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POSITION: Eingetrocknete Tinte

Warum die rot-rote Begründung für die Ablehnung der Volksinitiative nicht trägt Von Henning Schluß

Im Landtag steht die Volksinitiative „Für eine Schule in Freiheit“, die mehr Autonomie für alle Schulen und mehr Geld für freie Schulen fordert, vor der Ablehnung. Bildungsausschuss und Hauptausschuss haben eine rot-rote Beschlussempfehlung für das Parlament verabschiedet, womit sich der Prof. Henning Schluß, Theologe und Erziehungswissenschaftler an der Universität Wien, auseinandersetzt:

Die Beschlussempfehlung bringt das Kunststück fertig, die Forderungen der Volksinitiative einerseits zu unterstützen und sie andererseits abzulehnen. Dies wird wiederum zweifach begründet. Zum einen sei schon alles längst umgesetzt oder zumindest in der Umsetzung begriffen, was die Volksinitiative fordere. Das Schulgesetz müsse keineswegs geändert werden, damit die Einzelschulen mehr Autonomie bekommen. Zu beobachten ist aber, dass von diesen reichhaltigen Möglichkeiten vor Ort nichts ankommt. Zum anderen lehnen SPD und Linke eine „Besserstellung der Schulen in freier Trägerschaft ab“. Offen bleibt; besser als was? Naheliegend scheint zu sein, besser als die staatlichen Schulen. Nun werden den freien Schulen derzeit allerdings nur 94 Prozent der Personalkosten einer vergleichbaren Schule erstattet, die Sachkosten müssen sie selbst aufbringen, so dass insgesamt circa 65 Prozent der Kosten refinanziert werden. Diese Schlechterstellung soll nun nochmals in oftmals existenzgefährdender Weise gekürzt werden.

Ein Absatz ist der besonderen Analyse wert, weil hier so viele Fehler, Widersprüche und Halbwahrheiten enthalten sind, dass eigentlich gestandenen Bildungspolitikern die Tinte im Füller hätte eintrocknen müssen, als sie das Papier unterzeichneten: „Freie Schulen müssen vom Land nicht in gleicher Höhe bezuschusst werden wie öffentliche Schulen. Sie entscheiden ohne allgemeinen Versorgungsauftrag über die Einrichtung von Schulstandorten und sind frei bei der Auswahl von Schülerinnen und Schülern.“ Das suggeriert – und so betont es auch die Bildungsministerin – dass staatliche Schulen einen Versorgungsauftrag haben und niemanden abweisen dürfen. Beides ist falsch.

Richtig ist, dass der Staat einen Versorgungsauftrag hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass er den auch selbst realisieren muss. Darüber hinaus weisen regelmäßig staatliche Schulen Schülerinnen und Schüler ab. Es gibt im Land nicht wenige Gesamtschulen und Gymnasien, die von mehr Eltern angewählt werden, als Plätze vorhanden sind und die deshalb Kinder abweisen. Staatliche Sportschulen weisen ebenso Bewerberinnen und Bewerber ab, die die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen, wie musisch betonte Schulen. Eltern, die ihr Kind nicht an der Grundschule des Einzugsgebietes einschulen wollen, müssen häufig genug mit einer Ablehnung rechnen. Dies ist unabhängig von den Trägerschaften der Fall.

Die Regierungsparteien schreiben weiter: „Die Forderung nach einer freien Schulwahl für die Eltern ist bei den weiterführenden Schulen bereits erfüllt und wird dort nur durch die Auslastungsgrenze der Schulen beschränkt. Bei den Grundschulen wird allerdings großen Wert darauf gelegt, dass sie ihre verfassungsrechtlich zugeschriebene Integrationsfunktion erfüllen. In diesem Sinne ist es wünschenswert, dass Kinder im Grundschulalter ein wohnortnahes Angebot wahrnehmen und ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, Konfession oder Finanzkraft der Eltern gemeinsam eine Schule besuchen.“ Nun zeigt sich, dass hier zwei Ansprüche für Grundschulen formuliert werden, die aller Ehren wert sein mögen, sich aber gegenseitig ausschließen: Denn einerseits sollen die Grundschulen wohnortnah sein. Zum anderen sollen diese Schulen integrativ wirken und soziale Durchmischung garantieren. Jeder der brandenburgische Städte kennt, weiß, dass beides zugleich ausgeschlossen ist. Unsere Städte teilen sich in die Villenviertel, in denen die Eigenheimbesitzer wohnen, die Viertel, mit den schönen großen sanierten Altbauwohnungen und die Plattenbausiedlungen, die häufig als Problemviertel erfahren werden. Das gilt keineswegs nur für die großen Städte, sondern selbst für die Kleinstädte. Die wohnortnahe Schule verhindert wirksam soziale Durchmischung. Wenn man soziale Durchmischung will, damit die Schule ein „lebendiges Abbild gesellschaftlicher Vielfalt ist“ , dann müsste man dafür sorgen, dass mindestens die Hälfte der Kinder Schulen in anderen Stadteilen besuchen. In den USA, deren no-child-left-behind-Programm von SPD und Linken zustimmend erwähnt wird, hat man deshalb ein sogenanntes Bussing-System eingeführt. Kinder aus den armen Gegenden wurden in die Schulen der wohlhabenden Viertel gefahren und umgekehrt. Das hat sich nicht bewährt, weil die wohlhabenden Eltern auf Privatschulen ausgewichen sind. Für Brandenburg jedenfalls gilt: Wer die wohnortnahe Schule will, arbeitet der sozialen Durchmischung entgegen. Wer soziale Durchmischung will, muss längere Wege in Kauf nehmen. Beides zugleich gelingt, angesichts der Struktur unserer Städte, nicht! Wenn SPD und Linke aufgrund dieses Wunsches nach sozialer Durchmischung nun schreiben: „Für Grundschulen in freier Trägerschaft gilt nicht zuletzt aus diesem Grund eine besondere Zulassungsvoraussetzung.“ – so ist das offensichtlich falsch. Denn sogar die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung widerlegen die Behauptung, freie Schulen in Deutschland würden nach dem sozioökonomischen Hintergrund separieren. In Brandenburg vermutlich eher noch weniger als anderswo. Die Separierung nach Herkunftshintergründen wird in Deutschland durch das mehrgliedrige Bildungssystem garantiert. Sagt die selbe Studie. Die Abschaffung des Gymnasiums und die Etablierung der Gemeinschaftsschule haben aber weder SPD noch die Partei Die Linke auf der Agenda.

Die von den Regierungsfraktionen präferierten Mittel sind offensichtlich ungeeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen. Dies gilt auch für das Vorhaben, mit den Kürzungen bei freien Schulen im Haushalt Geld zu sparen. Denn wenn die freien Schulen schließen müssen, fallen die Kosten zu 100 Prozent beim Land an. Wichtig wäre deshalb, dass alle wesentlichen Gruppen in einem gesellschaftlichen Dialog sich über die wesentlichen Ziele des Bildungswesens in Brandenburg einigen. Hier können Inklusion, gesellschaftliche Mischung, Autonomie der Schule, Pluralität und Öffentlichkeitscharakter des Bildungssystems leitende Werte sein. Erst in einem zweiten Schritt sollte man sich geeignete Mittel überlegen, um diese Ziele umzusetzen.

Dazu wäre aber eine wirkliche bildungspolitische Debatte vonnöten und keine über einen Annex zum Landeshaushalt, wie sie gegenwärtig jetzt geführt wird.

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