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Brandenburg: Torben P.: „Meine Tat ist eine Schweinerei“

Beim Prozessauftakt gesteht der 18-Jährige. An vieles will er sich aber nicht erinnern können

Berlin - Der Schläger kommt wieder zu sich, als er im Schwitzkasten steckt. Sein Ohrstecker ist abgerissen, drückt ihm in den Hals. Er hat Angst, sagt er. „Gib ihm Bomben.“ Dann geht sein Freund auf den Mann los, der zur Hilfe geeilt war.„Ich dachte, die wollten uns fertig machen. Wir liefen um unser Leben. In meiner Vorstellung waren die Rollen von Angreifer und Angegriffenem vertauscht.“

Auch so kann einer reden, der wegen versuchten Totschlags angeklagt ist, weil er einem Wehrlosen viermal auf den Kopf trat, dem 29-jährigen Installateur Markus P. In seiner Vorstellung: eine Verwechslung. Torben P., Schüler, 18 Jahre alt. Die Bilder seiner Tat am 23. April auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße erreichten eine Millionenauflage und sind ein Dauerbrenner unter den Netzvideos. Sie lösten eine Debatte über Jugendgewalt aus und Kritik an einer laschen Justiz, die so einen von der Untersuchungshaft verschont. Jetzt sitzt der junge Mann in gebügeltem Hemd auf der Anklagebank des Schwurgerichtssaals im Moabiter Kriminalgericht, neben ihm sein Kumpel Nico A., mitangeklagt wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung.

Torben blickt auf seinen Zettel. Kann sich minutiös an den Tag erinnern, was man trank, wo man feierte, mit wem man quatschte. Er spricht in klaren Sätzen und wählt seine Worte. „Meine Tat ist eine Schweinerei und durch nichts zu entschuldigen“, sagt er. Torben P. entschuldigt sich und übernimmt die Verantwortung. Manchmal schluckt er und stockt. Nur etwas fehlt, ist verschwunden, war nie da, jedenfalls nicht in seinem Bewusstsein: die Sekunden der Tat. „Vielleicht meinte ich, mich verteidigen zu müssen. Nur so kann ich mir erklären, warum ich auf einen hilflosen Menschen eingetreten habe.“

Die Bilder, die Torben im Gedächtnis fehlen, haben dafür Überwachungskameras aufgezeichnet, jetzt flimmern sie durch den Gerichtssaal. Und für die Staatsanwaltschaft belegen sie den Tötungsvorsatz. Die Angeklagten hätten zunächst eine „verbale Auseinandersetzung“ provoziert, sagt Staatsanwältin Katrin Faust. Es hätten sich „gegenseitige Handgreiflichkeiten entwickelt“, dann hätte Torben P. seinem Opfer mit einer 1,5-Liter-Hartplastikflasche in Gesicht geschlagen. Dem Reglosen versetzte er Tritte, „wobei diese jeweils weit ausholend und von oben herab geführt wurden“. Ein „äußerst brutales und rücksichtsloses Vorgehen“, bei dem der Angeklagte den Tod seines Opfers billigend in Kauf genommen habe.

Torben P. liest seine vorbereitete Erklärung vor, über eine halbe Stunde lang. „Die Vorwürfe treffen zu. Ich kann und möchte mich nicht rechtfertigen. Ich habe keine Erklärung gefunden.“ Dann berichtet er von zu Hause, seinen Eltern, die beide schwer erkrankt und Frührentner seien. „Meine Kindheit kann man als normal bezeichnen, aber auch als ungewöhnlich“. Der Junge mit Gymnasialempfehlung errang bald Erfolge im Kanu, ging auf ein Sportinternat, wo er mit Abstand der Jüngste gewesen sei. Er wollte wieder weg, seine Eltern ließen es erst zu, sagt er, als er sich mit einem Messer selbst verletzt habe. Dann sackten die Noten ab, wieder ein Schulwechsel, aber Torben P. sagt, er sei schnell besser geworden. Jetzt, nach der Tat, müsse er wieder auf eine andere Schule, er zöge mit den Eltern fort, man kenne seine Adresse, er werde bedroht. „Die Polizei nimmt das ernst.“

