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Ohne Siegel. Ob der Schuldschein überhaupt noch gilt, ist umstritten.

© dapd

Brandenburg: Schulden holen einen immer wieder ein

Ein 450 Jahre alter Schuldschein macht Furore / 1562 lieh die Kleinstadt Mittenwalde Berlin 400 Gulden

Mittenwalde - Mittenwalde könnte reich sein. Nicht, dass es dem 8 200-Einwohner-Ort im Landkreis Dahme-Spreewald schlecht geht. „Wir haben keine Schulden und der Haushalt ist ausgeglichen“, sagt Bürgermeister Uwe Pfeiffer (CDU). Zahlreiche Logistik- und Speditionsfirmen sind in Mittenwalde angesiedelt, quasi als wirtschaftliches Erbe der einstigen Handelsstadt. Mit 14 Millionen Euro kann die Kleinstadt im Süden Brandenburgs in diesem Jahr wirtschaften. Doch es könnten etliche Millionen mehr sein, da die Stadt Berlin Mittenwalde möglicherweise einen dreistelligen Millionen-Betrag plus Zinsen schuldet. Dank Bürgermeister Pfeiffer ist inzwischen weltweit bekannt, dass Berlin nicht nur „arm, aber sexy ist“, sondern bislang unbekannte Außenstände von historischem Ausmaß hat.

1562 war es, als sich die damalige Doppelstadt Berlin-Cölln von Mittenwalde 400 goldene Gulden lieh. Eine Kopie des Schuldscheins hängt im Zimmer des Rathauschefs. Die Lage der einstigen Handelsstadt an einer mittelalterlichen Salzstraße hatte Mittenwalde vor Jahrhunderten so reich gemacht, dass sie Berlin-Cölln und dessen verschwenderischem Kurfürsten Geld leihen konnte. Als am 28. Mai diesen Jahres die Unterschriften auf dem Schuldschein 450 Jahre alt wurden, machte Pfeiffer die noch immer offene Rückforderung publik. Sogar die russische „Prawda“ habe darüber geschrieben, erzählt Pfeiffer. Journalisten hätten aus Helsinki und Übersee angerufen. Auch die deutsche Ausgabe der „Financial Times“ widmete dem einstigen Darlehensgeschäft einen Beitrag.

In der Debatte geht es vor allem um die Frage, ob der Schuldschein überhaupt noch gültig ist. Immerhin fehlt dem Original, behutsam aufbewahrt im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, das Siegel. Ein Makel, den Berlin bis heute als Argument für die Ungültigkeit des Dokuments anführt. Doch in der „Financial Times Deutschland“ bemerkt Hauptarchiv-Leiter Falko Neininger, dass der Verlust des Siegels im Laufe der Jahrhunderte nicht ungewöhnlich und dies kein Beleg für Ungültigkeit des Papieres sei. „Ist doch eine interessante Aussage“, befindet Bürgermeister Pfeiffer.

Auch Juristen haben sich zur Frage der Bestandskraft des Vertrages zu Wort gemeldet. Immerhin meinte der Direktor des Münsteraner Instituts für Rechtsgeschichte, Peter Oestmann, dass alte Verträge oder Forderungen durchaus bindend seien. Andere Rechtsexperten indes halten die Ansprüche für verjährt. Und Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) sagt lediglich: „Der Fall zeigt, dass Schulden einen immer wieder einholen, egal wie alt sie sind“.

Wirklich einklagen wird Mittenwalde die Schuld aber nicht. „Bei dem Streitwert würden nur Anwälte und Gerichte verdienen“, so Pfeiffer. Nicht, dass es die Mittenwalder in der Vergangenheit unversucht gelassen hätten, ihr Geld einzutreiben. So soll 1820 das „Teltower Kreisblatt“ von einem erfolglosen Bemühen der Stadtväter geschrieben haben, vom Berliner Magistrat die Außenstände einzufordern.

Laut Pfeiffer wurde auch in den 1960er Jahren über eine Klage nachgedacht. Ein solches Vorgehen sei jedoch von der DDR-Volkskammer abgelehnt worden. Und als Pfeiffer 1990 erstmals zum Mittenwalder Bürgermeister gewählt wurde, traf er sich mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU). Der hievte symbolisch eine Attrappe des Brandenburger Tors auf einen Bollerwagen, Pfeiffer schulterte eine Nachbildung des Berliner Fernsehturms und beide schleppten die Wahrzeichen der Hauptstadt in die Ortsmitte von Mittenwalde.

Eine weitere symbolische Geste als Zeichen, dass Berlin die Schuldenfrage nicht völlig von sich weist, gab es erst vor wenigen Wochen. Ende Mai überreichte Finanzsenator Nußbaum einer Mittenwalder Delegation im Münzkabinett des Berliner Bode-Museums einen Gulden aus dem Jahr 1539. „Als sechswöchige Leihgabe für unser Heimatmuseum“, sagt Pfeiffer und fügt hinzu: „Natürlich haben wir die Münze wieder zurückgegeben. Sie war ja nur geliehen.“ Peter Könnicke

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