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Brandenburg: Schwedt Kein Wiedersehen in

Einst war Ibraimo Alberto in Schwedt ein gefeierter Boxer. 2011 floh er vor Neonazis nach Karlsruhe. Jetzt hat er ein Buch geschrieben

Von Matthias Matern

Mit dem Kapitel Schwedt hat Ibraimo Alberto endgültig abgeschlossen. „Da will ich nie mehr hin“, sagt der 51-jährige schwarze Deutsche mit mosambikanischen Wurzeln. Rund 20 Jahre hat Alberto in der uckermärkischen Industriestadt an der Oder gelebt, hat dort nach der Wende als Ausländerbauftragter den verunsicherten Behörden geholfen, mit der Flut von Flüchtlingen aus dem gleichzeitig zusammenbrechenden Jugoslawien umzugehen. Er heiratete in Schwedt, zog dort Kinder groß, ließ sich als Boxchampion feiern – bis er die alltäglichen fremdenfeindlichen Beleidigungen und Angriffe gegen sich und seine Kinder nicht mehr ertragen konnte und 2011 nach Karlsruhe ins innerdeutsche Asyl ging. Die Erinnergungen an seine Zeit in Schwedt hat er nun in einem Buch über sein Leben verarbeitet. „Ich wollte leben wie die Götter – Was in Deutschland aus meinen afrikanischen Träumen wurde“ ist Anfang April bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Nicht mal vorstellen will Ibraimo Alberto sein Buch in Schwedt.

Nach Deutschland kam Alberto allerdings schon weit vor seiner Zeit an der Oder. Bereits 1981 bietet sich dem jungen Mosambikaner die Chance eines Studiums im sozialistischen Bruderstaat DDR. Doch statt lernen muss Alberto schuften: Schon am Flughafen wird er in ein Fleischkombinat abkommandiert, er darf sich im Land nicht frei bewegen, auch nicht heiraten. Doch Alberto boxt sich nach oben – im wahrsten Sinne: Er macht Karriere in einem Ostberliner Boxverein. Schon in der DDR sieht er sich rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Als sich im Sog der Ereignisse alles um ihn herum aufzulösen scheint, die Verantwortlichen des Kombinats 1990 beschlossen, die Ausländer müssten nun schleunigst das Land verlassen, zieht Alberto voller Optimismus 1991 einer gerade aufblühenden Liebe wegen nach Schwedt. Doch seine Hoffnung auf einen Job in der Betriebsküche der PCK Raffenerie löste sich in Nichts auf. „Erst kam der Einstellungsstopp, dann die Kurzarbeit, dann Massenentlassungen. Hatte meine Zukunft eben noch rosig ausgesehen, war in wenigen Wochen alles anders geworden. Man brauchte keine Fleischer in der Küche mehr. Ich war arbeitslos“, schreibt er in seinem Buch.

Immer wieder unterbrochen wird die Chronologie seiner Lebensgeschichte von der Schilderung eines Besuches in seiner alten Heimat im August 2013. Dort sucht er den Mann, dem er als Einziger aus seinem Dorf entwischen konnte, seinem sogenannten Patron, damals Gebieter über 80 Menschenleben. Denn aufgewachsen ist Alberto als eines von zwölf Kindern eines Medizinmannes im tiefsten Dschungel – auf einer portugiesischen Sklavenfarm. „Er schwängerte alle Frauen, auf die er Lust hatte, und bestimmte über unser Leben und unseren Tod“, schildert er im Buch seine Erinnerungen an Antonio Ferreira. Bewegend ist auch die Erinnerung an das Massaker von Nyazonia, das er 1977 nur durch einen Sprung ins Ungewisse überlebte. Oder: der Tod seines Freundes Chingore, den er hautnah miterlebte. „Auf einmal fuhr der riesige Kopf eines Krokodils aus den Fluten, packte Chingore und riss ihn vor unseren entsetzten Augen mit sich. Ich sah nur noch einen aufgewühlten Wasserstrudel, der sich blutrot färbte. Wir Kinder schrien aus Leibeskräften, und von überall kamen Männer und Frauen gelaufen. Einige hatten Speere und Bogen mit, doch Krokodile auf der Jagd lassen sich selten übertölpeln. Meistens bekam man sie dann tagelang nicht mehr zu Gesicht, und das war auch hier der Fall. Wir haben Chingore nie mehr gesehen, und die Trauer war groß.“