Die Bilder haben Macht. Sie haben die Öffentlichkeit beeindruckt und empört. Jetzt werden sie auch über Torben P.s Zukunft entscheiden. Mehrere Kameras im neonbeleuchteten Bahnhof fangen die Szenen ein, das Imponier- und Aggressionsgehabe, die Rangelei, schließlich den Gewaltausbruch. Der Täter scheint sie in seinem Gewaltrausch nicht zu bemerken. Kein Blick verrät, dass er sich darüber Gedanken macht, beobachtet, später womöglich erkannt zu werden. Nur mit seinem Tänzeln, wie das eines Boxers oder Kampfsportlers nach dem K.o.-Schlag, deutet er an, dass er sich als Protagonist sieht, dass ein Film abläuft, mag es auch nur der im eigenen alkoholisierten Schädel sein. In diesen Sekunden präpotenter Siegesfreude scheint es, als fühle sich der junge Mann von Kraft und seltener Großartigkeit durchströmt. Eine furchterregende Szene.

Torben P. stellt sich selbst: Ein Spross aus „gutem Haus“, Juristensohn, Oberschüler, funktionierende Familie, ein künftiger Abiturient, der Arzt werden will oder Anwalt. Wochen später tauchen neue Bilder auf. Sie zeigen, wie sich der Geschädigte am U-Bahnhof auf den Händel einlässt, wie er aufsteht und rangelt. Warum hat die Staatsanwaltschaft, diese zur Neutralität verpflichtete Behörde, nicht über die den mutmaßlichen Täter begünstigenden Umstände informiert?

Wieder ist die Justiz in der Kritik. In der Presse werden Vergleiche zum „S-Bahn-Helden“ von München, Dominik Brunner, gezogen. Hier hatten die Ankläger es für unnötig gehalten, zu berichten, dass unmittelbare Todesursache nicht die heillosen Prügel eines ausgerasteten Jugendlichen waren, sondern Brunners Herz versagte. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger sprach nun auch davon, die Vorgeschichte sei verheimlicht worden, der Geschädigte sei mitursächlich für die spätere Eskalation. Die Behörden – und auch Markus P. - weisen die Vorwürfe von sich.

Rangelei? Oder Angriff? Torben erzählt, wie man in der Stadt etwas habe erleben und eine Geburtstagsparty besuchen wollen, mit reichlich Alkohol im Gepäck. Eine Freundin feierte, es gab afrikanisches Essen, das dem Vegetarier „sehr gut gemundet hat“. Dazu reichlich Weinbrand, Wodka, Cola. Nachts zog er noch mit seinem Freund durch die Straßen – „für uns war der Abend zu Ende“ – bis zu jener verhängnisvollen Begegnung.

Deutlich wird der Anwalt von Nico A., Thorsten Bieber, zu der Szene auf der Wartebank, auf der der Streit begann. Dort saßen außen eine Zeugin und das spätere Opfer, auf die Innenplätze setzten sich Torben und Nico. „Mein Mandant hat sich um einen hilflosen Betrunkenen kümmern wollen. Dann steht Markus P. auf und macht eine Armbewegung. Das war der erste körperliche Angriff.“

Eine ganz andere Interpretation bietet Elke Zipperer, die Anwältin des Nebenklägers. Sie spricht von einem „Distanzbruch“ durch den Angeklagten, der Markus P. erst herausgefordert habe. Auf den Bildern sieht man, wie Markus P. aufsteht und kurz darauf Torben P. aufspringt und sich förmlich aufplustert. Auch die Staatsanwaltschaft spricht von einem „mehraktigen Geschehen“. Tatsächlich sieht man auf den Videos auch, wie Markus P. auf Torben P. zugeht und schubst.

Es deutet sich keine leichte Aufgabe an für Richter Uwe Nötzel, der in Moabit als abgewogener, fairer, zuweilen auch harter Richter bekannt ist. Einen Vorzug, den er zu haben scheint, ist eine gewisse Medienimmunität, er sei niemand, der sich von der öffentlichen Meinung beeindrucken lässt, heißt es. Am ersten Prozesstag machen seine Fragen deutlich, dass er Torben P. seine Geschichte vom Gedächtnisverlust nicht ohne weiteres abkaufen wird. Er will wissen, was im Kopf des Heranwachsenden vorging, als er auf sein Opfer eintrat. Nur dann kann er entscheiden, ob es ein Tötungsversuch war oder doch nur eine Körperverletzung. Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt.

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