers Herz gebracht“, so Temiz, die sich zuvor einer Hormonbehandlung unterzogen hatte. Ein Arzt an der Charité habe ihr auch die Möglichkeit genannt, dass die Kinder auch gesund sein können. „Wenn ich ihn heute noch treffe, fragt er aber zuerst nach meiner Ehe“, erzählt Temiz lachend. Während viele Beziehungen schon nach einem oder dem zweiten Kind zerbrächen, hätten die Sechslinge sie und ihren Mann näher zusammengeschweißt. Hikmet gab seinen Job als Entrümpler nach der Geburt auf, um zu helfen.

Auf die Beratung von Mehrlingsfamilien hat sich die Münchner Familientherapeutin Kathrin Weber bei Pro Familia spezialisiert. Sie sieht eine der größten Aufgaben darin, die Kinder auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten. „Sie brauchen Exklusivzeiten und Freiräume, um sich individuell entwickeln zu können“, so die Psychotherapeutin.

Roskana Temiz bedauert, dass sie ihren Kindern solche Exklusivzeiten nicht bieten kann. Sie hofft aber, dass sich das durch einen Wechsel von einer Ganztags- in eine Halbtagsschule ändert. Dann könne jedes Kind abwechselnd früher nach Hause kommen und die Zeit mit den Eltern genießen, während die anderen im Hort sind. Anja Sokolow (dpa)

Anja Sokolow (dpa)

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