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In Dauerproduktion. Heinz Rudolf Kunze hat gerade seine 36. Platte veröffentlicht. Im August hat sein Musical „Wie es euch gefällt“ Premiere.

© Thilo Rückeis

Brandenburg: Schicksalsstimme

Sein Bühnenjubiläum feierte Heinz Rudolf Kunze in Berlin, der Erfolg kam aber erst später

Zufall? Absicht? Wer weiß das schon. Am Anfang der Karriere von Heinz Rudolf Kunze stand jedenfalls ein Auftritt im Schwarzen Café in der Kantstraße im Berliner Viertel Charlottenburg. Das war 1978. An seiner Seite spielte ein befreundeter Physikstudent. Im Publikum saßen lediglich drei zahlende Perser, die geklatscht haben und ihm irgendwann auf Englisch signalisierten, dass sie von den deutschen Liedern zwar kein Wort verstanden, das Konzert aber trotzdem toll fanden. Sein 40-jähriges Bühnenjubiläum feiert Kunze, der damals Germanistik und Philosophie studierte, also erst in drei Jahren.

Ausgerechnet am Schicksalstag der Deutschen, nämlich am 9. November, entschied sich 1980 sein eigenes Schicksal. Bei einem Nachwuchsfestival im Stadttheater in Würzburg gewann er einen Preis, fiel den Plattenfirmen auf, denen es gut wie selten ging. „Das war meine letzte Chance. Sonst wäre ich wohl an der Uni Germanist geworden.“ Einen seiner ersten großen Auftritte hatte er dann 1981 im Charlottenburger Kant-Kino.

Die Berufung zum Musiker hat er freilich viel früher erlebt: Heinz Rudolf Kunze hat schon als Junge gern Musik gemacht. Und dann kam das Konzert von der Band The Who, das er im September 1970 in Münster besuchte. Ein Erweckungserlebnis, für ihn war fortan klar: „Das will ich machen in meinem Leben.“ Schicksal? Könnte sein, denn Heinz Rudolf Kunze fasst den Begriff nicht so eng, wie das üblicherweise im Deutschen getan wird, „nicht so dräuend, wagnerianisch“. Für ihn ist Schicksal auch Geschick, Fügung, etwas, das sehr positiv, auch lustig sein kann. Natürlich kann er sich an die Schicksalsmelodie aus „Love Story“ erinnern. Den Film, der damals Furore machte, hat er im Kino gesehen.

„Schöne Grüße vom Schicksal“ lautet der Titel seines neuen Albums, das am 4. Mai erscheint. „Das Schicksal hat nicht nur Pfeile, die wehtun, im Köcher.“ Klischees mag er gar nicht, Deutschrocker, Liedermacher, alles nicht seins. Gefragt, als was er sich selber eigentlich sieht, antwortet er prompt: „Elektrischer Erzähler.“

Der Tiefgang seiner Lieder ist nicht nur auf das Philosophiestudium zurückzuführen. Er bezeichnet sich als „Sympathisant vom lieben Gott“ und legt Wert auf die Feststellung, „kein reinrassiger Materialist“ zu sein. Ein Theologiestudium hätte ihn auch gereizt. Zwei seiner besten Freunde sind Pfarrer geworden. Polizisten, Lehrer, Bundeswehrsoldaten, Verkäuferinnen und Jungchristen unter anderem zählt er zu seinen Fans. Letztere erleben ihn auch mal auf Kirchentagen. Seine eigenen Kinder sind schon groß, aber er genießt es, für Vorschulkinder zu singen: „Die sind so konzentriert.“ Das findet er ganz niedlich. Drei Kinderbücher hat er geschrieben, das vierte ist praktisch schon fertig.

Wie erkennt man, wenn das Schicksal einem etwas sagen will? „Offen sein für das, was draußen so durch die Luft fliegt, es zulassen, sich drauf einlassen“, rät er. Diese Eigenschaft braucht man schließlich auch zum Schreiben. Das neue Album ist schon die Nummer 36, aber das erste bei seiner neuen Plattenfirma Electrola. Privat hört er gerade am liebsten Jazz, zu Hause arbeitet er sich durch das Gesamtwerk von Béla Bartók. Ungefähr 40 000 Tonträger besitzt er: „Ich bin halt ein richtiger Sammler.“ Bereitwillig bekennt er sich dazu, fanatischer Botho-Strauß-Fan zu sein.

„Wer immer mit dem Schlimmsten rechnet, kann nicht so oft enttäuscht werden.“ Das ist seine Lebensphilosophie, mit der es sich dem Schicksal, egal in welcher Gestalt es auftritt, gut begegnen lässt. Neben seinen 460 Liedern hat er geschätzt 1500 literarische Texte veröffentlicht. Im August hat das Musical „Wie es euch gefällt“ Premiere, das er gemeinsam mit Heiner Lürig geschrieben hat. Im Studio bastelt er gern an den Chören. „Die singe ich auch mal liebsten allein.“ Eine Weile hat er gelehrt, wie man Pop-Songs schreibt, aber das war ihm am Ende zu zeitaufwendig.

Angst vor der Bühne hatte er nie. Die Zuhörer bei Solo-Auftritten kennen ihn ja, die anderen muss er eben gewinnen. Zu viele Illusionen macht er sich nicht, hält es mit Pete Townsend, der sagte, nach dem dritten Album wollen die Leute immer die ersten drei Alben hören. „Dein ist mein ganzes Herz“, klar, seinen größten Hit singen die Leute gern mit. Die größte Zeit der Pop-Musik waren für ihn die 70er-Jahre. „So vieles wird heute noch im Radio gespielt.“

Die nächste Tournee startet erst im Januar, vorher aber kann man ihn noch mal beim Open Air des Berliner Rundfunks am 9. Juni in der Wuhlheide hören. Seine zweite Frau stammt aus Berlin, und anders als manchem Kollegen, macht es ihm gar nichts, wenn die Familie im Publikum sitzt.

Seine Eltern kamen aus der Niederlausitz, aus Guben, sind später oft umgezogen. Trotzdem kam er oft zurück in die Heimat seiner Eltern – früher in den Ferien und später für Lesungen. Vieles verbindet Heinz Rudolf Kunze auch mit Berlin. Als Treffpunkt hat er sich das Café im Literaturhaus ausgesucht, weil er in der Buchhandlung „Kohlhaas & Company“ so gern einkauft. Zwei große mit Büchern gefüllte Tüten auf dem Boden sprechen Bände. Lesen ist eine Art Lebenselixier. Und das Schwarze Café in der Kantstraße in Charlottenburg? Er lächelt. „Da war ich nie wieder.“

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