Im Vergleich zu den dramatischen Berichten aus Albertos Kindheit und frühen Jugend wirken die unblutigen Erinnerungen an seine Nachwendezeit in Schwedt erschreckend vertraut, wie einer der zahllosen Zeitungsberichte über fremdenfeindliche Übergriffe in der deutschen Provinz – zumindest anfangs. Erst durch Albertos Schilderung der permanten, fast täglich erlebten Bedrohung wird klar, warum die rund 20 Jahre einen so tiefen Eindruck auf ihn hinterlassen haben. „Die Erinnerung war sehr schmerzhaft, aber hinterher war es eine Befreiung“, berichtet Alberto von dem emotionalen Prozess des Schreibens.

Seine Flucht vor drei Jahren hatte auch weit über Brandenburgs Grenzen für Aufmerksamkeit gesorgt. Immer wieder schildert Alberto wie er sich – in Teilen der Schwedter Gesellschaft offenbar längst etabliert – lange Zeit gegen den Entschluss gewehrt hat. Doch immer schneller aufeinander folgten die Beleidungen und Drohungen. Das ein oder andere Mal schützte ihn sein Ruf als ehemaliger Profiboxer. Lange kämpfte er für den „Chemie PCK Schwedt“ in der Bundesliga. „Die Faust des Skinheads stieß nach vorne. Ich pendelte sie aus und schlug ihm auf den Solarplexus. Ich wollte ihn nur stoppen, nicht verletzen. Keuchend ging er in die Knie. Noch gab es seine Kumpane, gegen diese Überzahl hätte ich keine Chance gehabt. Doch wie so oft, wenn einer von ihnen Prügel bezog, gaben die anderen klein bei“, schildert er ein Zusammentreffen aus den letzten Schwedter Tagen.

Letztlich ausschlaggebend für seine Entscheidung, Schwedt zu verlassen, war eine Todesdrohung gegen seinen damals 17-jährigen Sohn. Im März 2011 wird erst sein Sohn, dann er selbst nach einem Fußballspiel von einem Gegenspieler verbal attackiert. Worte wie „Negerhurensohn“ und „ich schlage dich tot“ fallen. Ibraimo Alberto, der erst drei Jahre zuvor vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der ehemaligen Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, für seine Intergrationsbemühungen in Schwedt mit dem Preis „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet wurde, zieht die Reißleine.

Selbst sagt Alberto heute, dass er die Schwedter Zeit „fast alles emotional“ verarbeitet hat. Daniel Bachmann, der ihm als erfahrener Ghostwriter beim Schreiben des Buches geholfen hat, hat einen anderen Eindruck: „Dass er am Ende gehen musste, ist für Ihn eine Niederlage, wie ein K.o.“ Mehr als 80 Stunden hat Bachmann Alberto interviewt, ist mit ihm außerdem nach Mosambik geflogen.

Zurzeit arbeitet Ibraimo Alberto in Karlsruhe in einer Reha-Einrichtung mit Schwerbehinderten, darüber hinaus engagiert er sich ehrenamtlich in der Jugendhilfe der Stadt und er hat einen deutsch-mosambikanischen Verein gegründet, der die Intergration fördern soll. „Mir geht es heute persönlich so gut wie noch nie“, sagt er. Nach Schwedt hat er so gut wie keinen Kontakt mehr, war seit 2011 auch nicht mehr in der Stadt. Sogar sein langjähriger Boxtrainer und enger Vertrauter Ernst Urban reagiert nicht mehr auf seine Kontaktversuche. „Das ist sehr enttäuschend“, sagt Alberto.

Eine Abrechnung mit Schwedt ist das Buch trotzdem nicht. Immer wieder erzählt er von engagierten Menschen, die ihm sehr geholfen und positiv beeindruckt haben – aber auch von denen, die lieber schnell wegguckten, sowohl bei den Behörden als auch der Polizei. „Ich werfe nicht alle in einen Topf. Aber es ist traurig, dass so viele immer nur geschwiegen haben“, sagt Alberto mit Verbitterung.

Ibraimo Alberto: Ich wollte leben wie die Götter – Was in Deutschland aus meinen afrikanischen Träumen wurde.

Biografie. Verlag. Köln 2014. 256 Seiten. 14,99 Euro

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