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POSITION: Warum ist uns Otto Braun nicht so wichtig wie der Alte Fritz?

Wir pflegen unsere imperialen, nicht aber die demokratischen Traditionen. Von Erardo C. Rautenberg

Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Antrittsrede seine große Sorge über die Distanz der Bürger zu den demokratischen Institutionen und ihren Repräsentanten zum Ausdruck gebracht. Sein Befund ist unwidersprochen geblieben, was nicht verwundert, denn das Problem ist seit langem bekannt. Gleichwohl hat sich nichts geändert und deshalb durfte der Bundespräsident auch so weit gehen, davon zu sprechen, dass ihm die Distanz zwischen Regierenden und Regierten „Angst“ mache. Sein Appell, dass man aufeinander zugehen solle, ist zwar löblich, doch dabei wird man es nicht belassen können.

Schuld an der Misere sind jedenfalls nicht die Regierenden, denn sie sind nicht schlechter als die Regierten. Sie haben nur Macht und da gilt, was Montesquieu 1748 niedergeschrieben hat: „Eine ewige Erfahrung lehrt jedoch, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt. Wer hätte das gedacht: Sogar die Tugend hat Grenzen nötig. Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, ist es nötig, durch Anordnung der Dinge zu bewirken, dass die Macht die Macht bremse.“ Deshalb haben wir die Gewaltenteilung als tragende Säule unseres demokratischen Rechtsstaates und wenn das staatliche Kontrollsystem versagt, haben wir noch die freie Presse, die den Machtmissbrauch ans Licht bringt. Doch dies wird den Regierten so kommuniziert, dass manche für den Machtmissbrauch der Regierenden das demokratische System verantwortlich machen, obwohl es keine bessere Regierungsform gibt, um eben diesem zu begegnen.

Statt aber deshalb die demokratischen Traditionen zu pflegen, schlurfen die Regierten lieber in Filzpantoffeln andächtig durch alte Schlösser als ehemalige Machtzentren der Fürsten, die zwar als Regierende die Teilung der Staatsgewalt zu verhindern suchten, sich aber schöne Gebäude errichteten. Die soll man deshalb auch erhalten und nicht sprengen, wie nach dem Krieg das Stadtschloss in Potsdam. Doch dass beim ohnehin fragwürdigen Wiederaufbau geradezu militant gefordert wurde, die Originaltreue ohne Rücksicht darauf einzuhalten, dass dort die Abgeordneten des Landtags möglichst gute Arbeitsbedingungen vorfinden, lässt tief blicken. Aber die Volksvertreter sind ja ohnehin beim Volk nicht gut angesehen und so finden sich ja auch immer wieder Medienvertreter, die Diätenerhöhungen als Gelegenheit nutzen, die Volksvertreter als geldgierig zu diskreditieren, wie jüngst einmal mehr geschehen.

Doch damit nicht genug. Dieses Jahr ist der Alte Fritz in aller Munde, man widmet ihm im „Kulturland Brandenburg“ ein ganzes Jahr – kritisch, versteht sich. Dem medialen Trommelfeuer kann man sich kaum entziehen, und die „Potsdamer Schlössernacht“ wird dieses Jahr bestimmt ein besonderes Spektakel werden. Für den Tourismus ist das gut, unserer Demokratie schadet das nicht. Ihr setzt aber zu, dass wir zwar unsere imperialen, nicht aber unsere demokratischen Traditionen pflegen. Medial weitgehend unbeachtet versammelt sich am 18. März am Brandenburger Tor jedes Jahr eine kleine Schar, die an die Barrikadenkämpfe des Jahres 1848 erinnert, wo viele für die durch die Farben Schwarz-Rot-Gold symbolisierten demokratischen Werte ihr Leben ließen. Ob der Vorschlag von Bundestagspräsident Lammert, auch künftig die Wahl des Bundespräsidenten an diesem Tag stattfinden zu lassen – in Erinnerung an die Barrikadenkämpfe 1848, die Gründung der Mainzer Republik 1793 und die freien Volkskammerwahlen 1990 –, wohl aufgegriffen werden wird? Man muss skeptisch sein, zumal wenn man miterlebt hat, auf welch geringes Interesse bei der Berliner Politikprominenz die Veranstaltung gestoßen ist, die Bundesfinanzminister Schäuble am 26. August 2011 zu Ehren des 90 Jahre zuvor als Symbolfigur der Weimarer Republik von Rechtsextremisten ermordeten ehemaligen Reichsfinanzminsters Matthias Erzberger verdienstvoller Weise realisiert hat. Der Festredner, Robert Leicht, beklagte zu Recht, dass man in Berlin nach diesem „Wegbereiter deutscher Demokratie“ (Schäuble) weder eine Straße noch einen Platz benannt hat.

Keine mediale Beachtung hat schließlich die Pressemitteilung gefunden, mit der Matthias Platzeck Otto Braun als „Gestalter des demokratischen Preußen“ anlässlich dessen 140. Geburtstag am 28. Januar 2012 gewürdigt hatte.

Dabei nimmt der Sozialdemokrat Braun wie der christliche Demokrat Erzberger in der deutschen Demokratiegeschichte einen bedeutsamen Platz ein: Während der Weimarer Republik war er mit nur zwei kurzen Unterbrechungen Ministerpräsident von Preußen, das sich unter seinem Einfluss zu einem „demokratischen Bollwerk“ gegen die Feinde der Republik im Deutschen Reich entwickelte. Mithilfe seiner beiden sozialdemokratischen Innenminister Carl Severing und Albert Grzesinki besetzte er die Spitzen des Beamten- und insbesondere des Polizeiapparats in einem Umfang mit Anhängern der Demokratie, wie dies in keinem anderen Land gelang und bewirkte das reichsweite Verbot der SA. Auch ging der preußische Staatsschutz erfolgreich gegen die NSDAP vor. Nachdem die von ihm geführte Koalition der demokratischen Parteien bei den Landtagswahlen 1932 nicht mehr die Mehrheit erringen konnte, Braun und sein Kabinett aber gemäß der Landesverfassung geschäftsführend im Amt blieben, übernahm am 20. Juli ein von dem konservativen Reichskanzler Franz von Papen geführtes Reichskommissariat die Regierungsgeschäfte im Freistaat Preußen („Preußenschlag“), das sich bemühte, sämtliche während der Regierungszeit Brauns in Preußen durchgeführte Reformen zu revidieren. Braun wehrte sich dagegen mit der Einreichung von weitgehend erfolglosen Klagen beim Staatsgerichtshof. Um kein Blutvergießen zu provozieren, lehnte er jedoch ein aktiveres Vorgehen gegen die Feinde der Demokratie angesichts der politischen und militärischen Machtverhältnisse ab und verließ am 4. März 1933 Deutschland, was ihm nicht wenige verübelt haben. Eckhard Fuhr schrieb anlässlich des 50. Todestages am 15.12.2005 in der „Welt“ über den zu Unrecht Vergessenen: „Wer wissen will, warum die Republik 14 Jahre gehalten hat, obwohl es doch seit 1920 im Reich keine stabilen republikanischen Mehrheiten mehr gab, der findet eine Antwort in Preußen und in seinem roten König Otto Braun.“ Wir sollten uns also gerade in Berlin-Brandenburg darum kümmern, dass er im kollektiven Bewusstsein der Deutschen ebenso präsent ist wie der Alte Fritz. Indem wir gemeinsam unsere demokratischen Traditionen pflegen, verringert sich zugleich der Abstand zwischen Regierenden und Regierten, sodass unser Bundespräsident mit weniger Angst der Zukunft entgegenzublicken vermag.

Der Autor ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg

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