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Bremsen für die Luft. Auf der Leipziger Straße gilt seit Montag ein Tempolimit. Die Behörden haben angekündigt, dieses auch zu kontrollieren.

© Lisa Ducret/dpa

Tempo 30 in Berlin: Langsam am Limit

Auf der Leipziger Straße in Berlin gilt jetzt Tempo 30. Verbessert sich die Luft dadurch nicht, drohen Fahrverbote.

Berlin – Gerade als Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) die neue 30er-Zone an der Leipziger Straße eröffnet hat, donnert ein Lastwagen viel zu schnell an der Ecke Mauerstraße vorbei. „Dauert wohl noch’n bisschen, bis sich die Verkehrsteilnehmer daran gewöhnen“, sagt ein Mitarbeiter der Politikerin und lacht. Dauert wohl noch ein bisschen – so lässt sich der erste Tag des Tempo-30-Pilotprojektes zusammenfassen.

Seit Montagmorgen gilt auf der Leipziger Straße von der Markgrafenstraße bis zum Potsdamer Platz Tempo 30. Dadurch soll die hohe Belastung mit Stickstoffdioxid auf der vierspurigen Straße deutlich verringert werden. Auf ein Jahr ist das Pilotprojekt des Senats angelegt, wenn es nicht wirkt, sollen Fahrverbote kommen, sagte Günther: „Keiner möchte das, aber wir müssen die Gesundheit der Menschen schützen.“ Ihr Ressort entwickle bereits entsprechende Modelle.

Durchschnittlich 63 Mikrogramm des gesundheitsschädlichen Gases hat die mobile Station im Jahr 2017 pro Kubikmeter gemessen, die an der Ecke Mauerstraße steht. Viel zu viel: Der zulässige EU-Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm. Bis zum Beginn der Sommerferien folgen vier weitere Hauptstraßen, auf denen der Senat eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Stundenkilometern einführen will: Potsdamer Straße und Hauptstraße in Schöneberg, Tempelhofer Damm (zwischen Alt-Tempelhof und Ordensmeisterstraße) und Kantstraße (Charlottenburg, zwischen Amtsgerichts- und Savignyplatz) mit zusammen 7,3 Kilometern Länge. Damit auch der Stop-and-go-Verkehr abnimmt, passt die Stadt die Ampelschaltungen an – auf der Leipziger Straße ist das bereits geschehen.

„Berlin ist schwer belastet durch Stickstoffdioxid“, sagte Günther zum Start. „Deshalb gilt hier jetzt Tempo 30.“ Nicht zum ersten Mal: Vor mehr als zehn Jahren, im November 2007, begrenzte die Stadt die Geschwindigkeit in der Leipziger Straße schon einmal auf 30 Stundenkilometer. Ohne messbaren Erfolg: Autofahrer reagierten genervt, nach einem Monat galt wieder Tempo 50.

Ob das diesmal anders ist? Thomas Seidel betreibt ein Gewerbe an der Straße und hält nichts vom Pilotprojekt: „Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Autofahrer daran halten“, sagte er. „Das ist doch Symbolpolitik. Heute morgen war hier Stau wie immer.“ Seidel wünscht sich bessere Umfahrungsmöglichkeiten für den Schwerlastverkehr und bessere Verhältnisse für Radfahrer. „Wer will denn hier zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein?“, fragte er. „Hier hat sich doch überhaupt nichts geändert.“

Anwohnerin Annette Bönisch, die sich in der Interessengemeinschaft Leipziger Straße engagiert, ist optimistischer: „Das ist ein erster Schritt, und ich finde es gut, dass man sich der Belastung und des Lärms hier annimmt“, sagte sie. An trockenen Tagen müsse sie nur kurz die Fenster öffnen, schon lege sich aufgewirbelter Straßenstaub auf ihren Fensterbänken ab. „Wenn man ständig in diesem Mief wohnt, kann man gar nicht mehr lüften“, sagte sie. „Das Tempolimit kann nicht die einzige Maßnahme bleiben.“

Ähnlich sieht es Werner Graf, Vorsitzender der Berliner Grünen: „Die Testphase ist ein wichtiger erster Schritt, um endlich gegen die permanente Gesundheitsbelastung auf unseren Straßen vorzugehen. Langfristig wird das aber nicht reichen. Auch Fahrverbote werden für uns kein Tabu sein.“

Das sieht Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, anders: „Mit Tempo 30 in der Leipziger tritt die Senatorin ideologisch auf die Bremse, ohne dass sich damit das Luftverschmutzungsproblem nachhaltig lösen lässt.“ Als Alternative schlägt Friederici grüne Wellen auf allen Hauptstraßen, das Vermeiden von Staus vor Baustellen und des Parkens in zweiter Reihe vor. „Rot-Rot-Grün setzt den Kulturkampf gegen das Auto und den Wirtschaftsverkehr fort.“ Kritisch äußerte sich auch der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Frank Scholtysek: Das Tempolimit sei purer Aktionismus, er fürchte dadurch „erhebliche Behinderungen des für Berlin lebenswichtigen Wirtschaftsverkehrs“.

Damit das Tempolimit auch eingehalten wird, soll es mobile Blitzeranlagen und Verkehrskontrollen geben. „Ich werde aber nicht sagen, wann und wo wir kontrollieren“, sagte Senatorin Günther. Sie setze auch auf die Einsicht der Verkehrsteilnehmer: Unter den neuen 30er-Schildern sind jeweils Plaketten mit der Aufschrift „Luftreinhaltung“ angebracht. „Ich glaube an die Vernunft der Berliner“, sagte Günther.

Max Polonyi

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